Der Maler Neo Rauch (geboren 1960) ist nicht nur der Star der sogenannten Neuen Leipziger Schule, sondern auch der figurativen Malerei überhaupt. Nach vielen Auftritten in den großen Museen und Kunstsammlung der Welt,hatte er im Sommer 2018, gemeinsam mit seiner Frau, der Malerin Rosa Loy, auch im Bayreuther Festspielhaus seinen großen Auftritt. Weil er als Bühnenbildner für das Lohengrin-Blau sorgte und sie für die passenden Kostüme des Bühnenpersonals. Wie immer man die Inszenierung von Yuval Sharon auch finden mag, am Ende lieferte der ins Gigantische vergrößerter Pinselstrich des Leipziger Malerstars den nachhaltigsten Eindruck dieser Produktion.
Aufgewachsen ist Neo Rauch in Aschersleben. Eine 30.000 Einwohner zählende Stadt am nördlichen Harzrand, die sich rühmt, die älteste in Sachsen-Anhalt zu sein. Und die sich in den letzten Jahren, vor allem mit dem Rückenwind der Internationalen Bauausstellung „Stadtumbau Sachsen-Anhalt“ und der Landesgartenschau vor zehn Jahren zu einem Geheimtipp gemausert hat. Das liegt nicht nur an der schönen Altstadt samt intakter Stadtmauer, sondern auch an Neo Rauch. Der ist hier bei den Großeltern aufgewachsen. Seit 2012 gibt es in Aschersleben die Grafikstiftung Neo Rauch. Ihren Platz fand sie in einem schicken Stück Architekturmoderne. Dieser sogenannte Riegel des Stuttgarter Architektenbüro Lederer korrespondiert in dem als Bildungszentrum neubelebten Areal der alten Papierwarenfabrik Bestehorn besonders reizvoll mit der rekonstruierten Unternehmervilla. Die Stiftung wird vom Künstler mit einem Exemplar aller seiner Grafiken versorgt und stemmt obendrein unter der rührigen Leitung von Christiane Wisniewski jedes Jahr eine thematische Jahresausstellung.
Das Ganze ist ein Glücksfall für den Maler und für die Stadt.
Rauch hatte eigentlich eine Ausstellung mit frühen Werken aus Anlass seines 60. Geburtstages dem Bildermuseum in Leipzig zugesagt. Dann hatte er aber einen Rückzieher gemacht. Statt dessen gibt jetzt in Aschersleben unter der Überschrift „Das Fortwährende“ frühe Arbeiten auf Papier aus den Jahren 1989 bis 1995 zu bestaunen. Das Besondere daran ist, dass Rauch und sein Galerist Gerd Harry Lybke (der erfolgreichste Ost-Galerist überhaupt) bislang den Beginn des gültigen Werkes des Leipziger Weltstars auf das Jahr 1993 datiert hatten. Da spielten inhaltliche Skrupel des Malers genauso eine Rolle wie markttaktische Überlegungen seines findigen Galeristen.
Mit der neuen Jahresausstellung in der Grafikstiftung wird diese Datierung korrigiert, denn sie konzentriert sich auf das faszinierende frühere Werk. Rauch nennt die Auswahl der Blätter, die er dafür aus den Tiefen seiner Schubladen hervorgeholt hat, in seiner poetischen Diktion eine „erste halbwegs vollzogene Selbstumrundung.“ Zu sehen sind exemplarische Beispiele für eine Suche nach sich selbst, für die Annäherung an die, bald hochsouverän in eine eigene Bildsprache übersetzten Mittel. Etwas derart Persönliches schien ihm dann doch für den intimen Rahmen der Stiftung besser geeignet, als für ein Großstadtpublikum, das in Leipzig neben Klinger und Beckmann eben auch noch den frühen Rauch „mitnehmen“ würde. Aschersleben aber ist dafür goldrichtig. Dort hatte er auch schon Jahresausstellungen mit Arbeiten seines sehr jung verunglückten Vaters oder mit künstlerischen Weggefährten präsentiert.
Wer die großen Tafelbilder mit ihren rätselhaft raunenden Sujets vor Augen hat, wird manche Vorahnung in den frühen Arbeiten versteckt finden – eine Figur, eine Sprechblase, ein Wort, die Verschränkung von Bildebenen. Überraschend ist aber vor allem die geradezu unbekümmerte Opulenz, mit der er die Blätter füllt. Bei seinem Weg von einer sich phantasievoll geradezu austobenden Abstraktion zur Integration des Figürlichen in seinen Traumvisionen sind die verarbeiteten Eindrücke einer prägenden Italienreise am Beginn der 90er Jahre ein Sediment, auch wenn man dessen Folgen für seine Malerei nicht auf den ersten Blick zu erkennen vermag. Doch die „raunenden Blätter“ mit ihren amorphen Formen, den warmen Brauntönen entfalten einen unwiderstehlichen Reiz.
Unter den etwa 80 sehr unterschiedlichen Papierformaten, auf denen er mit Ölfarbe, Graphit, Tusche oder Aquarell einzeln oder auch miteinander kombiniert zu Werke geht, finden sich auch zwei Großformate: „Die Küche“ und „Das Ziel“ von 1995, die schon deutlich auf die Figuren und die Motivwelten seiner späteren Werke verweisen. Da behauptet sich das Figürliche schon ziemlich selbstbewusst gegen abstraktes Umspielen. Da wird der direkte Bezug auf die eigene Befindlichkeit und den Malvorgang bereits deutlich zelebriert.
Diese Auswahl der frühen Arbeiten fügt dem Neo Rauch, der zum Synonym für die Überlebenskraft einer aus der Vergangenheit kommenden Malerei geworden ist, eine bislang nahezu unbekannte Komponente hinzu, die man nicht vergisst. Und die allemal einen Abstecher nach Aschersleben lohnt!
Die Ausstellung „Neo Rauch. Das Fortwährende“ in der Grafikstiftung Neo Rauch in Aschersleben ist bis zum 2. Mai 2021 zu sehen. Die Grafikstiftung ist zwischen Februar und Oktober mittwochs bis sonntags, 11 bis 17 Uhr geöffnet; November bis Januar mittwochs bis sonntags, 10 bis 16 Uhr. Weitere Informationen telefonisch unter +49 (0) 3473-9149344 oder Anfragen per E-Mail an mail@grafikstiftungneorauch.de.
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