22. Jahrgang | Nummer 20 | 30. September 2019

Zweiter Weltkrieg: die Schlacht um Arnheim und Nimwegen

von Alfons Markuske

„[…] bei der ganzen Operation wurde
die alte Regel ignoriert, dass in der Praxis
kein Plan die Berührung mit dem Feind überlebt.“
Antony Beevor

Ältere Leser erinnern sich vielleicht noch an das Kriegsepos „Die Brücke von Arnheim“ von Richard Attenborough aus dem Jahre 1977. Mit internationaler Starbesetzung: Michael Caine, Sean Connery, Gene Hackman, Robert Redford, Lawrence Olivier, Hardy Krüger, Maximilian Schell und Liv Ullmann, um nur die bekanntesten zu nennen. Es ging um „Market Garden“, eine Luft-Boden-Operation und zugleich das größte Luftlandeunternehmen der Amerikaner und Briten (zuzüglich eines polnischen Kontingents) im Zweiten Weltkrieg. „Market Garden“ wurde im September 1944 in den Niederlanden mit dem Ziel gestartet, Brücken über den Rhein unzerstört in die Hände zu bekommen, um einen raschen Vormarsch nach Deutschland zu ermöglichen.
Das Vorhaben scheiterte unter schwersten Verlusten.
Der englische Titel des Films – „A Bridge Too Far“ („Eine zu ferne Brücke“) – benannte zumindest einen der Gründe für das Debakel: Etwa 40.000 Fallschirmjäger wurden 110 Kilometer hinter den feindlichen Linien abgesetzt, und den alliierten Bodentruppen gelang es nicht, rechtzeitig zu deren Entsetzung das Kampfgebiet zu erreichen.
Im Übrigen aber erzählte der Film ein Heldenepos und lag damit ziemlich genau auf der Linie des jahrzehntelang vorherrschenden westlichen Narrativs, dass, wie Antony Beevor in seiner gerade auf Deutsch publizierten Monographie rekapituliert, „die Schlacht von Arnheim ein heldenhaftes, lohnendes Wagnis gewesen sei“.
Das war sie, Beevors Befund zufolge, mitnichten. Des Autors Fazit lautet vielmehr, dass „das Grundkonzept von Operation Market Garden gegen die militärische Logik [verstieß], denn darin wurde weder berücksichtigt, dass etwas fehlschlagen könnte, noch erwogen, welche Reaktion vom Feind zu erwarten war“. Der gesamte Plan habe vielmehr „allein auf der Annahme […], dass die deutsche Wehrmacht gerade zusammenbrach“, beruht.
Eine verhängnisvolle Fehleinschätzung, die gravierenden Planungsfehlern Vorschub leistete. Der vielleicht kardinalste: Alliierte Bodentruppen sollten bei Eindhoven die deutsche Front durchbrechen und die über 100 Kilometer bis Arnheim im Eilmarsch zurücklegen. Auf der einzigen in diesem Gebiet dorthin führenden, für Schwerlastverkehr jedoch nur sehr bedingt tauglichen Straße. Die befand sich auf einem erhöhten Damm – mit tief matschigem Polderland rechts und links davon, das für Panzer und beladene LKWs nicht befahrbar war. Die Straße war zudem zu schmal für zwei nebeneinander fahrende Panzer oder LKWs und somit ohne jeden Manövrierraum im Falle deutscher Gegenwehr. Durch dieses längste Nadelöhr der Kriegsgeschichte sollten, so zumindest die alliierten Planungen, 20.000 Fahrzeuge vorstoßen.
Später schrieb ein Garde-Offizier über eine Kolonne von Panzern auf dieser Straße, deren erste drei von den Deutschen binnen einer einzigen Minute außer Gefecht gesetzt worden waren, die Fahrzeuge seien „wie Blechenten zum Abschießen in einer Jahrmarktsbude“ aufgereiht gewesen. Die Amerikaner tauften die Trasse treffend „Hell’s Highway“ – Straße zur Hölle.
Was die Luftlandeoperation anbetraf, so ergab sich während der Vorbereitungsphase, dass man bis zu drei Tage benötigen würde, um alle vorgesehenen Fallschirmjäger und ihr schweres Kampfgerät an Ort und Stelle zu bringen, weil die ursprüngliche Annahme der Planer, an Schleppflugzeuge jeweils zwei Lastensegler mit Mannschaften und Ausrüstungen ankoppeln zu können, wegen der zu bewältigenden Entfernungen wieder fallengelassen werden musste. Ein Lastensegler pro Anflug. Und die drei Tage wären auch nur bei idealem Flugwetter – das dann nicht eintrat – zu halten gewesen. Außerdem sollte bei Tage angegriffen werden. Damit war ein entscheidender Faktor für den Erfolg von Luftlandeunternehmen von vornherein verspielt – das Überraschungsmoment.
