21. Jahrgang | Nummer 8 | 9. April 2018

Eintauchung in tropfbare Flüssigkeit

von Dieter Naumann

„Bad nennt man im engeren Sinne die Eintauchung des Körpers […] in eine tropfbare Flüssigkeit […]“ – definiert der 1882 erschienene zweite Band des sechzehnbändigen Conversations-Lexikons von Brockhaus.
Öffentliche Badeanstalten wurden in Deutschland erst durch die Übernahme von Sitten der Morgenländer im Zusammenhang mit den Kreuzzügen bekannt. Das Baden in den mittelalterlichen Badestuben gehörte nun zu den Hauptfröhlichkeiten des gemeinen Lebens, man badete am Vorabend hoher Kirchenfeste, Brautpaare zogen vor der Hochzeit „nach“ der Badestube, Ritter mussten vor dem Ritterschlag baden, Handwerkergesellen wurden samstags durch einen Badejungenchor zum Bade eingeladen, Städte erhielten von den Fürsten das Recht zur Einrichtung von Badestuben … Die öffentlichen Badestuben gerieten jedoch durch das Auftreten ansteckender (Geschlechts-) Krankheiten und die „Liederlichkeit der Bademägde und fahrenden Weiber“ Anfang des 16. Jahrhunderts in Verruf.
Von Einzelbeispielen abgesehen (Deutschlands ältestes Bad in Doberan-Heiligendamm ab 1793 und die „Brunnen-, Bade- und Vergnügungsanstalt“ in Sagard ab 1795) wurden öffentliche Bäder erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts (wieder) eingeführt.
Den Anfang auf Rügen machten unweit von Putbus am Strand von Neuendorf Leinwandzelte für die Herren und die Badekarren für die Damen der „besseren“ Gesellschaft, während in Putbus selbst nur das kleine, 1814 durch Maurer Päplow errichtete „Bussertsche Badehaus“ mit vier Wannen (zwei aus Carraramarmor und zwei aus Keramik) für kalte und warme Bäder zur Verfügung stand. Ursprünglich war geplant, das Seewasser aus dem Greifswalder Bodden durch Röhren anzupumpen, tatsächlich blieb es aber bei der wesentlich bescheideneren Anlieferung in Holzfässern mittels Pferdegespann. Man hatte im Winter 1815/16 bis zu Saisonbeginn einfach nicht genügend Baumstämme als Rohrleitungen aufbohren können. Auch sonst schien nicht alles glatt zu laufen. Gaststättenbesitzer Joh. H. Schwartz inserierte jedenfalls am 7. Juli 1816 in der Stralsundischen Zeitung: „Ein hochzuverehrendes Publikum bitte hiermit um gefällige Nachsicht, daß erst unter heutigem Dato der Anfang mit den warmen Bädern hat gemacht werden können. Was lange währt, wird gut, und so hoffe ich, daß diese kleine Versäumniß mit der Bequemlichkeit und Zweckmäßigkeit der Einrichtungen gerne entschuldigt werden wird.“
Am 15. August 1817 wurde der Grundstein für das 1819 fertiggestellte Badehaus bei Lauterbach an der Goor gelegt, dem der Monarch Friedrich Wilhelm III. per „allerhöchster Kabinettsorder“ vom 18. August 1818 geruhte zu erlauben, seinen Namen zu tragen. Zunächst eine Dreiflügelanlage mit Innenhof, wobei der rechte Flügel die Badezellen und darüber die Logierräume, der linke den Speisesaal enthielt, wurde das Ganze 1820 um weitere Logierräume und Badezellen (Kabinette genannt) erweitert. Der Speisesaal befand sich jetzt in der Mitte des Gebäudes. Durch einen Vorbau mit 18 hölzernen Säulen erschien das Gebäudeensemble wie aus einem Guss. Der 1823 in Berlin herausgegebene „Reisegesellschafter durch Rügen“ von Carl Schneider schilderte Einrichtung und Service des Badehauses: „Zehn Zimmer mit zierlichen Badewannen […] und sonstigen Erfordernissen, die nur irgend zur Bequemlichkeit des Badenden nothwendig sind, versehen […] Durch Röhren wird das Wasser einige 70 Fuß aus der See zugeführt, durch andere nach den Badezimmern geleitet, wobei die Vorrichtung getroffen ist, daß es nie durch Sand oder andere Stoffe verunreiniget werden kann. In einer großen Küche wird das Seewasser erwärmt, und so, vermittels zweier über der Badewanne befindlichen messingenen Schrauben, kaltes und warmes Wasser zu jeder beliebigen Temperatur in den Badewannen gemischt. Durch andere Vorrichtungen wird das Seewasser bis zur Decke eines der Badezimmer geführt, um von dort durch eine Öffnung der Decke über der Badewanne als Sturz-, Regen- oder Tropfbad auf den Badenden, der dessen bedarf, herabzufallen. Für den mäßigen Preis von 10 Gr. Courant erhält man den Gebrauch eines solchen Zimmers und warmen Bades für eine Stunde, nach deren Verlauf das Zimmer an einen andern Badenden überlassen wird.“
