22. Jahrgang | Nummer 9 | 29. April 2019

Medien-Mosaik

von bebe

Als Federico Fellini 1973 gefragt wurde, warum sein neuer Film „Amarcord“ heiße, ein Titel, den selbst Italiener schwer entschlüsseln können, antwortete er, dass er einfach einen außergewöhnlichen Namen für einen außergewöhnlichen Film präsentieren wollte. Daran muss wohl auch Filmkritiker Heinz Kersten gedacht haben, als er sein neues Buch „Filicudi“ nannte, aber doch ein Oder hinzufügte: „oder das ausgelöffelte Leben“. Kersten, ein Dresdner vom Jahrgang 1926, hat tatsächlich ein außergewöhnliches Leben „ausgelöffelt“. Von Kierkegaard stammt das Motto des Bandes „Das Leben wird vorwärts gelebt, und rückwärts verstanden.“ Kerstens Familie lebte im entfernten Pirna, als Dresden am 13. Februar 1945 in Schutt und Asche fiel. Er selbst war skeptisches Mitglied der Wehrmacht. Nach dem Krieg studierte er zunächst an der Ostberliner Humboldt-Universität, bevor er schon 1948 an die Westberliner Freie Universität wechselte. Damals war das noch kein großer Schritt. Kersten schildert sein Leben in den aufregenden 50er Jahren in Berlin zwischen Ost und West. Dass er dabei nicht von Kontakten mit einschlägigen Geheimdiensten verschont bleibt, beschreibt er erstaunlich beiläufig, führten sie doch 1964 zu Verhaftung und Gefängnisaufenthalt in der DDR. Er war zum Objekt des Kalten Krieges geworden. Damals hatte er mit Hilfe des Bonner Ministeriums für Gesamtdeutsche Fragen bereits eine Filmgeschichte der DEFA veröffentlicht, die verhältnismäßig objektiv ausfiel und auf Jahrzehnte die einzige blieb, so dass sie bis in die achtziger Jahre auch als Lehrmaterial für Babelsberger Filmstudenten diente. In dieser Zeit war Kersten, der unter anderem für den Tagesspiegel und RIAS Berlin von allen großen Filmfestivals der Welt berichtete, nicht selten ein mit gemischten Gefühlen betrachteter Gast bei Filmtreffen in der DDR.
Wer in Kerstens Buch nur zweimal ganz beiläufig erwähnt wird, ist Herbert König. Das war der Name, unter dem er aufwuchs. Warum Heinz Kersten sein Pseudonym wurde, berichtet er nicht. Wird noch ein weiterer Band das Geheimnis lüften? Von einigen sexuellen Eskapaden, seiner Arbeit, erweitert durch einige publizistische Aufsätze aus der Zeit, berichtet er in „Filicudi“ (der Name seiner italienischen Lieblingsinsel). Er hätte das Buch auch „Amarcord“ nennen können, denn das heißt laut Fellini „Ich erinnere mich“.

Heinz Kersten mit Christel Drawer: Filicudi oder Das ausgelöffelte Leben, Vistas Verlag, Leipzig 2018, 258 Seiten, 22,00 Euro.

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Können Filme ihrer literarischen Vorlage eine neue Dimension geben? Viele werden es verneinen. Sibylle Wirsing hat ein Gegenbeispiel: „Erst die Fotografie hat ans Licht gebracht, dass sich die Menschlichkeit des Stechlin nicht auf die Sprache und die Gespräche beschränkt, sondern auch ganz einfach da ist, anwesend in wortlosen Vorgängen, die sich alle so sehr von selber verstehen, dass sie von der Leserphantasie allenfalls schnell registriert, aber nicht realisiert werden. Was der Film entdeckt, ist eine Wirklichkeit, die Fontane durch und durch lautlos komponiert hat.“ Der Aufsatz zum Dreiteiler „Der Stechlin“ von Rolf Hädrich und Dieter Meichsner erschien schon 1975 in der FAZ und machte auf die Verfilmung neugierig. Jetzt wurde er Teil der Publikationsreihe „Die Mark Brandenburg“, die sich in Heft 112 dem Thema „Theodor Fontane im Film“ widmet. In acht Beiträgen wird dem Phänomen der immerhin 40 Film- und Fernsehadaptionen von Fontane-Werken auf den Grund gegangen – nun ja, zumindest gründlich daran gekratzt. Am aufschlussreichsten sind die Beiträge, die sich einzelnen Werken widmen, den „Effi Briest“-Verfilmungen, oder den „Wanderungen durch die Mark“. Ein Übersichtsartikel von Michael Grisko über die Fontane-Adaptionen in der DDR bleibt an der Oberfläche, hat zumindest auch einen Fehler, wenn er Claus Hammel als Autor des DEFA-Films „Corinna Schmidt“ (1951) nennt, dessen Fontane-Stück „Frau Jenny Treibel“ erst 1964 Premiere hatte. Einerseits kommt die DDR schlecht weg (Detlef Ignasiak nennt den nach wie vor existierenden Namen der Neuruppiner Hauptstraße als Karl-Marx-Straße missbilligend „beziehungslos“), andererseits kann man bei Meyer-Karutz über die „Wanderungen“ lesen: „Die Mark hatte das Glück gehabt, dass den Sozialisten das Geld fehlte, um aus ihr eine Betonwüste zu machen, wie das in Westdeutschland nicht selten geschehen ist.“
Das Heft hat Übersichten über Fontanes Fahrten in der Mark und über die Fontane-Verfilmungen. Die sind zahlreich, aber nicht vollständig wiedergegeben. Die erste Fontane-Adaption erschien schon zur Stummfilmzeit 1920 als „Wildes Blut“ nach der Novelle „Erweckung“, und zumindest einmal wurde Fontane auch im Ausland verfilmt. 1971 konnten spanische TV-Zuschauer „Frau Jenny Treibel“ erleben. – Trotz der Einschränkungen kann man mit dem Heft viele anregende Entdeckungen auf Fontanes Spuren machen.

Die Mark Brandenburg, Heft 112: Theodor Fontane im Film, Berlin 2019, 50 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 6,00 Euro.