von Reinhard Wengierek
Meine Fundstücke im Kunstgestrüpp: diesmal ein mörderischer Volksverführer, eine Burka im Kanzleramt …
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Alles halb so schlimm, das wird schon wieder – dachten viele Leute 1933, nach Hitlers Wahlsieg. Doch alles wurde, wie wir wissen, unvorstellbar schlimm. Schon zwei Jahre nach Adolfs Machtantritt schrieb der amerikanische Literaturnobelpreisträger Sinclair Lewis den verstörenden Roman „It Can’t Happen Here“ – aus Furcht, es könnte doch möglich sein. In Amerika …
Es ist die satirisch grundierte Geschichte des verführerisch großmäuligen Polit-Außenseiters Buzz Windrip, der mit schillernd links- und rechtsradikalen Parolen, aber auch mit sinnvollen Forderungen bezüglich sozialer Gerechtigkeit und natürlich mit viel volkstümlich-poppigem Trallala wider Erwarten aus dem Stand die 27. Präsidentschaftswahl der USA 1936 gegen Roosevelt gewinnt. Doch schon zur Siegesfeier droht sein Chefberater Lee Sarason „allen Reformgegnern, Verschwörern, Putschisten“ mit Schnellgerichten und Lagerhaft, was freilich untergeht im Partyrausch der Volksmassen, die ihren heldischen Befreier feiern. Die verzweifelten Warnungen von Intellektuellen wie Doremus Jessup von der liberalen Presse verhallen ungehört und das Verhängnis nimmt seinen fatalen Lauf: Windrips Führungsclique liquidiert mit Feuer und Eisen das demokratische System, schaltet die Gesellschaft gleich und errichtet im Handumdrehen eine totalitäre, verbrecherische Gewaltherrschaft. Widerstand zwecklos. Denn, so die Ansage vom Führer: „Das einzige Recht, was euch bleibt, ist der Gehorsam. Tod allen Kranken. Tod allen Schwachen. Tod allen Andersdenkenden. Ich werde schlachten und foltern und stehlen und ich flute die Keller mit dem Blut eurer Kinder.“
Sinclair Lewis‘ provozierender 430-Seiten-Politthriller (gerade erschienen als Lesung von Frank Arnold auf CD im Argon Verlag) inszenierte am Deutschen Theater Berlin Christopher Rüping mit einer Handvoll virtuoser Schauspieler-Performer als erschreckend gegenwärtiges Warnstück mit grotesken Zügen. Parole: Es ist möglich!
Damit verbunden die permanent bohrende Frage nach dem Warum. Warum haben, als noch Zeit war, die liberalen Institutionen versagt, warum wurden die mutigen Stimmen von Aufklärung und Vernunft rigoros überhört, warum wurde den Anfängen nicht gewehrt? Die Inszenierung gibt – natürlich! – keine wohlfeilen Antworten. Und wühlt doch unentwegt in unserm Gewissen, unserer Trägheit, Mutlosigkeit, Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit.
Rüpings Inszenierung, die zunächst als modisch-cooles Entertainment daher rockt, mag zuweilen plakativ wirken, doch ist sie intelligent gemacht, nie moralisierend und schon gar nicht langweilig. Geschickt spielt sie (zuweilen freilich auch aufdringlich) mit Bierzelt-lustigem Mitmachtheater (das Bockwurstessen mit dem Publikum bei Windrips Siegesfeier). Und bedient sich, wie gesagt, lautstark am gängigen Showbiz (Windrips Wahlprogramm-Vortrag als Pop-Show). Aber immer klingt durch: Unter der glamourös schillernden Fascho-Show gähnen Ausmerzungswahn und Vernichtungskrieg. Unerträglich schmerzlich dann auch die Szene aus der Folterhölle, wo dem Widerständler Jessup alle Knochen gebrochen werden.
Der mit zweieinhalb Stunden etwas zu lange, am Ende an Konsistenz verlierende Abend hat zwei Teile. Erstens: der unaufhaltsame Aufstieg des Diktators als glamourös-populistischer Volkstribun. Zweitens: die mörderischen Gewaltexzesse gegen Ungehorsam im Volk wie Konkurrenten innerhalb der Führungsclique, die in farcehafter Dekadenz gleichfalls tödlich gegeneinander losgehen. Was für ein erregendes Warnbild, gerahmt in eine Dystopie des Grauens! Und was wäre zu tun? Wer feuert auf die Tyrannen? – Was für Fragen in diesem packenden Lehrstück gerade für jüngere Leute. Und solche, die „das bei uns“ für unmöglich halten. Es ist immer möglich. Überall.
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Nach genau einer Stunde kommt der Knaller des Abends. Die Schlagzeile via Monitor auf einem Nachrichtensender: „Kanzlerin Merkel zum Islam übergetreten!“ Wir sehen eine verschleierte Figur, eigentlich bloß einen schwarzen Schatten, der zu reden anfängt. „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger …“ Es folgt eine staatstragende Merkel-Rede, die ihren religiösen Wechsel begründet, den Islam feiert, das Positive am Fasten, an der Steigerung der Fertilitätsrate, am Alkoholverbot, an der Mehrfrauen-Ehe (auch für Schwule und Lesben) herausstreicht und überhaupt die erschrockene Bevölkerung beruhigt – „wir schaffen das“.
