von Holger Politt, Warschau
Soweit den Meinungsumfragen geglaubt wird, hätte Jarosław Kaczyński keinen Grund gehabt, einen solch gravierenden Austausch des Regierungspersonals anzuweisen. Stabil halten Polens Nationalkonservative die 40-Prozent-Marke – so war es vor Weihnachten, so ist es nach Neujahr. Gegenüber dem Wahljahr 2015 gibt es im Wählerzuspruch also scheinbar keine Einbrüche. Dennoch wurde das Regierungslager kräftig umgebaut.
Zu den großen Niederlagen innerhalb der seit Ende 2015 auf vollen Touren laufenden nationalkonservativen Wende zählten für das Kaczyński-Lager die heftigen Frauenproteste im Herbst 2016, die der geplanten Verschärfung der ohnehin rigiden Gesetzgebung für Schwangerschaftsabbrüche wenigstens vorläufig einen Riegel vorschoben. Die Regierung wahrte das Gesicht, weil an ihrer Spitze in Gestalt Beata Szydłos eine Frau stand, die als praktizierende Katholikin und Mutter einigermaßen glaubhaft wenigstens den bestehenden Zustand verteidigen konnte. Außerdem stand Beata Szydło wie niemand sonst bei den Nationalkonservativen für die schnelle Einführung des gesetzlichen Kindergeldes, die im Wahlkampf 2015 versprochen und bereits vor Ostern 2016 durchgesetzt wurde. Damit kauften die Kaczyński-Leute dem liberalen Lager den Schneid ab, denn das hatte immer wieder rauf- und runterbuchstabiert, dass ein schneller wirtschaftlicher Aufholprozess sich mit sozialpolitischen Geschenken nicht vertrage. Mittlerweile hat auch die liberale Opposition akzeptiert, dass ein Zurückdrehen der gesetzlichen Kindergeldregelung künftig nur noch schwer durchzusetzen wäre.
Dennoch wurde die Ministerpräsidentin Ende des vergangenen Jahres geopfert. Ihren Posten übernahm Mateusz Morawiecki – eigentlich vor allem ein Wirtschaftsmann. Der setzt nun prononciert auf ein mit nationaler Souveränität angereichertes Wirtschaftswachstum, auf die nach Maßgabe der katholischen Kirche in Polen abgesteckten christlichen Werte als den unbestechlichen Kompass für Familienpolitik und auf entschiedenen Antikommunismus. Außerdem soll er auf dem Brüsseler Parkett für die benötigte Ruhe sorgen, denn dort konnte Beata Szydło keinen Stich setzen.
Das Jahr 2018 ist in Polen ein wichtiges Wahljahr – im Herbst werden überall im Lande die sogenannten Selbstverwaltungsstrukturen gewählt. Das sind die politischen Körperschaften auf der Lokal- und Regionalebene von der Gemeinde bis hoch zu den Wojewodschaftsparlamenten. Zwar kann die Zentralregierung für die einzelnen Wojewodschaften die Wojewoden nach eigenem Gutdünken einsetzen, aber die Selbstverwaltungsstrukturen sind neben Parlament und Präsidentenamt eine der drei tragenden Säulen polnischer Demokratie. Bei den Selbstverwaltungswahlen 2014 gab es für das Kaczyński-Lager ein schwächeres Ergebnis, Kaczyński selbst versteckte seine Enttäuschung damals hinter dem Vorwurf von Wahlfälschung. Heuer soll also auch dieser Säule weitgehend ein nationalkonservatives Profil verliehen werden, wofür – so offenkundig das Kaczyński-Konzept – ein ruhiggestelltes innen- und außenpolitisches Feld ohne die großen öffentlichen Auseinandersetzungen der zurückliegenden zwei Jahre die besseren Voraussetzungen bietet.
Hier reiht sich ein, dass mit dem Verteidigungs- und dem Außenminister bei der Regierungsumbildung nun zwei Männer entlassen wurden, die bislang zu den in der Öffentlichkeit umstrittensten Ministern zählten. Damit könnte eine neue Annäherung an Brüssel und Berlin gesucht werden, um vor allem dem weitverbreiteten Eindruck entgegenzutreten, das Kaczyński-Lager wolle in Nachahmung des Brexits das Land aus der Europäischen Union führen. Nicht von ungefähr ist das herausgestellte EU-Blau eines der sichtbarsten Zeichen für den Protest gegen die Kaczyński-Politik. Außerdem ist das einst stabile Verhältnis zwischen Polen und Deutschland ins Gerede gekommen, Kaczyńskis öffentlich vorgetragene Forderungen nach den ausstehenden Reparationen haben zusätzliches Öl ins Feuer gegossen. Zwar wurde regierungsamtlich Anfang des Jahres noch einmal verkündet, eine klare Mehrheit der Menschen in Polen würde die Reparationsforderungen an EU-Partner Deutschland unterstützen, doch dürfte diesbezüglich in den nächsten Monaten Ruhe einkehren. Dennoch bleibt die Lage verfahren. Die sogenannte Justizreform, die im Sommer letzten Jahres zu einem Sturm der Entrüstung geführt hat, wird nun mit Macht durchgesetzt. Die Opposition spricht von Verfassungsbruch, so sieht es auch Brüssel. Das Kaczyński-Lager stellt dagegen gerne heraus, dass die Menschen in Polen derartige Änderungen verlangten und wollten, außerdem wird auf das Beispiel anderer EU-Staaten verwiesen, so auch auf Ungarn. Allerdings hatte Viktor Orbán dortzulande bei den umstrittenen Eingriffen tatsächlich eine stolze Zweidrittelmehrheit an Parlamentssitzen hinter sich, die für Verfassungsänderungen sowohl in Ungarn wie in Polen nötig ist. Davon sind die Nationalkonservativen in Polen weit entfernt, so dass ihnen bislang der holprige Weg geraten schien, mit der absoluten Parlamentsmehrheit einzelne Gesetzesnovellen durchzubringen, die – so die Opposition – der geltenden Verfassung widersprechen. Dieses giftige Schwert werden sich die Nationalkonservativen nicht aus der Hand nehmen lassen, wiewohl es in den nächsten Monaten seltener aus der Scheide geholt werden wird.
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