Auch stand bereits vor Beginn der Operation praktisch fest, dass die Nachschubversorgung für die gelandeten Verbände nicht im notwendigen Umfang zu sichern sein würde. Während der Kämpfe fiel dann auch noch weitgehend der Funkverkehr zwischen den alliierten Kräften am Boden und ihren kampfunterstützenden Jagdfliegern aus, was ein wirksames Zusammenspiel nur punktuell zustande kommen ließ. Und um den Funkverkehr mit den Versorgungsfliegern stand es nicht besser, so dass Nachschub in Größenordnungen die kämpfenden Verbände gar nicht erreichte.
Querelen im Vorfeld des Unternehmens zwischen den alliierten Oberbefehlshabern Dwight D. Eisenhower (USA) und Bernard L. Montgomery (UK) taten ein Übriges. Und nicht zuletzt zeigte Montgomery „nicht das geringste Interesse an den praktischen Problemen von Luftlandeoperationen“, ja er weigerte sich gar, Hinweise der niederländischen Verbündeten zu den Schwierigkeiten des Geländes im Operationsgebiet auch nur zur Kenntnis zu nehmen.
Vor diesem Hintergrund äußerte Lieutenant Colonel John Frost, der die Truppen an der Brücke von Arnheim kommandieren und dort schwer verwundet werden sollte, vor Beginn des Unternehmens: „Das gibt ein Blutbad.“ Selbst einer der unmittelbaren Planer sprach von „Selbstmordkommando“.
Und genau so kam es zwischen dem 17. und 27. September 1944, wie Beevor sehr detailliert und immer wieder höchst plastisch darstellt.
Als exemplarisch für das Schicksal der alliierten Luftlandeeinheiten kann der Fall der King’s Own Scottish Borderers gelten. Beevor zitiert aus einem Bericht des Kommandeurs der Einheit: „Binnen einer Stunde verlor das Bataillon zwei Drittel seiner Männer, die meisten Transportmittel und viele schwere Waffen.“ Nach ihrer schließlichen Evakuierung zählte die Einheit noch vier Offiziere und 72 Mann – „fast exakt“, so Beevor, „ein Zehntel der Bataillonsstärke […] nach der Landung zehn Tage zuvor.“
Zahlreiche Opfer zu beklagen hatte nicht zuletzt die niederländische Zivilbevölkerung im Kampfgebiet. Die Städte Arnheim und Nimwegen wurden durch alliierte Bombenangriffe, vor allem aber durch die deutsche Gegenwehr am Boden großenteils zerstört. Nach Abflauen der Kämpfe vertrieben die Deutschen als eine ihrer Rachemaßnahmen die 150.000 Einwohner von Arnheim aus den Ruinen ihrer Stadt und plünderten diese ausgiebig. Der Wiederaufbau Arnheims war erst 1969 vollendet.
Wenn Antony Beevor in seiner Danksagung davon spricht, dass es „wenig Sinn gehabt [hätte], ein weiteres Buch über Operation Market Garden zu schreiben, ohne der Geschichte ein beträchtliches Maß an neuem Material und an Einzelheiten über die beteiligten Menschen hinzuzufügen“, so muss dem Autor konzediert werden, dass er seinen selbst formulierten Anspruch vollauf erfüllt hat.
Zu den Überlebenden des verheerenden Debakels der Operation „Market Garden“, die bei Beevor auftauchen und später noch beachtliche Karrieren machen sollten, zählten übrigens auf britischer Seite zum Beispiel Captain John Profumo, 1961 jener Kriegsminister Ihrer britischen Majestät, der über eine Affaire mit einer 19-jährigen Tänzerin zu Fall kam, die er sich zur Hochzeit des Kalten Krieges ausgerechnet mit dem sowjetischen Marineattaché in London teilte, und Captain Lord Carrington, der nachmalige Außenminister unter Margret Thatcher. Sowie auf amerikanischer Seite Major General Maxwell D. Taylor, in der ersten Hälfte der 1960er Jahre Vorsitzender der Vereinigten Generalstabschefs der USA und mit seinem bereits 1959 erschienenen Buch „The Uncertain Trumpet“ ein maßgeblicher Vordenker der Flexible Response, der NATO-Nuklearstrategie, die von 1967 bis zum Ende der Systemauseinandersetzung galt.

Antony Beevor: Arnheim. Der Kampf um die Brücken über den Rhein, C. Bertelsmann Verlag, München 2019, 543 Seiten, 28,00 Euro.