von Renate Hoffmann
Ein Sommertag am Berliner Großen Wannsee. Garten und Haus Max Liebermanns – sein „Schloss am See“ – empfangen bereitwillig die neugierige Besucherschar. Abgelenkt vom reichen Blühen und Gedeihen ringsherum, betrete ich zögerlich die Räumlichkeiten des Malers … und stehe geblendet vom Licht der Bilder.
Max Liebermann (1847-1935), Vielgereister; in Barbizon anzutreffen und in Paris, in Venedig, München, Weimar und anderswo, findet seine „Malheimat“ in den Niederlanden. Er entdeckt die holländische Nordseeküste für sich. – Über vierzig Jahre lang hielt ihn die Motivfülle dieser Landschaft und ihrer Bewohner in Bann. Beinahe jeden Sommer fuhr er nach Scheveningen, Zandvoort oder nach Noordwijk. An Alfred Lichtwark, den 18. August 1913: „Ich bin seit einer Woche wieder hier, wo ich jeden Menschen, jedes Haus, fast jeden Baum kenne, ja beinahe Alles gemalt habe. Es ist wie eine Badekur an den inneren Menschen, wo ich hier einige Wochen einsam … lebe.“
Der Maler gewinnt das Meer nicht auf den ersten Blick. Die Bekanntschaft mit dem Kollegen Jozef Israels führt ihn zunächst in die Dünen. Man sagt, nach seiner Ankunft wäre Liebermann stundenlang mit dem Skizzenbuch zwischen den begrünten Sandwällen herumgelaufen, um die Stimmung bei Wind und Wetter zu erkunden. – Beizeiten aber spürt er die anders geartete Schönheit der hier vorherrschenden Lichtverhältnisse; die Trefflichkeit, den flüchtigen Augenblick festzuhalten, im Freien zu arbeiten, den Rhythmus der Natur aufzunehmen. „Nur wer die Natur als ein Lebendiges empfindet, kann sie lebendig darstellen, und nur der ist ein Künstler.“ Sicht und Malweise der französischen Impressionisten nehmen ihn für sie ein. Seine Farben werden lichter. Bewegung und Helligkeit gewinnen Raum. Der Atem der Natur durchzieht die Motive. Und dann steht er am Meer – und malt. „Die weite Wasserfläche, deren salzige Frische in den Sommermonaten uns Kühle zuweht, die zum Baden und Segeln lockt, auf deren blendendem Sande die Erwachsenen promenieren und faulenzen, die Kinder spielen, die Strandkörbe und Badekarren sich reihen; es ist das Meer der Badegäste.“ Die Welt des Badelebens und der Badefreuden, hier in der Ausstellung ist sie allgegenwärtig. Vom Maler eingefangen in Öl, Pastell, als Zeichnung, Radierung und Lithografie. So einladend, so auffordernd, dass man alles von sich werfen und am Strand von Noordwijk den Sommer verbringen möchte.
Es blaut ein Strandtag. Gäste promenieren am Ufer. Wohlanständig. Die Damen, modisch gekleidet, tragen fesche Hüte und den Parasol (die Elf-Uhr-Sonne zeigt schon volle Kraft). Kinder tun das, was sie überall am Strand tun: buddeln und Burgen bauen. Im leicht bewegten Wasser tummelt sich die Jugend in ungezwungener Badelust („Strandleben“, 1916). Ein anderes Mal bäumt sich die Brandungswelle am Noordwijker Strand. Der Wind jagt die Wolken über den Himmel. Nur wenige Spaziergänger wagen sich heute heraus. Die frische Seeluft verwischt ihre Konturen. Niemand geht ins Wasser („Strand in Noordwijk“, 1908). Das wiederum ist ein strahlender Vormittag mit eifrigem Begängnis am Strand. Man wandelt, steht in Grüppchen beisammen und unterhält sich über die gestrige Soiree im Hotel „Huis ter Duin“ (Liebermanns langjähriges Quartier). Oder sitzt einfach im Sand. Wie die Nurse, die ein wachsames Auge auf die quirligen Kinder hält. Dem Betrachter etwas zugewandt, geht eine chic gekleidete und behütete Dame mit Hündchen. Hoffentlich scharrt das Tier nur aus Vergnügen im Sand und nicht aus anderen Gründen … („Strandbild Noordwijk“, 1911). Über die hohe Düne fegt Sturm und beugt das Gras nieder. Das smaragdgrüne Meer wirft Wellen mit Schaumkämmen. Am Himmel zieht ein Wetter auf. Man tut gut daran, sich eiligst eine Bleibe zu suchen („Düne und Meer – Auf der Düne“, 1909).
Das mondäne Strandleben an der Nordseeküste bündelt Sport, Entspannung und Amüsement. Liebermann malt auch die Gesellschaft, die sich diesen Vorzug leisten kann. – Da sind die Reiter am Meer. Viele Male variiert. Elegant und sicher im Sitz traben sie am Ufer. Die Pferde gut an den Zügel gestellt, weit ausgreifend der Schritt. Sie reitet im Damensattel und langem dunklem Reitkostüm (zeitgemäß, aber sehr unbequem) und trägt – charmanter Blickfang – ein rotes Halstüchlein, oder ist es eine Krawatte? Der Herr zügelt sein unwilliges Pferd, das nach vorn will. In den Wasserlachen spiegelt sich der Tritt der Tiere. – Ein Bild voller Bewegung, und in der gegensätzlichen Farbgebung dem Auge wohltuend ( „Reiter und Reiterin am Strand“, 1903). Der Junge, der barfuss und ohne Steigbügel sein Pferd durch das Flachwasser treibt, reitet im Gegenlicht. Das Meer schimmert in wunderbaren Farbtönen, die aus Blau, Orange, Weiß und Grün zusammenfließen („Reitender Junge am Strand“,1903). Und da sind die Badenden. Sie werfen sich in die überschlagenden Wellen; sie toben. Man hört ihr Geschrei. Einer von ihnen kehrt zum Strand zurück („Badende Knaben, links ein Strandwächter“, 1907).
Die Pastelle sind voller Zartheit und verleihen der Küstenlandschaft Ruhe, obwohl man den leichten Wind fühlt, der über die Strände streicht. Die grafischen Blätter dienen häufig als Vorstudien zu Gemälden und erfassen mit wenigen Strichen die herrschende Stimmung. Den Titel „Promenade bei windigem Wetter“ (Lithografie, 1912) braucht es nicht. Man sieht die gebauschten Röcke der Spaziergänger und ihre Sorge, den Hut zu verlieren…
Das Haus des Malers verlasse ich diesmal mit dem unstillbaren Drang, an die See zu reisen.
„Max Liebermann am Meer“ – Liebermann-Villa, Colomierstr. 3, Berlin-Wannsee, bis 15. August 2011 täglich von 10-18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr, dienstags geschlossen.
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