Am 3. November 2020 stehen in den USA wieder Präsidentenwahlen an. Die linksliberalen Befürworter von „Sleepy Joe“ Biden auch hierzulande jubeln über jede Meldung, in der es heißt, er führe in Umfragen vor Donald Trump. John Bolton, der für kurze Zeit „Sicherheitsberater“ im Weißen Haus war, versucht nun als fünfter oder sechster „Enthüller“ der Vorgänge im Weißen Haus, damit als Bestseller-Autor Millionen zu verdienen. Die braven Trump-Feinde stellen dann den nächsten Band in ihr Bücherregal, zu all den anderen, und müssen feststellen: Es ändert nichts. Bei dieser nächsten Aufregung wird nur vergessen, wie das mit dem tatsächlichen Bolton war: Als Trump ihn entließ, twitterte der Präsident, hätte er Boltons außenpolitische Vorschläge befolgt, wären die USA jetzt im Vierten Weltkrieg.
Klar ist, mit Biden wollen die interventionistischen Globalisten den „Nationalisten“ und „Isolationisten“ aus dem Weißen Haus vertreiben, um wieder weltweit „Regime-Change-Kriege“ zu führen. Darauf hoffen auch in Deutschland die transatlantischen Globalpolitiker, die gern mit amerikanischen Truppen weiter deutsche Zwecke in der Welt verfolgen würden.
Das ist der Hintergrund der derzeitigen Medienaufwallungen in Sachen Trump. Der Wunsch ist Vater des Gedankens, und die Wünsche werden umso größer, je näher der November rückt. Allerdings, im Sommer 2016 waren die Medien, die diplomatischen Kommentatoren und die einschlägigen Politikwissenschaftler einhellig der Meinung, Trump werde niemals Präsident der Vereinigten Staaten. Alle irrten, er wurde es. Einschlägige Forschungseinrichtungen in Deutschland, die sich vor vier Jahren nahezu ausschließlich mit Hillary Clinton befasst hatten, beobachten jetzt immerhin beide Lager. Es waltet etwas mehr Sachverstand, als vor vier Jahren.
Hier ist recht interessant, was Nadav Eyal (Das Blättchen 13/2020) zu Trump bereits zusammengetragen hat. So erinnert Eyal an den berühmten Satz der Journalistin Salena Zito aus dem September 2016: „Die Presse nimmt ihn wörtlich, aber nicht ernst; seine Anhänger nehmen ihn ernst, aber nicht wörtlich.“ Nur so erklärte es sich, dass der ständige Vorwurf des linksliberalen und intellektuellen Establishments beider Küsten, Trump würde ununterbrochen lügen, hätte keine Ahnung et cetera, bei dessen Anhängern nicht verfing. Die Grundsituation 2016 beschreibt Eyal so: „Doch während man in den fernen Provinzen das amerikanische Imperium weiterhin wahrnahm, war sein Motor, der amerikanische Traum, ermattet. Wie ein alter japanischer Soldat, der Jahrzehnte nach dem Krieg aus dem Wald hervorkommt, hörten wir nicht auf, unsere Gespräche, Hoffnungen, Ängste und Erwartungen um ‚Amerika‘ kreisen zu lassen. Aber die Verheißung in seinem Herzen war längst verloren gegangen. Es schien, als genieße Trump in einer Art masochistischen Anwandlung sein Statement gleich zum Auftakt seiner Wahlkampagne: ‚Der amerikanische Traum ist tot.‘“
In dem Kapitel seines Buches über Trump als Kandidaten beschreibt Eyal die politische Konstellation als Theaterstück: Im ersten Akt wurde die Globalisierung errichtet und „schuf Wohlstand für die USA und die ganze westliche Welt“. Im zweiten Akt „geriet das System in den reichen Ländern ins Wanken, und die Arbeitseinkommen wanderten in den Osten und Süden, wo sie Millionen Menschen aus tiefster Armut retteten“. Im dritten Akt wurden die Kulissen der Revolte aufgestellt. „Der verratene Mittelstand holte eine Pistole hervor und legte sie auf der Bühne ab. Zu Beginn des dritten Aktes passierte alles auf einmal, und die Revolte kam an allen Ecken und Enden zum Ausbruch: Fundamentalismus, Populismus, Nationalismus, Flüchtlingskrise, Brexit, Linksradikalismus, Handelskriege und eine erschütterte Weltordnung. Nicht alle, nicht einmal die Mehrheit, aber eben viele haben sich der Revolte angeschlossen; es ist keine kohärente oder ideologisch gefestigte Bewegung, sondern ein Abschütteln mit vielen Facetten und diversen Kontexten.“
Hieraus folgt zweierlei: Auch der Vorwurf gegen Trump, er habe kein geschlossenes Programm, trifft ihn nicht. Versuchte er es mit einem Programm, würde er immer Teile dieser diffusen Bewegung abstoßen oder zumindest nicht gewinnen können. Gleiches gilt aber auch für die Sanders-Linken, für die es im Schlusskapitel der jetzigen Wahl darum geht, ob sie „Sleepy Joe“ als das kleinere Übel unterstützen oder zuhause bleiben. Sie sind mindestens ebenso diffus und zerklüftet wie die Trump-Anhänger, und alle Imaginationen der verschiedenen Linken in Europa, aus der Sanders-Anhängerschaft würde eine stabile linke Koalition entstehen, die den Weltsozialismus befördert, sind reine Wunschvorstellung.
