Am 24. und 25. Januar 2020 fand in Aschersleben ein Landesparteitag der SPD Sachsen-Anhalt statt. Dort nahm auch die neue Parteivorsitzende Saskia Esken teil. Für die Fernsehnachrichten wurde sie kurz befragt. Allein Gesichtsausdruck, das matte Reden und die Körpersprache zeigten deutlich, sie erscheint jetzt schon müde und überfordert. Dass sie wenig charismatisch und ohne Ausstrahlung ist, war ja von Anfang an klar. Die SPD hatte monatelang eine Personaldebatte geführt, weil sie eine Debatte über ihre Politik und Strategie offensichtlich nicht führen wollte. Und am Ende kreißte der Berg und gebar zwei ganz kleine Mäuse.
Die Linkspartei hatte im vorigen Jahr eine „Strategiedebatte“ ausgelobt und Mitglieder, Sympathisanten und Wähler aufgerufen, den „aktuellen gesellschaftlichen Umbruch“ sowie die vorrangige Aufgabe und Funktion der Linkspartei zu beschreiben und gefragt, was „dringend unternommen werden“ solle „für eine realistische und an die Wurzel der Probleme gehende linke Politik“. Wenn man zurückschaut, hat bereits die PDS, dann die Linkspartei dauernd Programm- und Strategiedebatten geführt. Und was hat es genützt? Ein linker Aufschwung, wie in den 2000er Jahren erhofft, blieb aus. Die Partei bleibt seit der Bundestagswahl 2017 bei der Sonntagsfrage bundesweit bei den etwa neun Prozent, die sie damals erreicht hatte. Ein Glück, sagen die einen, nicht wieder in der Nähe der Fünf-Prozent-Hürde. Ein Zeichen von Stagnation, sagen andere, angesichts der derzeitigen Umbrüche im Parteiensystem, Grünen-Euphorie, SPD-Abbau und AfD-Zusprüchen. Am Ende scheint diese Strategiedebatte angesetzt worden zu sein, um weder über die Politik noch über das Personal zu diskutieren. Wer das genauer beobachtet hat, kommt jedoch zu der Folgerung, dass das Problem der Linkspartei nicht die „Strategie“ ist, sondern die im Regierungshandeln in der Regel gemachte Politik und das politische Personal. Ausnahmen scheinen Bodo Ramelow – der seinen Wahlkampf jedoch als Landesvater gemacht hatte und Plakate ohne Parteilogo kleben ließ – und der Berliner „Mietendeckel“. Aber zwei Schwalben machen noch keinen Sommer.
Ein linkes Problem angesichts der innenpolitischen Inferiorität ist ein nach außen gerichtetes Kompensationsstreben. In den 2000er Jahren Begeisterung für die Linken im Aufschwung in Lateinamerika, die jedoch bald von Nörgelei über patriarchale Strukturen und Handlungsweisen, Machismo, autoritäre Strukturen auch unter den dortigen Linken und „Extraktivismus“ – also Abbau von Rohstoffen zum Zwecke des Exports, um soziale Programme im Lande finanzieren zu können – überlagert wurde. Der „edle Wilde“, wie das Phänomen unter europäischen Schöngeistern bereits vor Jahrhunderten genannt wurde, entsprach nicht den moralisierenden Ansprüchen der linken Schwarmgeister von heute. Angesichts der Niederlagen linker Bewegungen und Regierungen in Lateinamerika herrscht jetzt betretenes Schweigen.
Es folgte eine ostentative Begeisterung für den „Arabischen Frühling“ 2010/11. Eine krude Form dieser Begeisterung war eine Bewegung mit dem Namen „Adopt a Revolution“, nach der Devise: die Araber können das nicht alleine, sie brauchen deutsche oder europäische Vormünder. Hier wieder die postmoderne, netzaffine, akademisch gebildete, urbane Jugend, die sich untereinander verständigt und vernetzt. Alle sind gleich, aber die Deutschen doch gleicher. Am Ende mündete dieser „Frühling“ jedoch in Krieg, Bürgerkrieg und Staatszerstörung in Libyen, Syrien und Jemen sowie neuen Autoritarismus in Ägypten. Wieder verbreitet Schweigen.
Nach dem Wahlsieg von Alexis Tsipras 2015 richteten sich die Erwartungen auf die griechische Linksregierung von Syriza, die das Land angesichts von Finanzkrise und Sozialabbau zu stabilisieren versuchte. Unter deutschen Linken hieß es rasch, das sei der Durchbruch, der die Mauern des Neoliberalismus in der EU zum Einstürzen bringen werde. Am Ende zwangen die deutsche Bundesregierung und die EU-Kommission die griechische Regierung dazu, die Knebel-Bedingungen zur Euro-Stabilisierung und zum weiteren Sozialabbau zu akzeptieren. Dieselben Leute, die eben noch den Neoliberalismus wanken sahen, schimpften nun über „Verrat“ von Syriza. Kein Wort darüber, dass keine Linkspartei oder Linken-Bundestagsfraktion imstande war, dem Finanzminister Schäuble in den Arm zu fallen.
Dann folgten ab 2015 eine große Begeisterung für Jeremy Corbyn, der es als Linker geschafft hatte, Vorsitzender der britischen Labour-Partei zu werden, und ab 2016 für den US-Amerikaner Bernie Sanders, der von „demokratischem Sozialismus“ geredet hatte und fast Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei wurde. Hier hing die Euphorie auch damit zusammen, dass das akademisch gebildete, städtische Mittelklasse-Milieu, das überwiegend den Nachwuchs nicht nur der Grünen, sondern auch der beiden roten Parteien stellt, in seiner globalen Orientierung vor allem auf die angelsächsische Welt ausgerichtet ist. Nur, gewählt wurden Donald Trump und Boris Johnson, und nach dem desaströsen Wahlergebnis der Labour-Partei im Dezember 2019 bleibt Corbyn nur die geordnete Übergabe. Wie die Kandidatenkür der Demokraten in den USA ausgehen wird, ist ungewiss.
Die linke kompensatorische Begeisterung schaut inzwischen nach Frankreich – Stichwort „Gelbwesten“ – und wieder nach Arabien. Proteste in Algerien, Sudan, Irak, Libanon. Die Jugend ist auf der Straße, gegen verkrustete Machtstrukturen, Arbeitslosigkeit und Korruption. Und worauf läuft es hinaus? In Algerien und Irak haben die Regierenden Öleinnahmen und können gegebenenfalls finanziell etwas Erleichterung kaufen. Im Libanon nicht. Wenn es keine Regierung mehr gibt, keine Ordnung und keine Institutionen, die zum Beispiel die Währung stabilisieren, was erwarten dann eigentlich die Demonstranten und Randalierer? Dass aus dem Chaos heraus Manna vom Himmel fällt? Aber während Marxisten früher darüber nachdachten, wie denn die „materielle Produktion“ funktioniert und anders gestaltet sein kann, glauben manche Linke heute auch hierzulande, der Strom kommt aus der Steckdose und das Geld aus dem Geldautomaten oder steckt im Smartphone.
Schlagwörter: arabischer Frühling, Bernhard Romeike, Die Linke, Lateinamerika, Strategie