20. Jahrgang | Nummer 11 | 22. Mai 2017

Offizier im besonderen Einsatz

von Thomas Behlert

Manchmal gibt es so Bücher, die unbedingt erscheinen sollten und dann von der Welt vornehm übergangen werden. So ein Werk ist das erste Druckerzeugnis von Horst Kopp. Zunächst wird keiner mit dem Namen etwas anfangen können, denn der dahinter stehende Mensch arbeitete viele Jahre im Verborgenen, nahm verschiedene Fantasienamen an und versuchte bei öffentlichen Auftritten auf keinem Foto zu erscheinen. Horst Kopp war Offizier in der für Aktive Maßnahmen und Desinformation zuständigen Abteilung X der Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.
Sein Buch müsste eigentlich wie eine kleine Bombe in der Politik einschlagen, denn schließlich nannte er Journalisten und Politiker, die lange für die Staatssicherheit arbeiteten und fest eingebundene IM (Informelle Mitarbeiter) waren und mit ihrem Tun manchmal nur Geld verdienen, aber auch oft den ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden vor Angriffen schützen wollten. Kopp beginnt mit einer einschneidenden Aktion, die bei Misserfolg der DDR wohl sehr geschadet hätte. 1972 stand Bundeskanzler Willy Brandt vor einem konstruktiven Misstrauensvotum. Er sollte gestürzt und vom CDU/CSU-Fraktionschef Barzel ersetzt werden. Man hatte es sich in der schwarzen Ecke so schön ausgedacht: Barzel an der Macht, mit dem dicken, Kommunisten hassenden Strauß an seiner Seite. Erstmals schildert ein ehemaliger Leiter des Geheimdienstes, der sich offiziell „Schild und Schwert der Partei“ nannte, alle Details, warum es nicht zur Abwahl kam. Die DDR kaufte mit harten Devisen Stimmen von CDU-Fraktionsmitgliedern, die denn auch ihr Kreuz für Willy Brandt setzten.
So ungewöhnlich, brisant und aufregend geht es auf den folgenden 250 Seiten weiter. „Die Abteilung X war ein Instrument des Psychokrieges. Und deshalb noch geheimer als geheim“, schreibt Kopp sehr passend und schildert im gleichen Atemzug, wie seine Mitarbeiter innerpolitische Diskussionen in der BRD beeinflussten und oft die Politik der Bundesrepublik nach innen wie außen in eine bestimmte Richtung lenkten. So wurden Meldungen in westdeutsche Zeitungen und Zeitschriften lanciert, mit Journalisten kooperiert, die manchmal glaubten, für den CIA zu arbeiten. Anderen Journalisten half die Abteilung mit Akten aus DDR-Archiven, die nachwiesen, dass bestimmte Politiker aktiv bei den Faschisten des Deutschen Reiches mitwirkten.
Ausführlich beschreibt Kopp die „Reisejournalisten“ des Westens, die von ihm und seinen Mitarbeitern auf ihren Exkursionen durch das kleine Land begleitet wurden. Diese Journalisten waren immer sehr gut vorbereitet und „keine nützlichen Idioten“, wie es der ehemalige ARD-Korrespondent in der DDR Hans-Jürgen Börner in einem abfälligen Beitrag, natürlich nach der Wende, beschrieb. Der 1933 in Soldin in der Neumark geborene Oberleutnant war nicht nur mit Desinformation und Wühlarbeit an vorderer Front beschäftigt, er beteiligte sich als Delegationsmitglied an einer Friedenskonferenz in Madrid, trank mit russischen Geheimdienstlern bis zum unrühmlichen Ende, führte ein ganz normales Familienleben und verliebte sich dann doch neu.
Letzteres führte zu seinem freien Fall, denn so etwas durfte im DDR-Geheimdienst nicht sein. Vorgesetzte reagierten hysterisch, ließen Kopp überwachen und sogar festsetzen, um ihn schließlich als Offizier im besonderen Einsatz in die Abteilung Inneres nach Pankow zu versetzen, wo er schließlich Ausreiseanträge bearbeitete.
Mutig und spannend zu gleich wird es, wenn Horst Kopp von seinen Niederlagen und Flops berichtet. Nicht jeder wollte sich mit der Staatssicherheit einlassen und auch nicht IM werden. So wollte die Abteilung X zum Beispiel auch Günter Walraff und Harry Rowohlt für sich gewinnen. Kopp traf Rowohlt bei einer gemeinsamen guten Freundin. Da er einen Vorgesetzten mitnahm, der schnell und primitiv den mitgebrachten Doornkaat soff, kamen erst gar keine Fragen auf. Rowohlt ließ später nur mitteilen, dass er „solche Vögel nicht wieder anzutreffen wünsche“. Bei Wallraff war es schon komplizierter. Da das Ministerium des Inneren (MdI) ihn mit Unterlagen zu Dr. Ludwig Hahn unterstützte, der als SS-Standartenführer für die endgültige Räumung des Warschauer Ghettos verantwortlich war, vermeinte man ihn auch anwerben zu können, was dieser strikt ablehnte. Der Kölner Journalist hatte zu keinem Zeitpunkt als IM gearbeitet. Nur der Mitarbeiter Heinz Dornberger erklärte die erfolgreiche Werbung von Wallraff und packte in den folgenden Jahren alles in eine Akte, was er über ihn in der Zeitung las. Schließlich verfasste er noch einen frei erfundenen Auskunftsbericht. Das alles und Dornbergers Äußerung sein „Erster Stasi-Instrukteur“ gewesen zu sein, nutzten „Kollegen“ nach 1990 aus, um Wallraff an den Stasi-Pranger zu stellen. Der ganze unappetitliche Vorgang beschäftigte über Jahre Gerichte, bis am Ende heraus kam, dass an der Geschichte nichts dran war. Kopp dazu: „Jeder anständige Mitarbeiter in der X hätte das vorher bestätigen können.“
Insgesamt ist Horst Kopp ein spannendes Buch gelungen, das flüssig und lesenswert verfasst wurde und oft wie das Grundgerüst zu einem Agenten-Roman klingt. Jeder, der mit der Geschichte der DDR noch nicht abgeschlossen hat, sollte sich damit beschäftigen, auch wenn man sich mehr Klarnamen gewünscht hätte.

Horst Kopp: Der Desinformant, Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2017, 256 Seiten, 16,99 Euro.