von Dieter Naumann
Im Jahr 2019 feiert Garz, Rügens älteste und kleinste Stadt, ihr 700. Jubiläum. Grund genug zu recherchieren, wie sich Garz in historischen Reiseführern darstellte.
Autoren wie Gotthard Ludwig Theobul Kosegarten, Heinrich Laube und Friedrich Lampert erwähnen die Stadt überhaupt nicht, obwohl ihnen deren Alter und die Gleichsetzung des Garzer Burgwalls mit dem Fürstensitz Charenza bekannt gewesen sein dürften. Diese inzwischen widerlegte Identifikation hielt sich hartnäckig in der Rügenliteratur und bildete anfangs den einzigen Gegenstand bei der Beschreibung von Garz. Es gab sogar Empfehlungen, Garz zu meiden, wie 1847 bei Theodor von Kobbe und Wilhelm Cornelius: „Das Städtchen Garz, die vormals alte Fürstenburg Carenza, lassen wir links liegen […]“ Als Gründe werden unter anderem verwittertes Pflaster und „kein hübsch Gesicht“ in Gedichtform angegeben.
Man könnte das nicht gerade zu den literarischen Kostbarkeiten gehörende Gedicht ignorieren, wäre da nicht die Sundine. Unterhaltungsblatt für Neu-Vorpommern und Rügen, vom 29. Dezember 1841, die sich zu einigen Missständen in Garz äußert. Die Stadt habe seit einigen Jahren endlich begonnen, Steindämme zu legen, was dringend notwendig sei, „denn es ist auf Straßen in Garz so weit zu, daß man nicht anders als mit großen Stiefeln durchkommen kann […], vor allem bei regnigtem Wetter und schlechter Jahreszeit“. Das betreffe auch den Weg zur Kirche, denn dorthin ziehe man sich doch nicht so an, als wolle man zur Jagd oder zur Fischerei, besonders für Frauen sei es „ein bißchen zu arg“.
Johann Friedrich Zöllner kritisiert 1795, dass die „Chronistenschreiber, wie gewöhnlich“, aus der Residenzstadt eine große Handelsstadt „gefabelt“ hätten, tatsächlich sei sie jedoch nichts anderes gewesen als eine Burg mit einem Flecken, „wovon noch jetzt einige unbedeutende Rudera (Trümmer – D.N.) vorhanden sind“. Immerhin charakterisiert er die Stadt als „nach hiesiger Landesart recht hübsch gebaut und scheint ein nahrhafter Ort zu seyn, wozu auch die hiesige Poststation etwas beiträgt“.
„Garz nun ist ein unschuldiges Ding von Städtchen“, schreibt Karl Nernst 1800. „Sie brüstet sich ganz und gar nicht mit dem Charakter einer Stadt, zeigt sich vielmehr in der niedrigen Gestalt eines schlechten Dorfes […] – wenn nicht die beiden geschickt ausgeschnittenen Büsten vor der Thüre des Rathhauses, das Rathhaus und dieses einen löbl. Magistrat und das Daseyn desselben hinwiederum einen mit städtischer Gerechtigkeit bewidmeten Ort verriehte“. Dennoch sei die Umgebung „nichts weniger denn todt und unlieblich“, enthalte vielmehr für den Naturfreund mannigfaltige Reize. Johann Jacob Grümbke verweist 1805 darauf, dass Garz durch Kriege „gebrandschatzt, verwüstet und durch verschiedene Flammenbrünste eingeäschert“ wurde und so zu seiner jetzigen „Unbedeutendheit“ herabsank. Die Häuser seien klein, niedrig, manche noch mit Stroh bedeckt und nicht massiv, die höchstens drei bis vier Hauptgassen seien ungepflastert und würden bei anhaltendem Regenwetter „äußerst tief und kotig“. Deshalb werde gespottet, die Garzer würden im Herbst ihren Damm abnehmen und für den Sommer aufbewahren.
Karl Balthasar Schneider findet 1823 in Garz selbst „nichts Sehenswerthes und wir eilen also nur sogleich dessen interessanteren Umgebungen zu“. Damit meint er unter anderem „mehrere Dörfer […], die den Namen Wendorf führen“, wobei sich die Kirche, in der die Garzer eingepfarrt sind, und der Pfarrhof in einem dieser Dörfer befänden.
