21. Jahrgang | Nummer 11 | 21. Mai 2018

Rund um den „Königsstuhl“

von Dieter Naumann

Bevor Pastor Heinrich Christoph von Willich 1794 den Sagarder Gesundbrunnen eröffnete und den ersten Fahrweg bis zum Königsstuhl anlegte, war die Stubnitz kaum bekannt, stellte Alfred Haas in Rügensche Skizzen, 1898 bei Julius Abel, Greifswald, erschienen, fest. So ist sie auf der 1618 erschienenen Karte von Eilhard Lubin falsch dargestellt, wird bei Ernst Heinrich Wackenroder (Altes und Neues Rügen) 1732 nur als Schlupfwinkel von Störtebeker erwähnt und erst 1745 in Kurtze Einleitung zur Geographie des Norder-Teutschlandes durch den Greifswalder Professor Albrecht Georg Schwarz ausführlicher beschrieben.
Johann Carl Friedrich Rellstab besuchte den Königstuhl 1795: „Man findet hier oben Rasenbänke, Rasentische und eine Schaukel“ (Ausflucht nach der Insel Rügen, 1797). Rellstab nutzte die Schaukel auf seine Weise: „[…] unter ganz sanftem Wiegen genoß ich ein Frühstück, welches nach pommerscher Art mit einem Schnaps begann. Nach dessen Genuß nickte ich ein […]“.
1801 ließ Pastor Willich eine einstöckige rohrgedeckte Hütte für die Gäste seines Gesundbrunnens errichten, die Rast machen oder „zur Not“ übernachten konnten. Kochgeräte, Feuerholz und Proviant waren jedoch mitzubringen, einen Wirt gab es nicht. Johann Jacob Grümbke beschrieb das Gebäude 1805 als Saal mit verschiedenen Seitenkabinetten zum Schutz vor Regen und zur Übernachtung, dahinter eine Hütte für Fuhrleute und Krippen für die Pferde.
1823 berichtet ein Rügenreisender, man habe 1819 ein Wirtshaus mit einem „Saale und vier kleinen Schlafkammern, jede mit 3 Betten“, erbaut. Das zweigeschossige Schweizerhaus, auch „Köhlerhütte“ genannt, wurde durch Gastwirt Lokenvitz aus Sagard bewirtschaftet, „und bietet uns, was ein nicht zu sehr verwöhnter Gaumen zur Labung bedarf“, schrieb Carl Balthasar Schneider 1823 in seinem Reisegesellschafter.
1835 bis 1838 wird neben dem Gasthaus auf Veranlassung des späteren Königs von Preußen, Friedrich Wilhelm IV., ein neues Hotel im Schweizer Stil nach einem Schinkelentwurf errichtet, der „Königliche Gasthof Stubbenkammer“, der aber am 4. August 1848 abbrennt und noch im gleichen Jahr durch einen Neubau ersetzt wird.
Der Berliner Journalist Gustav Rasch, der den Gasthof 1856 besuchte, lobte: „Über Wohnung und Verpflegung in dem Gasthause ist nichts Nachteiliges zu sagen. Man wohnt und schläft in den Zimmern des ersten Stockes ganz komfortabel und gemütlich; die Wohnzimmer, die parterre liegen, sind sogar elegant und geschmackvoll eingerichtet […]. Man diniert und soupiert auch ganz passabel […] Die Bedienung ist gut, der Wein ziemlich gut.“ Nicht zu akzeptieren seien jedoch die angeblich ‚civilen‘ Preise: […] der Gasthof zur Stubbenkammer übertrifft […] die Gasthöfe zu Windsor-Castle und Chamouny und die Restaurants in Saint-Cloud und Saint-Denis bei weitem.“ Ein Offizier „zog dem Wirt die Hälfte der Rechnung vor der Nase ab und stellte ihm die Alternative, entweder sich hiermit zu begnügen, oder ihn in Berlin beim Stadtgericht zu verklagen […]. So viel mir schien, hat Herr Behrendt (der damalige Pächter – der Verf.) seufzend den ersten Weg gewählt […]“
Der 1886 im Berliner Verlag von Barthof & Co. erschienene „Führer für Badegäste und Touristen“ von Edwin Müller beschrieb den mit Postagentur und Telefon ausgestatteten Gasthof als „Etablissement“, was „mit den angrenzenden Ökonomie-Gebäuden, umgeben von Gartenanlagen und Rasenflächen, mehr den Eindruck eines schönen Landsitzes, wie den eines Gasthofes (macht)“, und verwies zugleich auf ein pavillonartiges Nebenhaus, in dem sich seit 1885 das Museum des Privatiers Sternberg aus Stralsund mit einer „reiche(n) Kollektion von Waffen und Werkzeugen aus der Steinzeit“ befand. Die im Reiseführer genannten Preise waren inzwischen durch eine amtliche Taxe normiert: Für Logis und volle Verpflegung waren pro Woche zwischen 50 bis 70 (eine Person) und 180 bis 220 Mark (vier Personen) zu zahlen. Im so genannten Teufelsgrund, zu dem ein Weg führte, der „zwar […] hübsch, aber weniger gepflegt und oft schlüpfrig ist“, hatte Behrend eine Badehütte für seine Gäste eingerichtet, kleinere Fahrgastschiffe konnten anlegen.