Bereits nach 1850 nahm die Zahl der Besucher rasch ab: Lauterbach bot „nur“ Zugang zum Greifswalder Bodden, nicht zum Wasser der „wirklich offenen“ See; der nur geringe Wellengang tat ein Übriges. Putbus/Lauterbach wurde deshalb schnell von den Bädern mit direktem Zugang zur Ostsee überflügelt.
Erstaunlich modern klingen die 1794 in Rostock vom Doberaner Badearzt Samuel Gottlieb Vogel veröffentlichten „Allgemeinen Baderegeln“: Man solle nicht mit vollem Magen baden, auch nicht erhitzt, was „die gefährlichsten Folgen haben“ könne. „Badehemden, Beinkleider im Bade, sind nicht zu rathen, und mindern den Nutzen desselben.“ Beim ersten Bad riet Vogel, „sich nur einmahl oder ein paarmahl geschwind unterzutauchen, sich dann schnell, unter fleißigem Reiben des ganzen Körpers, abzutrocknen, und wieder anzukleiden“.
Auch im 1886 erschienen Band 14 des eingangs erwähnten Brockhaus -Lexikons wurde empfohlen, nur fünf, höchstens zehn Minuten in der See zu „verweilen“; Seeligs Reiseführer von 1889 hielt beim ersten Bad sogar „im Allgemeinen 3-4 Wellen, für Manche sogar einmaliges Untertauchen“ für ausreichend. Den ortsansässigen Fischern allerdings, die bald vom Badeleben der Gäste profitieren sollten, waren anfangs selbst derartig kurze Aufenthalte im Wasser unverständlich oder gar unheimlich. Für sie waren die Badegäste die „Baders“, die „Strandlöpers“, „Strandhasen“ oder die „Luftschnappers“. Der Hiddenseer Pastor Gustavs berichtete von einem Fischer, der um 1900 ein junges Mädchen beherbergt hatte. Als dieses sich von ihm mit „Auf Wiedersehen!“ verabschiedete, sah er sie traurig an und sagte: „Ne, Fräulein, Sei kamen nich wedder.“ Auf die Frage, warum, antwortete der alte Fischer: „Sei starben äwer Winter an Rheumatismus.“
Mancher der „Bade“-Gäste ging nicht ein einziges Mal ins Wasser, sondern suchte den Badeort nur der Unterhaltung oder kleinerer Unpässlichkeiten wegen auf. Man verbrachte endlose Stunden auf den sonnengeschützten Balkonen, flanierte auf den Strandpromenaden (natürlich mit Sonnenschirm und standesgemäßer Bekleidung), traf sich in Strandcafés, besuchte Gesellschafts- und Tanzabende (Réunions), vergnügte sich in Spielcasinos oder bei Ausflügen. Wer es sich zu jener Zeit leisten konnte, oft mehrere Wochen in einen Badeort zu reisen, betrachtete dies als Statussymbol und ließ sich deshalb gern in Adressenlisten und Badejournalen mit Titel, Beruf und Personal eintragen. Beim Baden mit Badehose oder Badeanzug war man dagegen anonym und der gesellschaftliche Rang nicht erkennbar. Auch deshalb spielte das Bad zunächst nur eine untergeordnete Rolle und fand zudem noch außerhalb der Öffentlichkeit in den Badeanstalten statt.
Großer Wert wurde beim Baden anfangs auf die Geschlechtertrennung gelegt. „Ganz entschieden ist gemeinschaftliches Baden von Männern und Frauen zu verwerfen, weil die sinnliche Reizung die Wirkung des Bades vereitelt“, schrieb Meyers Konversationslexikon 1895. So waren in Putbus bis 1908 (andere Ostseebäder waren da bereits voraus) das „Herrenbad“ und das „Damenbad“ nicht nur durch Bretter vor neugierigen Blicken geschützt, sondern auch räumlich schicklich weit voneinander platziert. Wege, die entlang des Damenbades führten, waren für Männer „selbstverständlich“ verboten. In Göhren galt: „Herren dürfen, solange die Flaggen auf den Badeanstalten aufgezogen sind, das Damenbad und den begrenzenden Strand nicht betreten!“ In Binz durften während der Badezeiten „am Strande vor den Damenbadeanstalten und zu beiden Seiten derselben bis auf eine Entfernung von 75 m, welche Abstände durch Tafeln bezeichnet sind, männliche Personen sich nicht aufhalten“.
Die Familien- und Gesellschaftsbäder und schließlich auch das Freibaden ließen sich jedoch nicht mehr aufhalten.