Der Redenschreiber unserer frisch verschleierten Burka-Kanzlerin heißt Frank Lüdecke und gehört zum Berliner Kabarett „Die Wühlmäuse“. Ein politisch hellwacher Kopf. Ein frecher Zuspitzer, eine originelle Pointenschleuder – gern unkorrekt, auch saftig populistisch, doch das derart, dass letztlich den Populisten der Wind aus den Segeln genommen und das Publikum ins Nachdenken geschleudert wird. Was der längst mit einschlägigen Preisen überhäufte Texter, ein Star der Branche, aus seinem so mutigen wie genialen satirischen Grundeinfall alles „entwickelt“ für ein vierköpfiges Kabarettensemble, ist unerhört, also einsame Spitze. So ziemlich alles, was die Bevölkerung umtreibt hinsichtlich der massenhaften Neuzugänge im Land, wird gewitzt ernsthaft und ins Groteske getrieben in die Mangel genommen. Muss man sich trauen; muss man aber auch können.
„Ver(f)logene Gesellschaft“ nennt Lüdecke die Show mit Dieter Hallervordens in der Hauptstadt etabliertem „Neuen-Wühlmäuse-Ensemble“. Der Titel umreißt trefflich das Thema des wirklich witzigen, ja großartigen Abends voller Lachbomben, aber auch mit reichlich Momenten zum nachdenklich am Köpfchen Kratzen. Alles dreht sich um die großen Irritationen um die allseits beschworene „Integration“, um vielerlei Verlogenheiten von rechts aber auch von links. Letztlich geht es um eine ziemlich verbreitete Rat- und Orientierungslosigkeit, eben um das Verflogene. Dafür hat Lüdecke (freilich ein bisschen krampfhaft) die Situation erfunden: Vier gegensätzlich verrückte Typen aus Berlin (Konfliktforscher, Hartz-IV-Brumme, Business-Tussi, Start-Upper) sitzen in New York fest im Kennedy-Airport – was allerdings herrliche Seitenhiebe auf Twitter-Trump via Monitor ermöglicht, der ansonsten immer nur anzeigt: Deutschlandflüge gestrichen.
Denn Trump hat zugeschlagen, weil Merkel neuerdings Muslimin („Merkel crazy. No flight to Germany“). Das wird, wie gesagt, nach der Pause heftig ventiliert – zuletzt mit einer Parodie auf ARD-„Anne Will“, in der führende Regierungspolitiker von Seehofer bis Altmaier ihren flinken Islam-Übertritt annoncieren sowie mit wahnwitzigen außenpolitischen Regierungskommentaren aus Russland, Griechenland, Frankreich, Dänemark und Nordkorea.
Vor der Pause hingegen hat unser komisches Kleeblatt genug Zeit in der Warte-Lounge des Flughafens, sich dieselbe zu vertreiben mit einem kabarettistischen Nummernprogramm. Einem Rundumschlag auf alle möglichen deutschen Unmöglichkeiten unter anderem von Bürgermeister Müller, digitalem Hosenkauf, schulpädagogischem Blödsinn, Euro- und BER-Rettung und sogar Erich Honecker – die Breite der Themen und satirischen Einfälle ist beinahe schon übertrieben enorm.
Überhaupt nicht übertrieben ist Dieter Hallervordens Freude, endlich nach vielen Jahren wieder ein eigenes festes Satire-Ensemble zu präsentieren. Schließlich hatte er anno 1960 in Berlin sein Kabarett „Die Wühlmäuse“ zusammen mit Kollegen als ein „Ensemble-Kabarett“ gegründet, das sich später leider zerstreute. Die vergangenen Jahrzehnte betrieb der heute 81-jährige Schauspieler, Regisseur und Theaterchef (Berliner Schlossparktheater) sein „Wühlmäuse“-Theater erfolgreich als Gastspielbühne für große wie kleinere Komiker- und Comedy-Stars. Sein zwischen politischer Aufklärung und Kritik, allgemein (Welt) und spezifisch (Berlin) menschlichem Wahn und Irrsinn, zwischen Nonsens und Aberwitz turtelnder Spaß- und Lachbetrieb kam stets ohne Berührung mit staatlichen Zuschüssen aus. Umso bewundernswerter der Wagemut des gewieften, mit allen Wassern des Lebens und des einschlägigen Geschäfts gewaschenen Gurus der Branche, sich längerfristig einzulassen auf eine Truppe mit Festengagement. Freilich, er hat ein Händchen fürs Casting. Alle Mitspieler der Truppe sind bewährte Könner ihres Fachs mit saftiger Bühnenpräsenz und wuchtigem Pointen-Raushau. Das Publikum im Begeisterungstaumel. Stets stehende Ovationen. – Finale Pointe: Muslimin Merkel gehört, wie beruhigend, ins Reich der Fake News!
Schlagwörter: Deutsches Theater, Dieter Hallervorden, Frank Lüdecke, Kabarett, Querbeet, Reinhard Wengierek, Sinclair Lewis