von Clemens Fischer
Ein Bonmot weiß: „The road to hell is paved with men who started out with honorable intentions.“ (Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit Männern, die mit ehrenhaften Absichten gestartet sind.) Zu diesen Männern gehört ganz gewiss nicht der frühere Vizepräsident der USA Dick Cheney (unter Bush junior von 2001 bis 2009). Er gehört zwar in des Satans übelste Abteilung, weil er „praktisch im Alleingang den Irak-Krieg orchestriert hat“ (Hauptdarsteller Christian Bale über Cheney), der Hunderttausende Zivilisten dort das Leben kostete, den Islamischen Staat ermöglichte und immer noch weitere Opfer fordert. Aber ein Mann mit ehrenwerten Absichten war er zu keinem Zeitpunkt. So das Fazit des dokumentarisch angelegten Streifens „The Vice – Der zweite Mann“ von Adam McKay. Cheney selbst hat übrigens ein ausgesprochenes Faible für Darth Vader …
Ob er als Vizepräsident kandidieren würde, war Cheney aus dem Kreise jener Kräfte angesprochen worden, die zwar den gut lenkbaren Bush junior – ein politisches Leichtgewicht und in jüngeren Jahren (wie im Übrigen auch Cheney) ein rechter Tunichtgut und Trunkenbold – ins Präsidentenamt hieven, ihm jedoch einen ausgebufften Profi an die Seite stellen wollten. Da hatte Cheney schon Karrieren hinter sich: Er war jüngster Stabschef im Weißen Haus unter Präsident Gerald Ford und Verteidigungsminister unter Bush senior. Inzwischen war er allerdings CEO von Haliburton, einem international agierenden Konzern im Bereich der Erdöl- und Energieindustrie. Da konnte Vizepräsident kein verlockendes Angebot sein, denn der, so Cheneys Frau im Film, sitze nur herum und warte, dass der Präsident sterbe. Doch Cheney handelte Bush junior als Bedingung für seinen Einstieg in dessen Team außen- und sicherheitspolitische Entscheidungs- und Handlungsvollmachten ab, wie sie nie zuvor und seither nie wieder ein Vizepräsident hatte. Überdies mischte der Vize auf weiteren Gebieten mit, etwa bei der wirtschaftsrelevanten Gesetzgebung – insbesondere im Hinblick auf Deregulierungsentscheidungen. Das sind üblicherweise die, nach denen die Aktienkurse betroffener Branchen schon mal durch die Decke gehen.
Haliburton vergoldete Cheney seinen Abschied mit um die 25 Millionen Dollar – dem doppelten des üblichen Bonus‘. Die Mitteilung darüber quittiert Cheneys Frau (Amy Adams, großartig) – die intellektuelle Nummer Eins in dieser Ehe – im Film mit der lapidaren Bemerkung: „Die sind doch nicht dumm!“ Da traf sie den Nagel aber so etwas von auf den Kopf: Es war eine in jeder Hinsicht lohnende Investition!
Ob Cheney die Irak-Invasion in erster Linie wegen geschäftlicher Interessen Haliburtons losgetreten hat, nachdem sich nach 9/11 die Möglichkeit dazu bot, wird Spekulation bleiben, weil nur er selbst, „einer der verschwiegensten Politiker der Welt“ (so im Vorspann des Films), das bestätigen könnte. Fakt ist aber: Haliburton hat nach der Invasion in Irak prächtig verdient. Eine Schlüsselszene im Film: Zwei berichterstattende hohe US-Militärs sitzen dem Vizepräsidenten und dem Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gegenüber und thematisieren Unregelmäßigkeiten bei der Auftragsvergabe an Haliburton in Irak. Cheney unterbricht: „Don, macht uns das Sorgen?“ Der grient sardonisch: „Nein. Nächster Punkt.“ Den Militärs gefrieren die Kinnladen … Als Cheneys Vize-Zeit vorüber war, hatte, wie im Abspann des Films mitgeteilt wird, der Aktienkurs des Konzerns um 500 Prozent zugelegt.
Christian Bale (Oscar 2011 als bester Nebendarsteller in „The Fighter“, Golden Globe und Oscar-Nominierung 2019 für Cheney) stellt sich mit seiner darstellerischen Leistung in eine Reihe mit solchen Titanen des Method Acting wie Dustin Hoffmann („Little Big Man“, „Tootsie“, „Rain Man“) und Robert de Niro („Taxidriver“, „Es war einmal in Amerika“, „Zeit des Erwachens“). Er fraß sich für diese Rolle übrigens 30 Kilo Gewicht an.
Nicht zuletzt ist Drehbuchautor und Regisseur Adam McKay offensichtlich ein Zeitgenosse, der seinen schwarzen Humor an Autoren wie Roald Dahl und Stanley Ellin geschult haben könnte. Das erschließt sich zur Gänze aber erst am Schluss des Streifens, als der Aus-dem-Off-Erzähler des Films, der in der Handlung immer wieder als ganz normaler Amerikaner aufgetaucht ist, mit seinem finalen Schicksal hadert …
„The Vice – Der zweite Mann“ – Drehbuch und Regie: Adam McKay. Derzeit in den Kinos.
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Unter den für das erste Halbjahr avisierten Kinofilmen mit kriminellem Touch befinden sich wenigstens drei, deren Hauptdarsteller damit ausgesprochene Spätwerke abgeliefert haben und deren Namen ihre Fangemeinden jedes Mal aufs Neue elektrisieren. Der eine ist Robert Redford (82), der erklärt hat, der Streifen „Ein Gauner und Gentleman“ (deutscher Kinostart: 28. März) werde definitiv sein Abschied vor der Kamera sein. Der zweite, Sir Michael Caine (85), wird in „Ein letzter Job“ (Kinostart: 25. April) zu sehen sein. Und den Anfang gemacht hat gerade Clint Eastwood (88) mit „The Mule“.
Im Unterschied zu üblichen Filmbesprechungen werden Handlungen an dieser Stelle nicht verraten, um das Kinoerlebnis nicht durch Erwartbarkeiten zu schmälern. Was könnte man über „The Mule“ aber trotzdem sagen, um die Neugier potenzieller Kinogänger zu wecken? Mindestens dieses: Der Streifen ist ein investigatives Lehrstück über die ruinösen wirtschaftlichen Folgen des Internets für kleine Gewerbetreibende. Er ist eine nachhaltige Parabel darüber, dass aufs falsche Pferd setzt, wer über der Arbeit die Familie vernachlässigt. Er ist ein schönes Beispiel dafür, dass die Polizei manchmal tatsächlich dein Freund und Helfer ist, selbst wenn sie dich hinter Gitter bringt, und schließlich ist er ein zu Herzen gehender Appell, mit kriminell erworbenem Geld vor allem Gutes zu tun, um den damit Beglückten in guter Erinnerung zu bleiben.
Vor vier Jahren hieß es an dieser Stelle: „Es gibt Schauspieler, die sind wie alter Whisky – je älter, je besser. Bisweilen gilt das auch für ihre Regiearbeiten. Clint Eastwood ist ein solcher.“ Das hat er erneut unter Beweis gestellt.
„The Mule“ – Regie und Hauptrolle: Clint Eastwood. Derzeit in den Kinos.
Schlagwörter: Clemens Fischer, Clint Eastwood, Dick Cheney, Mule, USA, Vice