21. Jahrgang | Nummer 10 | 7. Mai 2018

Strandrecht und Strandwerben

von Dieter Naumann

Als ein Wittower gestorben war, musste Petrus ihm sagen, „de letzten Plätz hebb’n ’n poor Hiddenseers innahmen.“ Also kein Platz mehr im Himmel. Der Wittower, nicht dumm, rief lauthals in den Himmel hinein: „Schipp up Strand!“ Sofort kamen die Hiddenseer gerannt, in der Hoffnung, wie zu Lebzeiten etwas Strandgut zu erben, und schon hatte der Wittower seinen Platz im Himmel. Auf Hiddensee wird diese Geschichte auch erzählt, freilich andersherum.
Realer Hintergrund war das Strandrecht, das laut Brockhaus von 1886 unter anderem „die verabscheuungswerte Befugnis [enthielt], sich der sämtlichen Güter und Sachen, welche auf einem gestrandeten Schiffe gefunden werden, […] zu bemächtigen“. Anfangs betrachtete der Strandbesitzer auch gestrandete Personen als sein Eigentum und machte sie zu Leibeigenen. „Dieses Recht“, schreibt der Brockhaus, „ist sehr alt und war ehedem in Deutschland und in anderen Ländern fast allgemein üblich, ja man flehte sogar in den Kirchengebeten zu Gott, dass er den Strand segnen, d. h. recht viele Menschen Schiffbruch möge leiden lassen.“ Strandbewohner sollen nachts Feuer unterhalten haben, um die Seeleute fehlzuleiten, vereinzelt wurden überlebende Besatzungsmitglieder getötet, um sich Strandgut widerstandslos aneignen und Anzeigen vermeiden zu können (Strandraub).
Matthäus von Normann (um 1490–1556?) beschrieb ab 1522 im „Wendisch-Rügianischen Landgebrauch“ die zur damaligen Zeit geltenden Rechtsgebräuche (in der Ausgabe von Thomas Heinrich Gadebusch 1774: „Vam Bergegelde der strandeden und stranddrifftigen Güter“ und „Van gefundenen Doden, so am Strande und anderswor befunden werden“). Demnach hatte der jeweilige Land- oder Gardvogt das Strandrecht für den Landesherrn durchzusetzen. Einige adlige Geschlechter sicherten sich das Privileg, das Strandrecht an den Außenstränden ihrer Besitzungen selbst auszuüben, unter anderem die von Putbus, Jasmund und Spyker. Geregelt war, dass der Landvogt über Strandungen informiert wurde und mit der gestrandeten Schiffsbesatzung, dem Kaufmann als Besitzer der Ware und denen, die Ladung und Schiff geborgen hatten, den Bergelohn aushandelte. War dagegen Ware gestrandet, ohne dass Besatzung oder Kaufmann anwesend waren, so wurde unverderbliche Ware aufbewahrt, bis sich der nachweisliche Besitzer meldete, bei verderblicher Ware wurde der Verkaufserlös nach Abzug des Bergelohnes hinterlegt. Wer Strandgut unterschlug, stahl oder fortschaffte, strandtriftige Leichen ausraubte, musste mit harten Strafen, im Einzelfall sogar mit der Todesstrafe rechnen. Auch den Hehlern, die Strandgut annahmen, drohten Strafen: So wurden in einer schwedisch-pommerschen Strandordnung dem Hehler für jeden Taler des Entwendeten 14 Tage „Wall-Arbeit oder Karren-Strafe in der nächsten Festung“ angedroht.
Philipp Christian von der Lancken erließ am 18. März 1662 eine Strandordnung für Wittow und Jasmund. Sie gab dem Strandvogt auf, er solle „die Gestrandeten […] an sich nehmen und trösten und […] verhüten, dass etwas von den Gütern entwendet oder geraubt werde“. Von den strandtriftigen Gütern bekam der Vogt eine „bestimmte Belohnung“. So war vom gestrandeten Holz „sein, soviel er nach Hause tragen kann oder soweit es nach Wert von zwei Lübschillingen nicht übersteigt“. Geregelt waren auch Verteilung und Höhe des Bergelohnes. So ging der Bergelohn bei Gefahr oder großer Kälte zu zwei Dritteln an die Untertanen, die für die Bergung „gebraucht“ wurden, und zu einem Drittel an die Herrschaft. Die Höhe des Lohnes richtete sich nach den gestrandeten Sachen und betrug etwa bei Silber, Gold und anderen kostbaren Gütern ein Zehntel, bei lebendigem Vieh gab es für Pferd oder Rind je 2 bis 4 Reichstaler, für Schaf oder Schwein 4 bis 8 Schillinge. Etwa ab 1800 wird von Bergelöhnen berichtet, die bis zu einem Viertel des Schiffswertes und seiner Ladung betragen konnten.
