von Renate Hoffmann
Endlich! Er ist gefunden. Und seine Echtheit durch ein Zertifikat beglaubigt. Das verehrungswürdige Überbleibsel des Wanderheiligen Fontane. Nunmehr Bruder gleichen Sinnes mit dem Fernläufer Johann Gottfried Seume (1763–1810), der unverdrossen bis Syrakus durchmarschierte. Wohingegen Theodor sich auf die Mark Brandenburg beschränkte. Er hat das Land berühmt gemacht, nicht die Preußen. Ohne ihn wäre die Mark ein weißer Fleck.
Wer wüsste denn Bescheid über die Grafschaft Ruppin, über Zernikow und das Wustrauer Luch? Oder über Neuhardenberg, welches einstens Quilitz hieß? Wer machte sich schon Gedanken über Marquardt und die Ordensgemeinschaft der „Rosenkreuzer“, die dort ihre spiritistischen Sitzungen abhielten, an denen mitunter auch König Friedrich Wilhelm II. teilnahm? Oder Paretz mit Preußens Luise? Oder Schloss Hoppenrade und die alte Lindenallee, die bis zum Schloss Rheinsberg geführt haben soll? Wer berichtete schon über die geschichtsträchtigen Ortschaften rechts und links der Spree? Doch nur Er! Und in persönlicher Inaugenscheinnahme! Gewiss, er hatte seine Zuträgerinnen und Zuträger. Er nahm auch zwischenzeitlich ein Gefährt („Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, Hoppenrade: „Nicht ohne Neugier und Erregung war es, […] als wir in unserer hin und her schwankenden Chaise die große Rüsterallee hinauffuhren …“). Auch bewegte ihn ernsthaft der Gedanke: „… spazieren zu sitzen, ist ein Genuss …“ Doch den Großteil der Inspektionen bewältigte Th. F. zu Fuß.
Seumes Stiefel, so behauptete dieser, seien unterwegs auf seinem „Spaziergang nach Syrakus“ nur zweimal nachbesohlt worden und hätten von Grimma-Hohnstädt (Start) über Syrakus und Paris bis nach Poserna, (Ortsteil von Lützen), seiner Geburtsstätte und dem Ziel, durchgehalten.
Nun war es an der Zeit, nach Fontanes Wanderschuhen zu forschen. Irgendwo mussten sie doch geblieben sein. Zu meiner freudigen Überraschung sah ich sie – korrekterweise: sah ich ihn, denn es ist ein wertvolles Einzelstück – im Wegemuseum der Gemeinde Wusterhausen/Dosse. Bestätigt und gedruckt, Theodor war hier. In den „Wanderungen“ beschreibt er das Städtchen und seine Historie ausführlich. Und vermerkt, die Bürger hätten sogar in den Jahren um 1360 Verbindungen zur Hanse gesucht. Mit feinem Spott unterlegt, notiert er: „…wie stark auch die Zweifel sein mögen, die sich speziell an diese Tradition knüpfen, so entzückt es doch meine Phantasie, mir Wusterhausen zu denken, wie es mit einem Sechzehntel Anteil am Bug eines Orlogschiffes steht und dem König Waldemar samt dem ganzen Norden Gesetze vorschreibt.“
Es versteht sich, dass die Gemeinde dem Jubilar Fontane eine Sonderschau ausrichtete (über die Spöttelei sah man großmütig hinweg). Was keine der zahlreichen Würdigungen aus Bildung, Wissenschaft und Kultur bieten kann, das bietet Wusterhausen: Theos Wanderschuh.
Im Wegemuseum – welches mit Gewinn, außer dem kostbaren Schuhwerk, zu besichtigen wäre (Verkehr und Wegenetz im Wandel der Zeit) – widmete Reinhard Zabka, künstlerischer Betreiber des „Lügenmuseums“ in Radebeul, Theodor Fontane eine Installation großen Stils. Gaukelspiel par excellence, Feuerwerk der Fantasie und mit unbändiger Lust an hintersinnigem Humor ausgelegt. Im Raum knarrt, zischt und klappert es, Lichter huschen, aberwitzige Objekte bewegen und drehen sich, musikähnliche Klänge klingen, ein fliegender Teppich fliegt. Und als Blickfang: Der Schuh.
Im feierlichen Gehäuse, einem Altar mit geöffneten Flügeln gleich, auf einem Podest, geschützt in einer Vitrine aus schusssicherem Glas, von oben bis unten von Enzyklopädien und hochnobler Literatur umfangen, festlich erleuchtet durch eine antike Glühbirne an der Strippe: die Reliquie. Schriftlicher Hinweis: „Wanderschuh aus dem Roddahner Forst gefunden von Rice Donst“ oder Dunst? Inmitten der Eulenspiegeleien, weiß man nicht genau, wo der Schelmenstreich beginnt und wo er endet.
Theos Schuh ist aus derbem Leder, gegerbt und imprägniert durch Wasser, Wind und Wetter. Er ist durch märkischen Sand gelaufen und durch märkische Pfützen. Erkenne ich es recht, so wurde der Absatz dreimal vom Schuster angesetzt (befindet sich aber inzwischen in ziemlich lavedem Zustand). Die hintere Naht ist aufgeplatzt, die Sohle gelöst. Und zur Glaubwürdigkeit des hohen Alters überzieht eine dichte Moosschicht das Fundstück. – Nun stellen sich Fragen.
Was suchte Theodor im Roddahner Forst? Die verbliebenen Reste eines Burgwalles der Bredows oder der Quitzows? Wie kam er in sein Quartier mit nur einem Schuh? War die zweite Fußbekleidung im Unterholz abhandengekommen? Ging er in Strümpfen weiter?
Würde man Theodor Fontane nach seiner Meinung zum Kunstobjekt im Wegemuseum zu Wusterhausen befragen, wäre er dann ärgerlich oder gar gekränkt? – Die Antwort hieße, seinem Naturell gehorchend und nachgewiesenermaßen: „Ohne ein gewisses Quantum von ‚Mumpitz‘ geht es nicht.“
Fontanes Wanderschuh. Objekte aus dem Lügenmuseum Reinhard Zabka, Ausstellung im Wegemuseum Wusterhausen/Dosse, Am Markt 3, bis zum 14. September 2019; geöffnet Die 13–18 Uhr, Do/Fr 10–17 Uhr, Sa 10–16 Uhr, So 13–16 Uhr.
Schlagwörter: Reinhard Zabka, Renate Hoffmann, Theodor Fontane, Wegemuseum Wusterhausen/Dosse