20. Jahrgang | Nummer 9 | 24. April 2017

Film ab

von Clemens Fischer

Zu den unappetitlichsten Figuren der Zeitgeschichte gehört zweifellos der britische Autor und Hitler-Verehrer David Irving, der sich der Zunft der Historiker zugehörig wähnt und von nazistischen Dumpfbacken und intellektuellen Antisemiten vor allem in Europa und den USA – einem Guru nicht unähnlich – Verehrung erfuhr. Er hatte mit, wie man heute sagen würde, gehörte man der Trump-Entourage an, alternativen Fakten „bewiesen“, dass die industrielle Ermordung der europäischen Juden durch Nazi-Deutschland nicht stattgefunden habe. In Auschwitz nicht und nirgendwo sonst. Damit konnte Hitler dieses monströse Verbrechen auch weder befohlen noch bloß davon Kenntnis gehabt haben. Quod erat demonstrandum: War eben doch nicht alles schlecht im Arier-Reich…
1993 hatte die jüdische US-amerikanische Historikerin Deborah Lipstadt in ihrem Buch „Denying the Holocaust“ Irving einen „authentischen Holocaustleugner“ genannt, der behauptet habe, Hitler habe „mehrfach die Hand ausgestreckt, um den Juden zu helfen“, und sei im Dritten Reich deren „größter Freund“ gewesen. Nachdem das Buch in Großbritannien erschienen war, strengte Irving eine Verleumdungsklage gegen den Londoner Penguin-Verlag und die Autorin an. Dabei kam ihm zugute, dass im britischen Rechtssystem in Verleumdungsfällen eine eigentümliche Beweislastumkehr erfolgt: Der Beklagte muss nachweisen, dass seine Aussagen zutreffen, im vorliegenden Fall also, dass der Holocaust tatsächlich stattgefunden hat, und dass die Verfälschungen des Klägers vorsätzlich erfolgten. Letzteres nach dem durchaus zweifelhaften Grundsatz: Wer an das glaubt, was er sagt, lügt nicht.
Irving, der sich vor dem höchsten britischen Zivilgericht, dem Londoner High Court, selbst verteidigte – unter anderem mit der Behauptung, es seien „auf der Rückbank von Edward Kennedys Auto in Chappaquiddick mehr Menschen gestorben als in Auschwitz“ – hat den Prozess wie auch seine Berufung verloren.
Das alles ist ohne weiteres nachlesbar. Trotzdem ist der kürzlich hier angelaufene Film „Verleugnung“, der diese Geschichte erzählt, ein sehr beeindruckendes Gerichtsdrama geworden, in dem Drehbuchautor David Hare und Regisseur Mick Jackson völlig unpathetisch, aber wiederholt über die moralische Schmerzgrenze hinaus zeigen, dass eine demokratisch legitimierte Justiz durchaus ein wirkungsvolles Instrument zur Aufarbeitung von Historie sein kann. Selbst wenn ihr Sieg den Verleumder nicht zum Schweigen bringen konnte. Und eine facettenreiche Paraderolle für Tom Wilkinson als Kronanwalt, der Irving im Gerichtssaal ein ums andere Mal als das bloßstellt, was er ist: ein, wie Richter Charles Gray mit seinem Urteilsspruch bestätigte, „Lügner“, „Geschichtsfälscher“, „Antisemit“ und „Rassist“.

„Verleugnung“, Regie: Mick Jackson. Derzeit in den Kinos.

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Ann-Margret (Olsson) – lange nichts gehört von dieser schwedisch-amerikanischen Sängerin und Aktrice, die zu ihren besten Auftrittszeiten Zuschauerrekorde von Sammy Davis jr. brach. 1993, da brachte sie es immerhin bereits auf 52 Lenze, turnte sie nicht nur die hinreißenden „alten Säcke“ Jack Lemmon und Walter Matthau in „Ein verrücktes Paar – Alt verkracht und frisch verliebt“ an, sondern auch das Publikum. Und zwar so sehr, dass es 1995 einen Nachschlag gab: „Der dritte Frühling – Freunde, Feinde, Fisch & Frauen“. Da sah die große Sophia Loren in Sachen Ausstrahlung neben Ann-Margret vergleichsweise blass aus. Man musste also keineswegs auf sehr viel ältere Streifen wie etwa „Dreckiges Gold“ (1972, mit John Wayne) zurückgreifen, um zu verstehen, warum Ann-Margret in jenem Jahr, 1995 (!), bei einer Umfrage des Empire Magazines auf Platz zehn der 100 attraktivsten Schauspieler der Filmgeschichte und vom Playboy unter den sexiesten Filmstars des Jahrhunderts auf Platz 13 gewählt wurde.
Und nun darf sie noch mal die Circe geben, und es funktioniert – mit fast 76. (Der Geburtstag fällt auf den 28. April; wir gratulieren schon mal!) Das Ganze in „Abgang mit Stil“, an der Seite von zwei weiteren hinreißenden „alten Säcken“: Michael Caine (84) und Morgan Freeman (79).
Der Film selbst ist die jüngste, höchst unterhaltsame Adaption eines durchaus auch schon betagten Sujets. Hierzulande hatte es einen seiner Höhepunkte 1974, als „Lina Braake oder Die Interessen der Bank können nicht die Interessen sein, die Lina Braake hat“ in die Kinos kam. Und auch wenn es ein Märchen bleibt, dass eine betrügerische Bank durch einige besonders gewitzte und kriminell-kreative unter ihren Opfern, die natürlich ungestraft davonkommen, um einen Teil ihrer ergaunerten Geldes erleichtert wird – man schaut immer wieder gern zu!