Und trotzdem: Karl Nernst, der 1797 Wittow besuchte, wetterte: „Allgemein ist auf Wittow noch das Vorurtheil, dass von einem gestrandeten Schiffe Etwas entwenden gar nichts Sündliches sei. Der Eigenthümer kriegt es doch nicht wieder, ausreden sie gewöhnlich, wenn man ihnen ihr Unrecht vorhält. Und unter dieser Ausflucht glauben sie sich hinlänglich gesichert: denn, wenn es doch entwendet wird, so kann es dem lieben Gott ja auch gleich sein, wer es an sich nimmt!“ Nernst berichtete von der Strandung eines Schiffs mit „Häringen“: Trotz Warnung brachen zwei junge Burschen in eine Scheune ein, um Segeltuch aus der Ladung zu stehlen, wurden gefasst und ausgepeitscht. Noch während der „Exekution“ stahlen einige der Zuschauer Heringe aus einer Tonne. „Rechtsgrundlage“ der Züchtigung war die 1785 von der schwedischen Regierung erlassene verschärfte Anordnung über das Anzeigen von Strandungen: Der Gutsbesitzer, auf dessen Gebiet sich eine nicht gemeldete Strandung ereignete, musste 20 Reichstaler zahlen, der Dorfschulze wurde in solchem Falle mit Ruten gezüchtigt und der Strandreiter hätte seine Stellung verloren. Letztlich ging es der schwedischen Regierung darum, sich die bei jeder Strandung und entsprechenden Auktion des Strandgutes zu zahlende Steuer (Lizent) zu sichern.
War die Schiffsbesatzung an der Bergung des Schiffes beteiligt oder wurde auch nur eines der Besatzungsmitglieder gerettet, stand der Crew beziehungsweise dem Schiffseigner das gesamte Schiffsinventar zu; die Bergeleute bekamen nur den Lohn für ihre Mühe. „Aber bei den rohen Sitten jener Zeit war an eine gewissenhafte Durchführung des Gesetzes nicht zu denken“, stellte der Groß Zickersche Pastor Emil Steurich (1852–1921) in seiner „Sturmflut“ (1900) fest.
Bald wurde die Versteigerung gestrandeter, nicht mehr bergungsfähiger Schiffe üblich, so auch bei dem am 25. Oktober 1899 zwischen Lancken und Goos gestrandeten schwedischen Schoner „Cito“. Der Anzeiger für die Stadt Bergen und die Insel Rügen berichtete in mehreren Ausgaben: „Ungefähr 1200 Balken sind aufs Ufer geschleift und dort gelagert worden. Sämmtliche Segel, Rundhölzer, sowie das stehende und laufende Tauwerk, ein Buganker nebst Ketten, bis auf 15 Faden, die sich am Wrack verwirrt haben, ein Warpanker, Trossen […] sind ans Land geholt worden […] Wrack, Inventar und geborgene Ladung werden nächstens an Ort und Stelle in öffentlicher Auction verkauft werden […] Das Wrack nebst den bereits geborgenen Theilen erstand der Gutsbesitzer Nagel zu Goos für 25 Mk. Die beiden Anker kaufte ein Barther Käufer für 6 M. bezw. 3 M. pro Stück […] Die schwere Ankerkette bezahlte man mit 10 Mk.“
Als Strandhauptmann, -reiter oder -vogt hatte man bei den Strandbewohnern nicht selten einen schweren Stand. So wird berichtet, dass vor der Hochzeit der Tochter eines Dransker Strandvogtes kein Bewohner zum Polterabend erschien. Als der Strandvogt nach ihnen Ausschau hielt, bemerkte er eine um das ganze Haus gespannte Girlande aus ausgeblasenen Eiern. Der Strandvogt hatte den Dorfbewohnern die Bergung von kistenweise gestrandeten Eiern und Butter untersagt.
Bevor viele der häufig am Rande des Existenzminimums lebenden Bauern und Fischer in den Badegästen eine neue Erwerbsquelle fanden, mussten sie sich mit „Nebenbeschäftigungen“ über Wasser halten. Eine davon bestand im Absammeln („Werben“) von an den Strand gelangtem Verwertbaren, was nicht überall erlaubt war. So musste man für das Werben von „Seegewächsen“ innerhalb der Besitzungen des Fürsten zu Putbus einen Erlaubnisschein für eine Mark erwerben. „Die Erlaubnisscheine sind beim Werben resp. Abfahren der Seegewächse den Fürstlichen Beamten auf Verlangen zur Kontrolle vorzuzeigen. Das unbefugte Werben von Seegewächsen wird behufs Herbeiführung der gesetzlichen Strafe zur Anzeige gebracht“, meldete das Rügensche Kreis- und Anzeigeblatt vom 15. Oktober 1907.
Für das Deutsche Reich wurde das Strandrecht mit den 48 Paragrafen der Strandungsordnung vom 17. Mai 1874 vereinheitlicht. 1990 wurde die mehrfach geänderte Strandungsordnung aufgehoben, seitdem gilt für Strandgut das Fundrecht.