von Ulrich Kaufmann
Der studierte Photograph, der Augenmensch Henning Kreitel, Jahrgang 1982, debütierte mit einem in vieler Hinsicht besonderen Lyrikband: 16 Photographien des Morgen- und Abendhimmels korrespondieren hier mit 38 lyrischen Texten, die in der Regel keinen Titel haben. Insofern wird ein Inhaltsverzeichnis überflüssig. Auch Anmerkungen, wie sie mancher Lyriker helfend bereitstellt, gibt es nicht.
Wie ein Maler mit Farben, so tupft der Autor minimalistisch seine Worte. Er spricht selbst von „geklecksten lebenstupfern“. Eine Syntax im eigentlichen Sinne begegnet dem Leser nicht, zumal der Dichter auf Zeichensetzung fast verzichtet. Der Klappentext behauptet, Kreitel würde mit wenigen Worten „Geschichten zeichnen.“ Das nun tut er gerade nicht. Bestenfalls liefert der Poet Bausteine dazu, die koproduzierende Leser zusammenfügen könnten. Trotz aller Knappheit kann man diesen Autor einen wortgewandten nennen: Selten sind mir in kurzer Folge so viele Wortneuschöpfungen begegnet: „klettenfragen“, „willenswut“, „verriegelter gefühlstresor“, „reichkitzelnder schrecken“, „traumspender“, „sternenumströmt“…
Kreitels Verse sind vornehmlich elegisch. Der an Bekett anschließende Bandtitel deutet dies an. Der lyrische Sprecher zeigt sich als ein Suchender, Unbehauster, ein die Gebrechen der Welt Erleidender, als unglücklich Liebender.
sagst du glücklich / bleischwerer Abschied
welche weh ist stärker / du-ich
schwach / licht in sich
Auch diese sechs Verse leben von Ambivalenzen und zeigen einen Poeten der, namentlich am Schluss, die Lautmalerei nutzt. Man lasse sich indessen nicht täuschen. Nicht jedes dieser Gedichte ist so eingängig. Viele Strophen wirken eher hermetisch. Jeder Leser möge erproben, zu welchen lyrischen Texten er Zugang findet.
Angesprochen hat mich gleich eingangs ein dreistrophiger Text, der den genauen Beobachter, den Photographen eben, verrät:
gefühlvoll verziert / ein bild / drei Menschen / vater, / mutter, / vatermutterkind, strahlend eingerahmt
hände in hände / lachen lacht übertrieben / idyllischer schmerz / schöne heile welt
versteckt im eck – / ein riss
Die Pointe dieses Gedichts kulminiert in einem Binnenreim. Besonders bevorzugt Kreitel, wie gezeigt, Lautmalereien und (in anderen Texten) häufig Stabreime. Endreime und Zeilenbrüche nutzt er indessen nicht.
Der Lyrikband, den der ausgewiesene Autor André Schinkel lektorierte, erschließt sich (vom Dichter so gewollt) wahrlich nicht leicht. Dass der Verlag (und der Gestalter) sich jedoch bei diesem Paperbackbändchen für eine so zierliche und vor allem eine viel zu helle Schrift entschieden haben, mindert den Lesegenuss beträchtlich.
Henning Kreitel: warten auf erneut – lyrik und photographie, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2017, 96 Seiten, 9,95 Euro.
Schlagwörter: Henning Kreitel, Lyrik, Ulrich Kaufmann