Der andere zentrale Satz über Trump in Eyals Buch lautet: „Trump ist so, wie ein Armer sich einen Reichen vorstellt.“ Das heißt, das degoutante Naserümpfen der wirklich Reichen aus dem Lager der Globalisten über Trump, seine Frisur und seinen Schlips, das Bemängeln, dass Trump sich weigerte, seine Steuererklärung vorzuzeigen, das ironische Gerede, dass er vergoldete Wände in seinen Anwesen mag und als erstes auch im Weißen Haus güldene Vorhänge aufhängen ließ, schadet ihm bei seinen Anhängern nicht. Eyal dazu: „Trump ist natürlich keineswegs ein schlichter Mann aus dem Volk, dafür aber sehr publikumsnah und erstaunlich zugänglich für eine steinreiche Person.“ Als Präsident „blieb er, zumindest scheinbar, zugänglicher und nahbarer als alle seine Vorgänger in den letzten Jahrzehnten“.
Den Hintergrund von Trumps Rollenspiel beschreibt Eyal so: „Die trügerische Wirklichkeit rief Trump auf den Plan: ein ‚bürgernaher‘ Milliardär, der die Medien hasst, aber symbiotische Beziehungen zu ihnen unterhält; ein Mann der vorgibt, das echte Amerika zu verkörpern, während sein Büro wie eine Theaterbühne ausgeleuchtet ist. Jede Begegnung mit ihm sei eigentlich, sagte mir einmal sein brillanter Biograf, der Schriftsteller Michael D’Antonio, wie ein Auftritt in einer Szene, deren Text Trump schon im Voraus schrieb. Dieser Text befasst sich mit dem ‚großen Amerika‘, aber das ist ein Begriff, der seine wahre Quelle verloren hat. Nicht umsonst ist Trump durch eine Reality-Serie in die amerikanische Realität eingetreten, durch eine Verfälschung der Wirklichkeit, die gar nicht mehr vorgibt, für etwas Wahres zu stehen.“
Nach den bisherigen Jahren der Trump-Regierung steht nach Eyal „außer Zweifel, dass man ihn ernst und (Hervorhebung im Original – E.C.) wörtlich nehmen muss“. „Trump hat sich bemüht, viele seiner Versprechen in die Tat umzusetzen […]. Egal, ob es um Mauerbau, Wirtschaftskriege oder Schikanen gegen Immigranten geht – kein Mensch kann Trump vorwerfen, seine Versprechungen seien nur eine hohle Fassade gewesen oder er wäre umgeschwenkt. Es kann auch niemand behaupten, er sei irgendwie nachgiebiger geworden – oder bedächtiger und konventioneller. Im Gegenteil, Trump handelte als Präsident derart launisch, dass keinerlei Routine aufkam.“
Fazit: „Er selbst war der unermüdliche Wirbelwind in der Regierung, der ständig für Spannungen und Eklats sorgte. Und aus diesem permanenten Sturm ertönte die wahre Stimme des 45. Präsidenten: ‚Ich bin ein Nationalist.‘“ Dafür will er wiedergewählt werden. Und genau deshalb wird ihm auch Boltons Buch nicht tatsächlich schaden.
Eher wird das die Corona-Furcht auch der Trump-Anhänger, die seiner Wahlmobilisierung abträglich zu sein scheint. Aber auch in dieser Hinsicht gilt: Bis zum 3. November ist es noch lange hin. Die Entscheidung treffen dann die Wahlbürger der USA.
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