23. Jahrgang | Nummer 4 | 17. Februar 2020

Davos auf dem Meer

von Eckhard Mieder

Ich nehme an, dass es diesen Vorschlag, diese spinnerte Idee auch schon gibt: dass die sogenannte Weltelite, die sich traditionell in Davos trifft, beim nächsten Mal ein Kreuzfahrtschiff mietet, und ihre Klassenfahrt über die Meere kann beginnen. Wie lange? Egal. Oder sagen wir, mindestens so lange wie Greta Thunberg auf dem Segelschiff „Malicia“ von Plymouth nach New York brauchte.

Ein gewisses Problem brächte die Unterbringung mit sich. 3000 Elitäre wie in Davos – nicht für jeden Passagier und Bedeutungsträger gäbe es eine eigene Kabine. Doppel-, gar Viererbelegungen ließen sich kaum vermeiden. Es bedürfte einer ausgeklügelten Paarungslogistik. Donald Trump und Angela Merkel sollten nicht nur nicht in einer Kabine hausen, sondern auf verschiedenen Decks. Aber wer weiß: Plötzlich entstehen Freundschaften, die undenkbar schienen. Aber diesen ganz, ganz, ganz Großen stünde natürlich eine Suite zur Verfügung; mit Außenbalkon und Blick auf das weithin schwabbelnde Wasser.

Ansonsten stelle ich mir dieses Boot als eine mobile Insel vor, auf der sich niemand auf Dauer gänzlich aus dem Weg gehen kann. Während der zwei, drei oder vier Wochen der Kreuzfahrt müssten sie sich, ich wette, treffen. Im Übrigen dürfte auf dem Schiff auch passieren, was in Davos geschah: Man trifft für Tage „immer dieselben Leute, und die Stimmung wird immer lockerer, weshalb sich die Sache nach einer Weile wie ein Klassentreffen der Weltelite anfühlt. Und so endet es dann auch: Am vierten Tag sind die Räume kaum noch gefüllt, die Disziplin hat nachgelassen, allen Kosten zum Trotz.“ (Welt am Sonntag, 26. Januar 2020)

Genau. Die Disziplin lässt nach, die Bordwäscherei kommt nicht hinterher mit dem Waschen und Bügeln, die gemeinsam verbrachten Abendstunden werden länger und länger. Und es wird immer entspannter. Draußen das Meer, der Himmel, die Sterne und die sicheren Konten auf den Festländern. Für die Bühnen auf dem Schiff werden Goodwill-Entertainer eingeflogen, Geld spielt sowieso keine Rolle, obwohl es immer nur um Geld geht.

Es kommt zu verblüffenden, erhellenden Begegnungen in den schmalen Gängen und bei den kollektiven Brunches und Lunches und Abendbanketten, es wird ehrlicher. Flirts, Plänkeleien, tiefer Gedankenaustausch off the record.

Und dann, so stelle ich mir das vor, müssten sie, die zu den Elitären dieses Planeten Erklärten, miteinander auskegeln, wie sie das meinen mit dem Kapitalismus und dem Klima. Wenn wir Abermillionen Normalos schon unbedingt glauben wollen, es könnten die 3000 Superhirne richten, was wir irgendwie zeitlich, finanziell, organisatorisch halt nicht hinkriegen.

Wenn, wie derzeit Journalisten und Journalistinnen jauchzen, Larry Fink und Joe Kaeser mehr Nachhaltigkeit in der Warenproduktion fordern, wenn mehr Ökologie angesagt wird und Konzernen nur noch Kapital geliehen wird, wenn sie auf grünen Füßen über Meere und Kontinente wandeln, dann – Nachtigall, hör ick dir trapsen.

Der Kapitalismus ist ein Opportunist. Er passt sich an, er schmiegt sich an, er erfindet, was er für seine Existenz braucht. Darauf gründet sich der Glaube, er werde auch die Zukunft richten, den Planeten letztlich retten. Und über dem Glauben schwebt der Heilige Geist der Warenproduktion und lispelt scheinbar luzid: Wenn wir mit der Zerstörung der Welt Geld machen können, dann können wir auch Geld machen mit der Erhaltung der Welt.

Ich höre das kraftvolle Tröten der Schiffssirene. Ich lausche dem Klirren des Bestecks und des Geschirrs beim Kapitänsdinner. Ich versuche, die Blicke zu deuten, die zwischen den Passagieren hin und her fliegen wie Fledermäuse in der Nacht. Und ich frage mich, was die Finks und Kaesers und all die Edlen meinen. Politikern höre ich in diesem Zusammenhang nicht zu. Ich will hören, wie die Wölfe im Schafspelz auf der Kreide rumkauen.