„Abgang mit Stil“, Regie: Zach Braff. Derzeit in den Kinos.

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„Don’t Breathe“ kann durchaus mit „Halt‘ die Luft an!“ übersetzt werden, ist jedoch im gleichnamigen Horrorstreifen aus dem Jahre 2016 nicht als Metapher gemeint, sondern wortwörtlich. Denn als ein Trio juveniler Kleinkrimineller nachts bei einem blinden Kriegsveteranen einbricht, weil der etliche Riesen gebunkert haben soll und weil der eher schlicht gestrickte Wortführer der Bande blind mit behindert im Sinne von leichtes Spiel verwechselt, nimmt der Alptraum seinen Lauf.
Man weiß ja, dass bei Blinden häufig der Gehörsinn außerordentlich geschärft ist und ihnen räumliche Orientierung ermöglicht. Und wenn so ein Blinder vorsorglich eine großkalibrige Schusswaffe im Schlafzimmer deponiert hat und nachts aufwacht, dann wird er davon im Falle des Falles Gebrauch machen – also etwa, wenn ihn deucht, dass Einbrecher sein Eigenheim durchstreifen. Da müssen die dann nicht nur zur Salzsäule erstarren, um nur ja kein Geräusch zu machen, sondern möglichst auch noch dem Imperativ „Don’t Breathe“ Folge leisten. Was bekanntlich seine Grenzen hat …
Ein Übriges leistet der Lebenskamerad des Blinden. Der war zwar von den Jugendlichen zunächst in einen tiefen Schlummer narkotisiert worden. Doch da die ganze Sache sich unter anderem wegen der Salzsäulen-Einlagen deutlich länger hinzieht, als eigentlich geplant, kommt er dann doch noch ins Spiel. Und er kann nicht nur ebenfalls ausgezeichnet hören, sondern auch sehen. Und zwar mit der Nase sowie gern selbst bei stockfinsterer Dunkelheit, die im Hause herrscht, sobald der Blinde die Hauptsicherung umgelegt hat. Schießen kann dessen Kamerad allerdings nicht, aber das ist bei einem scharfen Rottweiler nicht wirklich beruhigend.
Insgesamt nichts für schwache Nerven und für Cineasten mit Veranlagung zum Würgereiz bei Unappetitlichem schon gar nichts.

„Don’t Breathe“, Regie: Fede Alvarez. Leider nur FSK 16, dafür aber gottseidank nicht mehr in den Kinos. Erhältlich allerdings auf DVD und in einschlägigen Videoverleihs sowie bei Streaming-Diensten.

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Zauberhaft – hier passt die Kitschvokabel ausnahmsweise mal ohne jede ironische Brechung – und für die ganze Familie präsentieren sich „Die Winzlinge“, die ohne ein einziges gesprochenes Wort auskommen. Was daran liegt, dass die Haupthelden ein kleiner Marienkäfer sowie eine Kompanie fleißiger Hochleistungsameisen sind und die Komparsen auch allesamt Insekten. In Animationsstreifen können solche Akteure üblicherweise trotzdem sprechen, in diesem aus Frankreich jedoch nicht. Der Faszination des Films aus dem vergangenen Jahr, der aus einer Animationsserie von 78 jeweils sechsminütigen Folgen hervorging, tut das aber keinen Abbruch. Das sahen nicht zuletzt die Juroren des französischen Oscars, der César heißt, ebenso.
Womit der Marienkäfer und die Ameisen beschäftigt sind, soll hier nicht verraten werden, doch der Untertitel des Films lässt zumindest einiges erahnen: „Operation Zuckerdose“. Und dass eine solche Operation eine herausfordernde Sache sein kann, wenn andere, feindliche und räuberische Ameisen ebenfalls hinter so einer (gut gefüllten) Dose her sind, liegt auf der Hand.
Seinen besonderen Reiz zieht der Streifen im Übrigen aus der Kombination von Animation und Realfilm: Während sämtliche Tiere und ein Teil der „Kulissen“ animiert sind, wurde vor allem die Natur mit Wald und Wiesen, Felsen und munterem Bächlein an Originalschauplätzen abgelichtet. Welche besonderen Schwierigkeiten und Anforderungen das für die Filmemacher mit sich brachte, zeigt im Detail das der DVD beigegebe Making-of.

„Die Winzlinge – Operation Zuckerdose“, Regie: Thomas Szabo und Hélène Giraud. Auf DVD und in einschlägigen Videoverleihs sowie bei Streaming-Diensten.