Statt des Bedürfnisses an stimmungsvollen Naturbildern in den Reisebeschreibungen wächst in der Leserschaft von Reiseführern indes bald das Interesse, die damit geweckten Emotionen selbst zu erleben, und damit der Bedarf an sachlichen Informationen. Anfangs tut man sich dabei zumindest mit der Benennung empfehlenswerter Gasthöfe noch schwer. So wird in einem Reiseführer 1828 zwar die Möglichkeit zum „Mittagsmahle“ in Garz betont, aber kein Gasthof angegeben. 1834 verweist ein Reiseführer darauf, Garz habe auch „Wirthshäuser, deren man viele sieht“, allerdings ohne sie zu benennen. In der Folgezeit werden die Angaben immer detaillierter. 1888/89 werden als erstes Hotel das „Hôtel du Nord“und „täglich einmal Postverb. nach Samtens in 1¾ St., tägl. Omnibus und Post nach Puttbus“ erwähnt. 1903/04 folgt im Reiseführer von Arthur Schuster der Hinweis, dass Garz „jetzt Station der Kleinbahn“ ist.
Zu dieser Zeit warnte das Rügensche Kreis- und Anzeigeblatt vom 2. Februar 1903 die Gasthaus- und Hotelbesitzer: „Es scheint sich hier und in der Umgebung ein junger schlanker Mensch mit schwarzem Schnurrbart herumzutreiben, der sich als Pferdeaufkäufer ausgiebt und im Sommer Hausdiener sein will. Er hat sich den Namen Mann gegeben. Sein Aufenthalt soll augenblicklich Garz sein. Dieser Mann scheint die Wirthe zu betrügen; er lässt sich Speisen, Getränke und Logis verabfolgen und ist Morgens dann verschwunden, ohne zu zahlen. Bekleidet war der Mann mit einem blauen Anzuge und einem zerlumpten blauen Regenrock.“
Der Reiseführer von Grieben nennt 1912/13 erstmals für das als „empfehlenswert“ charakterisierte „Bahnhofshotel“ Zimmer- und Frühstückspreise: Demnach werden für ein Zimmer 1½ bis 2½ Mark verlangt, Frühstück kostet 50 Pfennige. Garz sei jetzt eine „einfache Sommerfrische (mit Badeanstalt im Garzer See)“, außerdem verweist man auf den evangelischen Gottesdienst in der Kirche, „kath. nur hin und wieder“. Erst später können der evangelische und der katholische Gottesdienst in jeweils eigenen Kirchen stattfinden.
Arthur Schusters Reiseführer aktualisiert 1913/14: Die Stadt habe Post- und Telegrafenamt, eine Gasanstalt („Aerogengas-Beleuchtungsanlage“), schöne breite Straßen „und wird jetzt auch Trottoir erhalten“. Durch die Kleinbahn bestehe direkte Verbindung mit Altefähr, Putbus und den rügenschen Badeorten.
1926 verweist Griebens Reiseführer auf das 1844 eröffnete „Rettungshaus“ für arme und verwahrloste Kinder (später „Knabenerziehungsheim“), das als Jugendherberge geöffnet sei, und auf Arzt und Apotheker im Ort. Zu den üblichen Ausflugsmöglichkeiten kommen Hinweise auf das Geburtshaus von Ernst Moritz Arndt in Groß Schoritz und das alte Pfarrwitwenhaus in der Zudarstraße, in dem Arndt seinen frühesten Unterricht erhalten habe. Um 1930 finden sich in den Reiseführern Angaben für „Automobilisten“: Das „Hotel Nordischer Hof“ verfügt inzwischen über eine Autohalle, erwähnt werden neu entstandene „Autostraßen“.
1935 hebt der Grieben das neue Ernst-Moritz-Arndt-Museum hervor („Eintritt jederzeit, 30 Pf.“), unter anderem mit dem Garzer Stadtbuch, und das 1930 eröffnete erste deutsche Diabetikerheim von Prof. Katsch, Greifswald.
Anziehungspunkte in der heutigen 2000-Einwohner-Stadt sind unter anderem das Ernst-Moritz-Arndt-Museum mit einem modernen Anbau nahe dem Burgwall, die Kirche, in der Arndt getauft wurde, die futuristische Kindertagesstätte „Wildblume“ (genannt „UFO“) und das nahe gelegene Gut Rosengarten.
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