23. Jahrgang | Nummer 7 | 30. März 2020

Vom Ende des Kapp-Putsches

von Jörn Schütrumpf

Die Spatzen pfiffen es schon Wochen zuvor vom Dach: „Das Eisenbahnministerium sitzt voll konservativer Geheimräte, die auf die Wiederkehr des ancien régime sehnsüchtig warten und jeden Putsch begrüßen, der sie diesem Ziele näherbringt. Das muss offen ausgesprochen werden, weil da der Hase im Pfeffer liegt. Je näher dem Minister [jemand steht], desto reaktionärer die Gesinnung – nur der Minister merkt das nicht, was alle seine Beamten und Arbeiter wissen,“ war am 1. Januar 1920 in der Freiheit, dem Blatt der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) zu lesen. Die pazifistisch-linke USPD stand in Opposition zur SPD-Regierung unter dem einst kriegsbegeisterten Gustav Bauer – 1925 wegen erwiesener Korruptheit aus der SPD ausgeschlossen, bald aber wieder aufgenommen …

Die Eisenbahn gehörte 1920 zu den Aufgaben des Reichsarbeitsministers Alexander Schlicke (SPD); in allen anderen Ministerien sah es ähnlich aus wie in dessen Arbeitsbereich. Das zeigte sich am 13. März, am Tag des Kapp-Putsches: Die Regierung samt Reichspräsident Ebert floh – erst nach Dresden, dann nach Stuttgart –; die Geheimräte ließen die Korken knallen. Draußen knallte es auch. Eine mit Geld und Schnaps aufgeputschte Soldateska ward losgelassen: „Halt! Wer weitergeht, wird erschossen!“ In der Gegend des Kurfürstendamms veranstaltete sie sogar antisemitische Ausschreitungen; so etwas kannte man bis dahin nur aus Russland und Polen.

Der SPD-Regierung war am 13. März 1920 auch ihre zweite Stütze – das Militär – abhanden gekommen. Während der Revolution vom 9. November 1918 hatte die SPD-Führung, mit wenig Begeisterung, aber vom Druck ihrer eigenen Anhängerschaft gezwungen, mit der USPD eine provisorische Regierung, „Rat der Volksbeauftragen“ genannt, gebildet – ausgerechnet mit jenen Leuten, die die SPD-Führung während des Weltkrieges Mann für Mann und Frau für Frau wegen erwiesener Kriegsunwilligkeit aus der eigenen Partei entfernt hatte. Ein solches Bündnis war natürlich gefährlich. Denn soweit kannte die SPD-Führung ihren Marx natürlich auch, dass sie wusste, wie es in einem solchen Bündnis weitergehe: Sie würde von links und unten weggeschwemmt werden, ähnlich wie es gerade in Russland durch die Bolschewiki geschehen war.

Eigentlich hatte die SPD-Führung eine Bündnisregierung mit den bürgerlichen Parteien angestrebt, so wie es sie in der Agoniephase des Kaiserreiches ab dem 3. Oktober 1918 gegeben hatte; allerdings war diese Regierung am 9. November zusammen mit dem Kaiser davongejagt worden. Und mit den bisherigen bürgerlichen Koalitionspartnern – ohnehin Untertanen durch und durch – war in den ersten Wochen nach des Kaisers Sturz überhaupt nichts anzufangen: Bis auf das katholische Zentrum zerfielen deren Parteien und gründeten sich um.

Blieb also nur das Militär, ausgerechnet das Militär, das doch die Revolution im ersten Ansturm trug. In diesen Tagen war der Generalstab ein König ohne Land, die SPD-Führung hingegen konnte sich nicht nur auf ihre eigene Anhängerschaft, sondern auch auf die der USPD stützen. Es galt, Geld und Zeit zu gewinnen. Das Geld kam aus der Großindustrie, die Zeit spendete die USPD – was sie nicht nötig gehabt hätte. Doch die USPD verzichtete darauf, ihre eigenen Forderungen durchzusetzen: Beseitigung des Militarismus durch Auflösung der Reichswehr und Bildung revolutionär-demokratischer Garden; Enteignung der Schlüsselindustrie; Zerschlagung der reaktionären Justiz sowie des Beamtenapparates, Geheimräte inklusive; Demokratisierung der Schulen und Universitäten. Stattdessen benahmen sich die USPD-Führer, wie sie sich bis zu ihrem Ausschluss aus der SPD verhalten hatten: Sie ließen sich an die Wand drücken.

Bald waren die ersten Truppen reorganisiert, die Bürgerlichen begriffen am schnellsten ihr unverhofftes Glück und zogen wohlgemut, weil ihr Eigentum unangetastet geblieben war, den Wahlen zur Nationalversammlung entgegen, die Frist bis zu den Wahlen wurde immer wieder verkürzt, letztlich auf den 19. Januar 1919.

Schon Anfang Dezember 1918 glaubte sich die SPD-Führung so gestärkt, dass sie die USPD – nicht zuletzt weil deren starke Berliner Basis immer unruhiger wurde – aus dem „Rat der Volksbeauftragen“ herauskippen zu können. Das gelang allerdings erst mit der von den drei der SPD angehörenden Mitgliedern des „Rates der Volksbeauftragen“ (Friedrich Ebert, Phillip Scheidemann, Otto Landsberg) beschlossenen Erstürmung des Berliner Schlosses. Das Letztere gelang nicht, das andere aber schon: Die USPD ging. Von nun an konnte sich die SPD-Führung – die Partei hatte in der Revolution großen Zulauf – auf die eigenen Anhänger und das sich konterrevolutionär neu aufstellende Militär stützen.

Die Wahlen zur Nationalversammlung brachten eine Bündnisregierung mit den bürgerlichen Parteien, dem Zentrum und der neugebildeten Deutschen Demokratischen Partei. Kurz davor hatte die Berliner Arbeiterschaft unter Georg Ledebour, dem Führer der Berliner USPD, der Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn und Karl Liebknecht, dem Linksaußen in der zur Jahreswende 1918/19 gegründeten KPD eine Abwehrschlacht gegen die SPD-Regierung und ihren Verbündeten, das Militär verloren: die Januarkämpfe, oft fälschlich als Spartakusaufstand denunziert. In den folgenden Monaten waren die Kommunisten vogelfrei, zwischen 9. März und Anfang Dezember 1919 galt ein Schießbefehl, von dem reichlich Gebrauch gemacht wurde. Als dann am 13. Januar 1920 die USPD auch noch ihre Anhänger aufrief, am Reichstag gegen ein alles andere als demokratisch zu nennendes Betriebsrätegesetz zu demonstrieren, kümmerte sich das Militär überhaupt nicht mehr um die SPD-geführte Regierung und veranstaltete auf den Stufen des Reichstages ein Massaker; die Regierung führte widerspruchlos abermals den Ausnahmezustand ein.

Damit wusste jeder, dass die Tage dieser Regierung gezählt waren. Was aber niemand ahnte, war die Einigkeit der Arbeiterschaft, die ab dem 13. März 1920 ziemlich geschlossen dem Aufruf des Gewerkschaftsvorsitzenden Carl Legien – im Krieg war er ein ganz strammer Krieger gewesen – folgte und binnen Tagen dem Spuk ein Ende machte. Ministerpräsident Gustav Bauer musste gehen, ansonsten war danach alles wie 1918: Die Generäle blieben.