von Renate Hoffmann
Den pisces begegnet man allenthalben. In Bach, Teich und Flüssen, im Meer, dem Aquarium und an der Angel. Auf dem Fischmarkt und dem Teller. In Tönen, Wort und Bild. Auch als miraculum. Der Wal, obzwar ein Wasserwesen doch mit Säugetiercharakter, verschluckt den Jona – und speit ihn am Strand von Ninive wieder aus (weil der Prophet wahrscheinlich schwer verdaulich war).
Der heilige Antonius von Padua (um 1195–1231), portugiesischer Theologe, redegewandter Prediger und Wundertäter, fand in den Fischen seine besten Zuhörer. Und so soll es sich zugetragen haben: Antonius, viel unterwegs, kam nach Rimini um dort christliche Überzeugungsarbeit zu leisten. Es misslang. In der Stadt galt das Verbot, ihm Herz und Ohr zu öffnen. Der Heilige wandelt am Wasser, überlegt und denkt laut: „Da ihr euch Gottes Wort unwürdig erweist, wende ich mich an die Fische, um eure Ungläubigkeit deutlicher zu machen.“ Nun nimmt das Wunder seinen Lauf. Die Fische schwimmen zu Hunderten heran und lauschen dem, was Antonius zu sagen weiß.
Er ist gebürtiger Lissabonner und Schutzpatron der Stadt. Deshalb findet man in ihrer Kathedrale einen originellen Hinweis auf das außergewöhnliche Ereignis. Linkerhand vom Eingang steht ein Taufbecken, an dem Antonius getauft worden sein soll. Ein Paneel ringsum aus blau-weißen Kacheln zeigt seine Wundertaten an. In der Lünette darüber ist auch die Fischpredigt zu betrachten.
Der heilige Redner redet mit Inbrunst, die rechte Hand erhoben, in der linken hält er ein Buch mit weisen Sprüchen. Die Fische. Große, kleine, ganz kleine, die kaum die Köpfe heben können, dicke, dünne, aalähnliche. Die Letzten in der Schar sind nur noch als Fischpünktchen zu erkennen. Manche öffnen staunend das Maul. Vögel fliegen ein; Bäume und Sträucher am Ufer rühren kein Blatt. Antonius hat sie allesamt zur Ehre der Schöpfung gewonnen. – Auf der mehrbogigen Brücke drängt sich voller Neugier die ungläubige Menge. Diesen Ausgang hatte niemand erwartet.
Das Fischwunder hinterließ literarische Spuren. Abraham a Sancta Clara (1644–1709), Geistlicher, sprachbeflissener Schriftsteller und Poet, griff es auf und wandelte es in Verse: „Antonius zur Predig / Die Kirche findt ledig, / Er geht zu den Flüssen, / Und predigt den Fischen. / Sie schlagn mit den Schwänzen, / Im Sonnenschein glänzen …“ Die Karpfen kommen („Haben d’ Mäuler aufrissen“), Hechte, Aale und Hausen, Krebse und „Stockfisch“ und sogar „Schildkroten“ hören zu. Doch „ … Die Krebs gehn zurücke, Die Stockfisch bleiben dicke, / Die Karpfen viel fressen, / Die Predig vergessen. / Die Predig hat gfallen, / Sie bleiben wie alle.“
Achim von Arnim (1781–1831) und Clemens Brentano (1778–1842) fügen „Des Antonius Fischpredigt“ in ihre Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“ ein; – und Gustav Mahler (1860–1911) entnimmt sie dort und lässt sie in einem Kunstlied gleichen Namens fortdauern. So schwimmen die Fische von Welle zu Welle.
Bei Camille Saint-Saëns (1835–1921) plätschern sie in einem „Aquarium“ („Karneval der Tiere“), begleitet von Flöte, Glasharmonika, Klavieren und Streichern. Und der Dichter und Musiker Christian Friedrich Daniel Schubart (1739–1791) wählt für seine Huldigung der Fische die Forelle aus: „In einem Bächlein helle, / Da schoß in froher Eil / Die launische Forelle / Vorüber, wie ein Pfeil. / Ich stand an dem Gestade / Und sah in süßer Ruh / Des muntern Fischleins Bade / Im klaren Bächlein zu …“
Dieser Reim hinwiederum gefällt Franz Schubert und er überträgt das heitere Bild in einen perlenden Gesang. Das Lied „entzückt“, und so verwendet der Komponist auf Wunsch das Thema zu einem Variationensatz in strahlendem A-Dur. Nun tummeln sich fünf der munteren Fischlein im „Forellenquintett“ und versetzen jeden beim Anhören in vergnügliche Stimmung.
Das eigentliche Fischwunder aber vollbringt Christian Morgenstern. Er verquickt auf geniale Weise sanfte Blubbertöne – an den Mond gerichtet – mit poetischen Gefühlen. „Fisches Nachtgesang“. Ausgedrückt in einer nur den Fischen und einfühlsamen Personen mit feinst gestimmtem Gehör verständlichen Notenschrift: u u u / – – – / u u u / – – – und so fort. „–“ gilt für nachdenkliche Pausen; „u“ für ein Blubb. Mehrere „u“s aneinandergereiht, ergeben ein fröhliches Blubbern. Mit „–“ folgt dann das Nachsinnen. Beides im Wechsel eingesetzt, sorgt für wohltuende Ruhe. Satzbezeichnung: Andante cantabile und pianissimo vorzutragen. Die Tonart darf nach Lust und Laune gewählt werden.
Schlagwörter: Christian Morgenstern, Fische, Franz Schubert, Lissabon, Renate Hoffmann