von Wolfgang Brauer
Am 11. Juni 2019 erfolgte nach inzwischen zwei Jahrzehnte andauerndem politische Gezerre der „Spatenstich“ zum Baubeginn der Erweiterung des Berliner „Bauhaus-Archivs/Museum für Gestaltung“ in der Klingelhöfer Straße in Tiergarten. Dem Museum ist zu gratulieren: Für die Berliner Kulturpolitik ist es ein Armutszeugnis sondergleichen. Im 100. Gründungsjahr des Bauhauses eröffneten sowohl Weimar als auch Dessau neue, auf unterschiedliche Weise höchst bemerkenswerte Museumsbauten. Die bedeutendere Sammlung liegt allerdings in Berlin. Aber gut im Depot verwahrt. Einige Exponate sind jetzt auf Reisen gegangen – zu den Jubiläumsausstellungen an anderen Orten.
Zumindest ein kleiner Teil der Sammlung ist derzeit in der Berlinischen Galerie zu sehen. „original bauhaus“ nennt sich die Schau und sucht – so jedenfalls das Leitmotiv – in insgesamt 14 Fallstudien zu 14 herausragenden Exponaten dem spannenden Verhältnis von Original, Kopie und Massenprodukt auf die Spur zu kommen. Das lohnt unbedingt den Besuch. Wer über den Preis einer nachgebauten Wilhelm-Wagenfeld-Tischlampe oder von Marianne-Brandt-Blecharbeiten, die man im Shop der Galerie erwerben kann, irritiert ist – angeblich wollte das Bauhaus doch geschmackvolle und preiswerte Produkte für den Massenbedarf liefern … –, findet in der Ausstellung Erklärungen.
Im Zentrum der Exposition stehen aber die Vorkurse, denen sich alle Bauhaus-Studentinnen und -Studenten unterziehen mussten. Die Vorkurse sind eine Besonderheit des Bauhauses. Am Anfang steht Johannes Itten, er leitet diese Ausbildung bis zu seinem Abgang 1923. Die Ausstellungsmacher billigen ihm verschämt zu, dass er „von esoterischen Ideen inspiriert“ gewesen sei. Damit untertreiben sie absichtsvoll seine durchaus vorhandene Affinität zu zumindest faschismuskompatiblen Theorien. Itten folgen Lászlo Moholy-Nagy bis 1928 und schließlich Josef Albers, selbst Bauhaus-Schüler, dann bis zur Schließung der Einrichtung in Berlin 1933.
Spannend wird das Erlebnis „Vorkurs“ durch die Vielfalt der verwendeten Materialien, Techniken und die sehr unterschiedlichen didaktischen Zugänge. Die Aufgabenstellungen waren selbst bei gottgleichen Lehrerpersönlichkeiten auf eine erstaunliche Weise ergebnisoffen, und die Studienarbeiten verblüffen selbst heute noch durch ihre Vielfalt und gestalterische Stringenz. Natürlich ist das noch keine Kunst, auch wenn Walter Gropius selbst 1938 bei der von ihm verantworteten Ausstellung „The Bauhaus 1919-1929“ im New Yorker Museum of Modern Art den Auftakt für eine Musealisierung auch der Vorkursarbeiten gab. Interessanterweise klammerte er im MoMa die Arbeitsergebnisse seiner Nachfolger Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe aus.
Die Berliner Ausstellung sucht diese Ikonisierung zu durchbrechen, indem sie den Vorkurs als „work in progress“ zeigt – und den Besuchern ermöglicht, sich in einer interaktiven Medienstation „Vorkurs machen“ selbst auszuprobieren. Deren Arbeitsplätze sind von jungen Menschen dicht umlagert. Das geschafft zu haben, ist das eigentliche Verdienst der Ausstellungsmacher. Das Bauhaus ist inzwischen so mythenumwoben, dass es Nicht-Eingeweihten immer schwerer fällt, über die Überwältigung durch den ästhetischen Glamour seiner Produkte hinaus den rationalen Kern seines kulturpolitischen Ansatzes zu finden. Wer das schafft, wird mit einer Mischung von Erstaunen und Erschrecken feststellen, dass diese scheinbar homogene und durchaus geschlossene Gesellschaft „Bauhaus“ ein Spiegelbild der in sich zerrissenen Weimarer Republik darstellt. Sein Untergang war also mit dem Ende Weimars folgerichtig. Ebenso folgerichtig war es, dass seine ästhetischen Ansätze unter den nachfolgenden politischen Bedingungen, denen sich die „Bauhäusler“ weltweit aussetzten – auch im nationalsozialistischen Deutschland! – höchst unterschiedlich adaptiert wurden. Bis hin zur Pervertierung. Thomas Drachenberg, Landeskonservator von Brandenburg, wies dieser Tage am Beispiel der Bauhausschüler Ernst Neufert und Fritz Ertl auf diese Ambivalenz hin: Während Ersterer bei den Nazis „Reichsbeauftragter für Baunormung“ wurde, entwickelte Letzterer in Auschwitz „die serielle Produktion von Baracken, in denen wiederum etliche andere Bauhäusler kaserniert wurden, bevor man sie umbrachte“.
Nach dem Jubiläum ist vor dem Jubiläum. 2029 wird der Umbau des Berliner „Bauhaus-Archivs“ möglicherweise beendet sein. Als Jubiläumsausstellung wünschte ich mir dann eine Exposition, die das widersprüchliche Weiterleben der Ideen des Bauhauses nach 1933 aufzeigt. Jenseits der immer noch wirksamen Instrumentalisierung im Zeichen des Kalten Krieges. Angegriffen wurde das Bauhaus von den Nazis, attackiert wurde es in den 1950ern in der Bundesrepublik nicht weniger heftig als in der DDR …
Was darf heute eigentlich den Anspruch auf „original Bauhaus“ erheben? In Kupfer getriebene Teekännchen in einem Nobelladen für gehobenen Bedarf an der Berliner Kantstraße?
original bauhaus. Die Jubiläumsausstellung, Berlinische Galerie (Alte Jakobstraße 124-128, 10969 Berlin), bis 27.01.2020, Mittwoch bis Montag 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr; Katalog.
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