Immer deutlicher werden die Hinweise darauf, dass Banknoten und Münzen im täglichen Zahlungsverkehr bald nur noch eine marginale und schließlich überhaupt keine Rolle mehr spielen werden. Sie sind dann nur noch Sammelobjekte für Numismatiker. Schon heute bevorzugen Menschen im Alter von unter 30 Jahren zum Bezahlen ihrer Einkäufe Debit- und Kreditkarten und sind es vor allem Ältere, die lieber noch mit Scheinen und Münzen bezahlen. Die Generation „70 plus“ ist aber nicht diejenige, die den Trend für die Zukunft vorgibt. Das sind eindeutig die Jüngeren. Und die begrüßen es durchaus, dass die entwickelte Welt sich in Richtung einer bargeldlosen Geldwirtschaft bewegt. Schritte auf diesem Wege sind auch, dass die Europäische Zentralbank (EZB) keine 500-Euro-Scheine mehr ausgibt, dass die Ein- und Zwei-Cent-Münzen demnächst eingezogen oder durch entsprechende Preisregeln überflüssig gemacht werden und dass inzwischen fast alle Euro-Staaten Obergrenzen für Barzahlungen eingeführt haben.
Der Wechsel vom Bargeld zu elektronischen Zahlungsinstrumenten und der Übergang vom baren zum bargeldlosen Zahlungsverkehr ist eine unabdingbare Konsequenz des technischen Fortschritts. Er ist daher nicht aufzuhalten und nicht zu umgehen. Hinzu kommt, dass diese Entwicklung beträchtliche Einsparpotenziale mit sich bringt und folglich für die Geld- und Kreditwirtschaft wie für die Volkswirtschaften insgesamt enorme Effizienzgewinne verspricht. Es versteht sich deshalb fast schon von selbst, dass die Substitution des Bargeldes durch unbare Zahlungsmittel und digitales Geld bewusst angestrebt und geldpolitisch forciert wird. Als weitere Gründe dafür lassen sich zudem die größere Transparenz der finanziellen Transaktionen, die trotz Datendiebstahl und Online-Betrug steigende Sicherheit des Geldverkehrs sowie die größere staatliche Kontrollmöglichkeit in diesem Bereich anführen. Auch würden die Märkte für Schwarzarbeit, Drogen, illegale Waffengeschäfte und so weiter ohne Bargeld schneller „austrocknen“ und Finanzdelikte und Steuerhinterziehung riskanter und leichter nachweisbar werden.
Obwohl eigentlich alles für die baldige Abschaffung des Bargeldes spricht, gibt es doch Gegner dieser Entwicklung. Sie führen vor allem zwei Argumente ins Feld: Erstens die Tatsache, dass das Bargeld „geprägte Freiheit“ (Fjodor Dostojewski) sei und es daher dem einzelnen Bürger ermögliche, sich dem Zugriff des Staates zu entziehen. Dagegen ließe sich vorbringen, dass diese Freiheit oft missbraucht werde, zum Beispiel durch Steuerhinterziehung, und daher besser einzuschränken oder aufzuheben sei. Zweitens weisen Ökonomen darauf hin, dass in einer Welt ohne Bargeld keine Chance mehr bestünde, sich den Auswirkungen einer „Politik des leichten Geldes“ der Zentralbank zu entziehen. Die sind vor allem in einer Negativverzinsung von Bankguthaben zu sehen. Um eine solche dauerhaft durchsetzen zu können, wäre es notwendig, zuvor das Bargeld abzuschaffen. Den Sparern bliebe so keine Möglichkeit mehr, der monetären Enteignungspolitik der EZB in ihrem Geldaufbewahrungs- und Geldanlageverhalten auszuweichen. Sie wären ihr dann vielmehr alternativlos ausgeliefert.
Im Unterschied zum ersten Argument ist diese Überlegung nicht von der Hand zu weisen. Sie wird aber dadurch relativiert, dass das Bargeld gegenwärtig nur noch einen Anteil von fünf bis zehn Prozent am gesamten Geldvolumen hat, weshalb die Auswirkungen einer Negativzinspolitik ohnehin schon greifen. Zudem bezieht sich die Argumentation auf Nominalzinssätze. Ausschlaggebend aber ist die von der Entwicklung des Preisniveaus abhängende Realverzinsung. Dabei zeigt sich, dass im Falle einer Inflationspolitik der Notenbanken die Besitzer von Bargeld nicht besser dran sind als diejenigen, die ihr Geld unverzinst auf Konten deponiert haben. Sie wären genauso Verlierer einer Geldentwertung wie die Kontoinhaber, während die Kreditnehmer (Schuldner) die Gewinner wären.
Hinter dieser ganzen Diskussion steckt ein Problem, das bisher nur von Finanzexperten erkannt worden ist: Der Tatbestand nämlich, dass nach gegenwärtiger Rechtslage ausschließlich Banknoten und (mengenmäßig beschränkt) Münzen „gesetzliches Zahlungsmittel“ sind, das volumenmäßig überwiegende Giralgeld der Geschäftsbanken dagegen nicht. Dieses Faktum spielt im praktischen Leben kaum eine Rolle, da Bargeld jederzeit in Giralgeld und Giralgeld jederzeit in Bargeld konvertiert werden kann. Juristisch ist diese Differenz, also der Unterschied zwischen dem von der EZB als gesetzliches Zahlungsmittel emittierten baren Zentralbankgeld und dem unbaren Giralgeld privater und genossenschaftlicher Banken, das lediglich einen Anspruch auf Zentralbankgeld darstellt, jedoch von eminenter Bedeutung. Soll das zweistufige Bankensystem, bestehend aus einer Zentralbank (EZB) und einer Vielzahl von Geschäftsbanken, auch künftig Bestand haben, so bedarf es auch weiterhin eines doppelten Geldsystems, bestehend aus Zentralbankgeld als gesetzlichem Zahlungsmittel und Geschäftsbankengeld. Die Konsequenz dessen ist, dass bevor das Bargeld komplett abgeschafft werden kann, ein anderes gesetzliches Zahlungsmittel geschaffen werden muss. Das darf aber kein privates Geld sein, wie zum Beispiel die konzerneigene digitale Facebook-Währung Libra, sondern ein staatliches Geld, emittiert durch die EZB.
Es überrascht daher nicht, dass man in der EZB gegenwärtig fieberhaft daran arbeitet, ein solches Geld, ein allgemein zugängliches digitales Zentralbankgeld, für die Euro-Staaten zu schaffen: den digitalen Euro. Erst wenn dieses Geld monetäre Realität ist, kann der definitive Ausstieg aus dem Bargeld erfolgen. Erst mit dem digitalen Euro wäre ein Zentralbankgeld kreiert, das den Anforderungen des 21. Jahrhunderts genügt. Euro-Banknoten und Euro-Münzen würden dann zu Sammelobjekten für Numismatiker werden. Ganz so wie es die Relikte früherer Geld- und Währungssysteme heute sind: Handelsobjekte auf Münzbörsen und Flohmärkten, aber kein Zirkulations- und Zahlungsmittel mehr im Wirtschaftsgeschehen.
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