Am 30. Oktober 1891 brennt auch dieses Haus ab, wird als Steinbau neu errichtet und im Sommer 1893 als „Hotel Stubbenkammer“ eröffnet. Pächter des Gasthofes war ab 1905 der „langjährige Besitzer des Ressource-Restaurants in Stralsund“ Hermann Müller aus Bergen. Unter seiner Leitung war der Gasthof gänzlich renoviert worden und verfügte nun über Wasserleitung und Kanalisation, elektrisches Licht, Warmbad im Hause und eine eigene Molkerei. Längst versah man selbstbewusst die von hier abgehenden Ansichtskarten und Briefe mit einem Sonderstempel des Hotels. Die Reiseführer vermerkten auch, dass sich die Preise schrittweise normalisierten.
Etwa um diese Zeit hatte Elizabeth von Arnim bei einer ihrer drei oder vier Rügen-Reisen die „Restaurationshalle“ und das Hotel besucht: „Auf der Rückseite des Restaurants ist ein offener Platz, wo viele Federbetten in roten Inletts auf dem Gras gelüftet wurden; Hühner und die wartenden Fahrer der Kutschwagen wanderten zwischen ihnen herum. Mitten auf dem diesem Platz steht ein großes, kahles gelbes Haus, das einzige Hotel in Stubbenkammer […]“ Die von Arnim übernachtete in einem Pavillon, konnte aber wegen spät heimkehrender Touristen nicht schlafen: „Sie kamen in heiteren Schüben bis in den Morgen hinein und sangen großartige und sehr blutrünstige Lieder vom Rhein und den Grenzen des Vaterlandes, als sie an meinem Fenster auf ihrem Weg zur Haustür vorbeikamen. Nach jedem Schub stand ich auf, öffnete vorsichtig das Fenster, wartete auf den nächsten und erschlug dabei Mücken.“
In den folgenden Jahren wurde die Zahl der Fremdenzimmer immer weiter reduziert, war aber dennoch selten ausgelastet; man zählte hauptsächlich auf die Tagestouristen, die durch den „Feuerregen“ (von den Kreidefelsen herabgestoßenes brennendes Geäst) und das Wrack des Stettiner Dampfers „Svionia“ angelockt wurden.
Nach der DDR-Zeit mit dem Grenzkommando Küste beherbergt das ehemalige Hotel heute das Nationalpark-Zentrum „Königsstuhl“. Die Herkunft des Namens „Königsstuhl“ wird in drei Varianten erklärt: Eine hängt mit einer angeblichen Mutprobe zusammen: Wer König Rügens sein wollte, musste von der Seeseite aus den Kreidefelsen erklimmen, durfte sich dann auf einen Stuhl aus Steinen und Erde setzen und wurde zum König bestimmt. Zu denen, die den Aufstieg tatsächlich gewagt hatten, gehörten der Altenkirchener Pastor „Theobul“ Kosegarten (Briefe eines Schiffbrüchigen, 1794) und der Berliner Geistliche Johann Friedrich Zöllner (Reise durch Pommern nach der Insel Rügen, 1797). 1815 kletterte auch der Dresdner Münzbeamte Friedrich Gotthelf Kummer, der mit Caspar David Friedrich Rügen durchstreifte, im Bereich der Kleinen Stubbenkammer herum und konnte schließlich an einer überhängenden Felswand weder vor noch zurück. „Dieses Erkennen der Hilflosigkeit war das Bitterste, was ich je in meinem Leben empfunden habe […]“ (Sundine, 1845). Nur mit Hilfe des Baumwärters Hans Jacob Ruge, seiner Frau und weiterer Personen konnte Kummer gerettet werden. Er schickte dem Ehepaar Ruge, das ihn noch ein dreiviertel Jahr gepflegt hat, später dankbar mehrere Geschenke, kümmerte sich um die Ausbildung ihrer Kinder und ließ den Ruges nach deren Tod Grabsteine auf dem Friedhof von Bobbin setzen. Noch 1828 schrieb der Reiseführer von Kind: „[…] zum Königsstuhl hinaufzuklettern (sei) bei trockenem Wetter und einiger Geschicklichkeit keineswegs gefährlich, aber sehr ermüdend, und daher im Allgemeinen nicht anzurathen.“
Einer weiteren Erklärung zufolge ist „Königsstuhl“ durch die Anwesenheit Carl XII. von Schweden begründet, der von hier aus am 8. August 1715 eine Seeschlacht zwischen seiner Flotte und der der Dänen im nordischen Krieg verfolgt haben soll. Dem widerspricht freilich, dass der Name „Königstuhl“bereits in einem Reisebericht des Pfarrherrn Johann Rhenan von 1584 erwähnt wurde.
Die letzte Erklärung geht davon aus, dass der Kreidefelsen wie ein erhabener Thron in der Landschaft steht, „denn wo hätte das entzückte Auge des Beschauers eine reichere Abwechselung als hier auf dem Königsstuhl?“, schrieb der Reiseführer von Dunker 1888.