Ihre ureigene Aufgabe ist es doch, in kürzester Zeit genug Kohle ranzubaggern, um die Gier ihrer Aktionäre und sonstigen Teilhaber zu befriedigen. Wüsten aufzuforsten dauert aber, erstmal muss der (Regen)wald weg. Dann sind Grundstückpreise und -eigentümer nicht ganz klar; und wenn dann noch Öl oder Gas unterm Sand gluckert …

Es gehört doch zu ihrem Einmaleins, dass das Kapital „einen Horror vor Abwesenheit des Profits“ hat? Städte zu bauen, die wie riesige Roboter funktionieren und in denen die Menschen wie Blutkörperchen kreisen – dauert und verschlingt Erze, seltene Erden, die Erde. Erstmal muss jedem Menschen die vierte, fünfte Generation eines Smartphones untergejubelt werden.

Steht nicht im Funktionsplan eines jeden Managers, dass er seine gesamte Vitalität und Geisteskraft innovativ einsetzt, um das Unternehmen, die Firma, die Bude mindestens zu jener Börsen- oder Rendite-Reife zu bringen, die dem Aktionär, dem „Volks-Mitinhaber“ eine angenehme Ausschütte bringt?

Das Dingens mit der Sonnen- und Windenergie und mit den CO2-Widerständen und andererseits das Dingens mit dem Fracking-Gas und den Pipelines durch die Ostsee und der chinesischen Seidenstraße – und profitabel ist das alles entweder oder profitabel ist es nicht –, „20 Prozent, es wird lebhaft“.

Wer spricht da? „50 Prozent, positiv waghalsig“ – jetzt höre ich es: Es gehört zum Gewisper auf dem Davos-Schiff. Eben gleitet es über Atlantis hinweg und über all die untergegangenen Schiffe, die es nicht zum Recyceln an einen Strand von Bangladesch geschafft haben. Recyceln, auch so eine nachhaltige Idee, wenn sie die Massen ergreift und materiell wird. Bis dahin gibt es die Menschen, die durch Öl-Schlamm waten, von Stahl-Platten erschlagen werden und sich an den Kanten der Reste – etwa eines Kreuzfahrtschiffs – blutig schneiden.

„Klimapolitik wird zum Wirtschaftsfaktor“ – lese ich. Den Satz lese ich mir immer wieder vor, und ich verstehe ihn nicht. Kapitalismus und Klima sind „nicht per se Gegensätze“ – lese ich. Doch, denke ich, aber auch das verstehe ich nicht wirklich. Weder die Behauptung noch meinen Trotz. „300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es (das Kapital – d. A.) nicht riskiert“ – das verstehe ich. Dagegen gehalten:  Könnte es sein, die Welt aus einer „Greenwashing“-Perspektive gesehen, 400 Prozent, und es existiert keine Wohltat, die es nicht riskiert, 500 Prozent, und das Kapital legt sich als Mutti-Hand über das fiebrige Gesicht der Welt, und es flüstert: Heile, heile Segen! Fink verspricht es, Kaeser verspricht es, vielleicht steigt demnächst der liebe Gott hernieder und sagt: Endlich habt ihr’s kapiert, ihr Hirnis!

Plötzlich ist der Kapitalismus doch der Kumpel, von dem geraunt wird, er könne das Klima auf der Erde retten, mithin den Planeten. Und das kann er, weil es die Kapitalisten und ihre Apologeten behaupten. Wie der Löwe brüllt, er mag kein Fleisch?

Ich glaube durchaus, dass sich die Warenproduktion ändert (sie ist darauf trainiert), wenn ein Geldgeber wie BlackRock verlauten lässt, das Geld flösse fürderhin nur noch in Unternehmen, die ökologisch, nachhaltig, klimafreundlich arbeiten und ökologisch nachhaltige, klimafreundliche Waren herstellen, die auf dem Weg zum Produkt ihren Charakter nicht verlieren. Die also nicht zu aufgemotzten Verkaufsangeboten werden, die einen manipulierten Käufer zum Kauf reizen. Weil die Ware plötzlich einen verführerischen Glanz bekommen hat, den ihr Status, Mode, Zeitgeistigkeit, Werbung verleihen, sondern nur dazu hergestellt wurde, wozu sie gebraucht wird?

Und dann der Eisberg, nee, ein Eisberg, von der Wärme losgetreten bei Grönland, so wie damals, als einer der „Titanic“ den Spaß versaute. Und wer weiß schon, wo dieser Traum-Kahn mit der inzwischen romantisierenden Weltelite sich gerade befindet. Und sollten die Passagiere ihre Langeweile vertreiben wollen, empfehle ich ihnen, „Schiffe versenken“ zu spielen.