21. Jahrgang | Nummer 19 | 10. September 2018

Manet und die Erschießung eines Kaisers

von Wolfgang Brauer

Wer von der Uferpromenade der Bucht von Triest kommend den Park von Schloss Miramare – der immer noch entgeltfrei zugänglich ist – betritt, der kommt unweigerlich an der Scuderie, dem ehemaligen Marstall des Schlosses, vorbei. Man sollte dort innehalten und sich die Zeit für eine bemerkenswerte Ausstellung nehmen: „Massimiliano e Manet. Un incontro multimediale“ (Maximilian und Manet. Eine multimediale Begegnung).
Im Zentrum steht natürlich das großformatige Ölgemälde „Der Tod des Maximilian. 19. Juni 1867“ von Edouard Manet, 1868/69 entstanden. Das Bild befindet sich in der Kunsthalle Mannheim und ist im Original nicht Bestandteil der Triester Schau. Stattdessen wird – ausgehend von den Hintergründen des selbstmörderischen Mexiko-Abenteuers des österreichischen Erzherzogs Maximilian – seine Entstehungsgeschichte auf beeindruckende Weise aufgeblättert.
Maximilian, nächstjüngerer Bruder von Kaiser Franz Joseph I., Schwager der „Sissi“, hatte sich 1863 von exilierten konservativ-klerikalen Politikern auf Betreiben Napoleons III. die Kaiserkrone von Mexiko aufschwatzen lassen. Das Ganze geschah auch auf Drängen des Bruders, der nostalgisch-imperiale Träume pflegte. Mexiko hatte einmal zum Habsburger-Reich gehört. Zudem hatte die Vorstellung, den potenziellen Thron-Konkurrenten nach jenseits des Atlantischen Ozeans verfrachten zu können, auch einen gewissen Reiz für den ewig misstrauischen Franz Joseph. Maximilian war zu jener Zeit arbeitslos – den Gouverneursposten von Lombardo-Venetien war er 1859 losgeworden, 1861 verlor er auch das Oberkommando über die Flotte. Warnungen aus Großbritannien und den USA überhörte er, der Glanz der Kaiserkrone war wohl zu verlockend.
Mexiko war allerdings seit 1823 Republik. 1858 wurde der liberale Reformpolitiker Benito Juarez durchaus verfassungsgemäß Präsident. Das Land wurde daraufhin von den Konservativen in einen blutigen Bürgerkrieg gestürzt, in den sich nicht zuletzt Napoleon III. militärisch einmischte. Frankreich waren die Geschicke Mexikos dabei reichlich egal, aber man gierte nach seinen Bodenschätzen und wollte dem Vordringen der USA in den Süden des Kontinents einen Riegel vorschieben. Napoleon III. war außerdem auf eine zwielichtige Weise daran interessiert, ein möglichst großes Stück vom 82 Millionen US-Dollar umfassenden Schuldenkuchen der Mexikaner gegenüber europäischen Gläubigern für sich herauszuschneiden.
Es kam, wie es kommen musste: Maximilian merkte schnell, dass er in Mexiko nicht willkommen war und sich seine Macht ausschließlich auf die französischen Bajonette stützen konnte. Er hatte leicht konstitutionelle Anwandlungen – die kosteten ihn dann auch die Unterstützung der Klerikalen. In habsburgischem Dünkel befangen meinte er Stärke zeigen zu müssen und ließ 9000 gefangene Republikaner erschießen. Das machte ihn endgültig zu einer verhassten Figur.
1865 ging der Sezessionskrieg in den USA zu Ende, und Washington erinnerte sich wieder der Monroe-Doktrin. Es genügte ein diplomatischer Fingerzeig in Richtung Paris, und Napoleon III. zog seine Truppen ab. Maximilian, nun endgültig auf verlorenem Posten, wurde im Mai 1867 von den Truppen Benito Juarez’ gefangengesetzt. Man machte ihm wegen seiner Kriegsverbrechen den Prozess. Am 19. Juni 1867 wurde er in Querétaro erschossen. Am 16. Januar 1868 landete die Fregatte „Novara“ (sein Lieblingsschiff, das ihn auch nach Amerika befördert hatte) mit dem Leichnam in Triest. Die Witwe Charlotte hielt man noch wochenlang auf Schloss Miramare unter Verschluss. Carlotta verfiel dem Wahnsinn.
Edouard Manet befasste sich bereits 1867 mit der bildnerischen Gestaltung dieses Themas. Insgesamt stellte er – angeregt von Francisco de Goyas „Erschießung der madrilenischen Patrioten“ (1814) – vier Fassungen des Gemäldes her. Von Bildfindung zu Bildfindung – in der Ausstellung kann man das exzellent nachvollziehen – verschärfte sich die antinapoleonische Aussage. Schon in der zweiten Fassung trägt das Erschießungskommando französische Uniformen. Manets Freund Émile Zola brachte es auf den Punkt: „Frankreich erschießt Maximilian.“ Sowohl die Gemälde als auch die damit zusammenhängende Lithographie (1868) unterlagen daher der bonapartistischen Zensur. Als Folge befindet sich heute keine der vier Fassungen in Frankreich.
Das Museum Miramare zeigt neben der Multimedia-Ausstellung noch diverse Artefakte der Geschehnisse und Versuche aktueller künstlerischer Auseinandersetzung mit diesem extremen Beispiel gescheiterter imperialistischer Politik in spätmittelalterlich-monarchistischer Gestalt.
Ein Besuch der Ausstellung dämpft mögliche nostalgische Empfindungen beim anschließenden Gang durch das Traumschloss von Max und Charlotte. Auf einer der stillen Bänke des verwunschen wirkenden Parks kann man dann über die Zwangsläufigkeit nachdenken, mit der illusionsgeleitetes politisches Handeln regelmäßig in blutigen Desastern endet. Die Geschichte des Erzherzogs ist durchaus beispielhaft für heutige Politik. Gleiches trifft auf das Scheitern des Wahrheitssuchers Manet zu, der – möglicherweise unbewusst – den Mächtigen seiner Zeit künstlerisch zu sehr auf die Pelle rückte.

„Massimiliano und Manet. Ein Multimedia-Treffen“, Trieste: Schloss Miramare, Viale Miramare, noch bis 30. Dezember 2018 täglich 9:00 Uhr bis 18:30 Uhr; Katalog.