von Ulrich Busch
Eigentlich ist es nicht Aufgabe des Weltwirtschaftsforums in Davos hoch in den Schweizer Alpen, bei dem jährlich wichtige Vertreter aus Politik und Wirtschaft zusammenkommen, um über die Konjunkturaussichten und die Unterstützung der Wirtschaft durch die Politik zu debattieren, Angst zu verbreiten. In diesem Jahr war dies jedoch der Fall. Und zwar gleich vom ersten Tage an. Zum Auftakt erklärte die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, dass der wirtschaftliche Aufschwung, der seit der Überwindung der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise andauere, nun allmählich zu Ende gehe und daher für die Zukunft mit weniger Wachstum und steigenden Risiken zu rechnen sei. Hinzu kommen derzeit besondere Unsicherheitsfaktoren wie der Handelsstreit zwischen China und den USA und die ungelösten Fragen des Brexit, woraus insbesondere den Volkswirtschaften der Europäischen Union große Probleme erwachsen könnten. Neben den markigen Worten und trüben Vorhersagen gibt es natürlich empirisch gestützte Prognosen und Statistiken, die den Anwesenden zur Verfügung gestellt wurden. Aber die besagen auch nichts anderes als das, was man schon weiß, nämlich dass im gegenwärtigen Konjunkturzyklus der Scheitelpunkt überschritten worden ist und folglich ein Abschwung bevorsteht.
Kaum war diese Einschätzung raus, da gab es auch schon die ersten Hiobsbotschaften: China meldete, dass sein Wirtschaftswachstum in diesem Jahr nur 6,0 bis 6,5 Prozent betragen werde, was gegenüber den Vorjahren eine deutliche Reduzierung bedeutet. Zu allem Überfluss ist das Handelsbilanzdefizit der USA gegenüber China trotz der von Präsident Donald Trump verhängten Strafzölle auf Importe aus China 2018 nicht gesunken, sondern weiter gestiegen, und zwar gleich um beachtliche 17 Prozent. Damit hat sich die wirtschaftliche Schieflage zwischen den beiden Giganten der Weltwirtschaft nicht wie erwartet verringert, sondern weiter vergrößert. Dies erhöht die Spannungen zwischen beiden Staaten und lässt eine eruptive Lösung immer wahrscheinlicher werden. Hinzu kommt, dass es bei den Brexit-Verhandlungen kaum noch Aussichten auf eine einvernehmliche Lösung gibt. Die Fronten sind verhärtet und die Briten praktizieren so etwas wie einen „nationalen Suizid“ ihrer Wirtschaft, der auf andere Volkswirtschaften ausstrahlen wird.
Das Schlimmste aber ist, dass die Welt – mit Ausnahme der USA – auf eine neue Finanzkrise nicht wirklich vorbereitet ist. So wären im Falle eines ökonomischen Kollaps die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bank of Japan (BoJ) nicht in der Lage, angemessen, das heißt mit einer massiven Zinssenkung, zu reagieren, da das Zinsniveau seit Jahren extrem niedrig beziehungsweise negativ ist. Die vielfach beschworene „Zinswende“, die dies verändert hätte, wurde immer wieder hinausgeschoben und fand letztlich nicht statt. Mit der Eintrübung der Konjunkturaussichten ist jetzt aber eine Situation eingetreten, in der es kontraproduktiv wäre, eine Zinswende zu vollziehen. Es ist daher dem UBS-Banker Axel Weber zuzustimmen, der in Davos sagte: „Das Projekt Normalisierung der Zinsen kann als beendet gelten“. Aber damit fehlt den Zentralbaken nicht nur ein wichtiges Instrument ihrer Geldpolitik und für die Krisenprävention. Es ist auch viel zu viel Geld im Umlauf, das nun nicht mehr neutralisiert werden kann. Während der Finanzkrise 2008 und in den Folgejahren haben alle Zentralbanken ihre Kredit- und Geldemission ausgeweitet und ihre Bilanzsummen massiv vergrößert. Allein die drei größten Notenbanken, die Fed (Federal Reserve) in den USA, die EZB in der Eurozone und die BoJ in Japan, haben in der vergangenen Dekade ihre Bilanzen um insgesamt 10,5 Billionen US-Dollar (10.500.000.000.000 USD) ausgeweitet. Eine Zurückführung dieser Mittel hat es nur in den USA gegeben, und auch dort nicht in ausreichendem Umfange. Die EZB und die BoJ dagegen halten an ihrer Nullzins-Politik fest und sind damit in ihrem Handlungsspielraum stark eingeschränkt. Von daher drohen große Gefahren für die Weltwirtschaft, sollte es zu einer erneuten Finanzkrise kommen.
In Deutschland frohlocken die Politiker und Ökonomen noch, dass es nicht zum Schlimmsten kommen werde. Abkühlung ja, aber keine Rezession – liest man in den Fachzeitschriften. Die Prognose für das Wirtschaftswachstum 2019 wurde aber bereits drastisch reduziert, von 2,6 Prozent auf 1,0 Prozent. Und das mit dem Nachsatz, ein ungeregelter Brexit werde vermutlich noch einmal 0,3 Prozent Wachstum kosten. Dann blieben nur noch 0,7 Prozent Wachstum übrig, statt der ursprünglich erwarteten 2,6 Prozent. Das Jahr 2018 war das neunte Jahr in Folge mit einem beachtlichen Wirtschaftswachstum. Da ist es normal, wenn die Wirtschaft nun weniger stark wächst. Die Folgen werden aber trotzdem schmerzhaft sein, für den Fiskus, für die Sozialprogramme, für die Beschäftigung und für die europäische Integration.
All das wurde im Januar in Davos in Graubünden auf dem 49. Weltwirtschaftsgipfel in 1.560 Meter Höhe debattiert. Abgestürzt ist dabei niemand, aber die Angst vor einem Absturz der heimischen Wirtschaft ging bei den Teilnehmern um. Die Risiken für eine jähe Wende haben im Laufe des letzten Jahres eindeutig zugenommen und die Globalisierung sorgt dafür, dass es letztlich alle trifft, wenn es zum „großen Knall“ kommt. Allerdings wird es die einen mehr treffen, die anderen weniger. So war es auch beim letzten Mal.
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