von Erhard Weinholz
Kommunisten, in gewissen Kreisen auch als Kommenisten bezeichnet, sind im hiesigen Alltag kaum noch zu finden. Eher selten waren sie aber früher schon, sogar im Osten. Zwar hat Erich Honecker sich und die Seinen gern so genannt, doch sehr zu Unrecht. Als er 1986 zum letzten Male vor einem SED-Parteitag im Namen des ZK Rechenschaft ablegte, kam dabei der Weg zum Kommunismus nur noch kurz am Rande vor. Das war immerhin realistisch: Volk und Partei, beide hatten andere Sorgen – das Volk, dem Zukunftsträumereien ohnehin ziemlich egal waren, widmete sich mehr denn je dem eigenen Alltag, den Alltagssorgen aller Art, und der Partei war über die Mühen, den Großbetrieb DDR am Laufen zu halten, nicht nur das Visionäre aus dem Blick geraten, sondern fast schon die Zukunft überhaupt. Der massenhafte Murks, der in den 80ern erzeugt wurde, zeigte das auf seine Weise.
Öffentlich diskutiert werden konnte dergleichen natürlich nicht. Dazu passt, dass Honecker in seinem Bericht keinerlei Fragezeichen zuließ. Ich meine wirkliche, nicht etwa die Stalinschen, die rein rhetorisch gemeint waren: Genossinnen und Genossen, kann man sagen, dass uns die Kommunistenfresser leidtun, die nun mangels Kommunisten darben müssen? Nein, liebe Genossinnen und Genossen … Hatten wir es in der DDR vielleicht mit dem sogenannten Kasernenhofkommunismus zu tun? Für das Stalinsche System wäre der Begriff noch schmeichelhaft gewesen, denn auf Kasernenhöfen, den preußischen zumindest, ging es wenigstens ehrlich zu. Hierzulande bildete sich stattdessen wohl eher eine deutsche Abart des Kadarschen Gulaschkommunismus heraus, der ja besser als gar nichts war; der Kommandoton verlor allmählich an Schärfe. Der von Freigeistern aus der FKP erhoffte Champagnerkommunismus hingegen, Motto: Lasst 1000 Korken knallen! wird wohl ewig Wunschtraum bleiben.
Lamentieren: ein deutscher Volkssport, nicht zu verwechseln mit dem ebenfalls allseits beliebten Meckern: Meckern ist Angriff, Lamento reine Klage. Gern beklagt wird zum Beispiel seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten sogar der unübersehbare Kulturverfall. Auch ich stimme gelegentlich ein – siehe hier unter N und in der nächsten Folge unter Q. Neueren Datums ist die Klage über den Demokratieabbau, der entweder schleichend oder rapide erfolgt, ein mittleres Tempo scheint es hier nicht zu geben. Sie war vor zehn Jahren zu hören, vor zwanzig, vor fünfzig … Fünfzig Jahre Demokratieabbau, das wäre doch eine Sondermarke der Bundespost wert gewesen. Aber wie lässt sich dieser Abbau graphisch symbolisieren? Ein gerupfter Bundesadler käme jedenfalls nicht in Frage, denn Adler haben mit der Demokratie bekanntlich nicht viel am Hut. Als ich neulich wieder einmal Klagen über diesen Abbau hörte – ich verrate nicht, wo –, dachte ich: Mein Gott, was müssen die Bundesdeutschen damals in den 50ern, unter dem hochseligen Konrad Adenauer, für eine tolle Demokratie gehabt haben – Abbau, Abbau, nichts als Abbau, und trotzdem ist immer noch eine ganze Menge davon übrig.
Aber ist die Demokratie, die höchst unvollkommene heutige, nicht wirklich in Gefahr? Das ist sie sehr wohl, aber die Gefahr kommt von anderer Seite, unter anderem von denen, die diese Unvollkommenheit als Argument gegen sie ins Spiel bringen.
Mafiosi muss es in einer Weltstadt nun einmal geben – und Berlin ist doch eine Weltstadt, oder? Gehobener gesagt: Sie gehören zu ihren unvermeidlichen Begleiterscheinungen. Es sind scheue Menschen, man bekommt sie nur selten zu sehen. Vor einiger Zeit habe ich aber auf dem ehemaligen Mauerstreifen an der Bernauer Straße ein Zeichen ihrer Anwesenheit entdeckt: In einem Gestrüpp dort hing eine Mafia-Krawatte – schwarz und mit kleinen grauen Totenköpfen geziert. Vielleicht war damit jemand in dieser unwirtlichen Gegend erdrosselt worden? Oder handelte es sich bei dieser Krawatte um einen Scherzartikel? Sie stank allerdings grauenhaft nach Parfüm, und das wiederum spricht für die Mafia-These.
Neues Deutschland, kurz ND genannt: Hatte als Zentralorgan der SED ein größeres Format als die übrigen Tageszeitungen in der DDR und war daher auch als Einwickelpapier gut zu gebrauchen. Gerade vor ein paar Wochen habe ich in einem Schuttcontainer eine Nummer vom November 1982 entdeckt, die zwei Rollen Rauhfasertapete umhüllte. Über diese Tapete gäbe es mancherlei zu sagen, vielleicht tue ich das auch einmal, mehr aber interessierte mich die Verpackung. Kulturverfall auch hier: In einer Überschrift war von Resultaten enger Gemeinschaftsarbeit die Rede. Bedenklicher noch waren die politischen Botschaften: Freundschaftliche Begegnung mit Iraks Präsident Hussein war auf Seite eins zu lesen, Herzliche Grüße des Staatschefs an Erich Honecker, weiter unten war von einem Treffen mit Abordnung der jugoslawischen Volksarmee die Rede, ihr Generalstabschef sprach mit Armeegeneral Heinz Hoffmann. So hatten sie alle zu tun, redeten miteinander, gaben Anweisungen, drangsalierten ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Gegner, kamen sich höchst wichtig vor und ahnten nichts. Nichts von alledem, was ein paar Jahre später auf sie einstürzen würde: Erschießung, Exil, Bürgerkrieg. Und wir? Haben ebenfalls nichts geahnt. Und ahnen auch heute nichts. Die meisten ahnen wohl nicht einmal, dass es überhaupt etwas zu ahnen gibt.
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