von Wolfgang Brauer
Er hat das Gesicht der DDR-Weltbühne seit 1957 – in Heft 41 erschien ein Aufsatz über den von den Faschisten umgebrachten bedeutenden Kupferstecher Johannes Wüsten – nachhaltig mitgeprägt. Seine Kunstkritiken waren für uns Jüngere in einem höheren Grade bildender als manch dröges Hochschulseminar. Die Rede ist vom 2013 verstorbenen Kunsthistoriker und Publizisten Lothar Lang. Langs Ehefrau, Elke Lang, gab jetzt im Quintus-Verlag eine noch vom Autoren gegen Ende seines Lebens erstellte Auswahl seiner Weltbühnen-Texte heraus.
Kunstkritik – zumeist kommt sie als Ausstellungsbesprechung daher – ist sozusagen genetisch bedingt scheinbar eine Sache des journalistischen Tagesgeschäftes. Da sind solche Sammelbände immer ein gewisses Wagnis. Aber ich sage es gleich am Anfang: Die meisten Texte Lothar Langs las ich mit derselben Spannung, mit demselben Gewinn wie zum Zeitpunkt ihres Erscheinens. Mit dem einen großen Unterschied: Die jetzigen Bilderfahrungen hatte unsereiner aus vielen Gründen seinerzeit natürlich nicht. Auch die Weltbühne zeichnete sich zudem durch eine geradezu ikonoklastische Bilderfeindlichkeit aus.
Der Band selbst ordnet die Texte in Schubladen, so wie ein penibler Sammler seine Blätter akkurat im Grafikschrank einsortiert – Lang war ein bedeutender Sammler –: „Begegnung mit Meistern der klassischen Moderne“, „Eine vergessene Generation“, „Herausforderungen und Lesarten – Neue Reflexionen“. Die erste Abteilung ist lehrreich: Der Bogen wird von Paul Cézanne bis Max Beckmann, dem gleich zwei Aufsätze gewidmet sind, gespannt. Aufschlussreich, dass Lang in diese Rubrik auch Max Klinger aufnimmt. Mit Freude las ich den Bericht über seinen Atelierbesuch bei Wladimir Faworski, dessen phantasievolle Holzstichkunst inzwischen wieder im Dämmer des Halbvergessens einer Wiederentdeckung harrt. In einem größeren Text über Max Beckmann aus dem Jahre 1965 („Max Beckmann. Herausforderung an dieses Jahrhundert“) formuliert Lang etwas pathetisch, aber im Anspruch deutlich, was für ihn die Grundlage jeglicher Kunstkritik ist: „So bedarf es der Anstrengung des Verstandes und der Sinne, um des Geistes großer Kunst teilhaftig zu werden.“
Elmar Faber sagte es in seiner Laudatio zu 60. Geburtstag Lothar Langs auf Schloss Burgk drastischer: Langs Kunstkritiken wären auch dadurch originär gewesen, weil Lang „nicht von anderen abschrieb“. Von seiner Kritik wäre mehr zu erfahren gewesen, „als routinierte Sprüche, als die Mundraub-Parolen aus den zentralen Zeitungen“.
Mit Max Beckmann befasst sich auch der Text, der letztlich die Trennung Lothar Langs von der Weltbühne bewirkte. 1993 sollte in Heft 15 (auf dem Titelblatt ist er noch angekündigt) eine Besprechung einer Sonderausstellung der Beckmann-Selbstbildnisse in der Hamburger Kunsthalle erscheinen. Lang, der immer heftig gegen die Oberflächlichkeiten zu Felde zog, die er in einem berührenden Text über den Dresdner Maler Hans Jüchser und dessen „vornehme Schlichtheit“ als „Malstellerei“ abkanzelte, holte in diesem Text zu einem Rundumschlag gegen den seinerzeit (?) aktuellen Kunstbetrieb aus. Er lobte die großen Präsentationen Cézannes in Tübingen, Picassos in der Berliner Nationalgalerie, Beckmanns in Hamburg und einige andere mehr über den grünen Klee, um im Vergleich zur klassischen Moderne die Jetztzeit als eine solche des künstlerischen Niedergangs zu geißeln: „Die aufwändigen aktuellen Überblicksausstellungen, die uns zeitgenössische Kunst vorführen wollen, bieten meist Einfallslosigkeit und gefallen sich in der Darbietung einer Kunst, die von den Brosamen eines ganzen Jahrhunderts lebt. […] So scheint Kunst von heute zunächst und vor allem Recyclingkunst zu sein.“ Der Chefredakteur wollte die Streichung des Absatzes. Lang weigerte sich – und das warʼs.
Der Jüchser-Aufsatz findet sich übrigens im Abschnitt der „vergessenen Generation“. Das erinnert durchaus an Rainer Zimmermanns Begriff der „verschollenen Generation“ – gemeint sind dieselben Künstler. Es sind diejenigen, die tief in einer aus heutiger Sicht unerhört vielschichtigen klassischen Moderne verwurzelt waren, deren – oftmals nicht nur künstlerische – Biografien durch Faschismus und Zweiten Weltkrieg gebrochen waren und die danach im vom Kalten Krieg überlagerten Glaubenskrieg zwischen Abstrakten und Realisten immer wieder Gefahr liefen zerrieben zu werden. „Vergessen“ ist vielleicht ein wenig dick aufgetragen, an den Rand geschoben ist die Generation der Ehmsens, Grundigs und Rosenhauers allemal. Auch deshalb ist es wichtig, immer wieder auf diese großen Künstler aufmerksam zu machen.
Im genannten Kapitel findet sich ein schöner Aufsatz über den Berliner Herbert Tucholski, einen der ganz großen Meister der Druckgrafik. Und es gibt einen schönen Gleichklang zwischen Tucholski und Lang: Beide attackierten gern eine oftmals gedanken- und lieblos vorgenommene Hängung in den von ihnen besuchten Ausstellungen: „[…] man kann auch Bilder tothängen, wenn sie zum Beispiel wie Wäsche auf die Leine gehängt werden“, schrieb der von Lang sehr verehrte Herbert Tucholski 1971 in seinem Aufsatz „Über das Bilderhängen“ – natürlich in der Weltbühne. Anderswo hätte man sich den Abdruck so systemgefährdender Kritik kaum gewagt.
Einen interessanten Querschnitt durch die Kunst der DDR bietet das dritte Kapitel des Bandes: Der Bogen wird von Harald Metzkes bis hin zu Carlfriedrich Claus geschlagen. Das ist lesenswert und rückt tatsächlich fast Vergessenes wieder ans Licht. Clara Mosch zum Beispiel, jene geniale Karl-Marx-Städter Künstlergruppe, die in den fünf Jahren, die sie existierte, von der sächsisch-sozialistischen Kulturbürokratie erbittert bekämpft wurde – diesen Kunstfeinden oft ein Schnippchen schlug und unerhört befruchtend für die damalige junge Kunstszene des Landes wurde.
Elke Lang – sie trug ein informatives Vorwort bei – ist für diese Möglichkeit einer Wiederbegegnung mit den Texten Lothar Langs nachdrücklich zu danken.
Lothar Lang: Begegnung und Reflexion. Kunstkritik in der Weltbühne, Quintus, Berlin 2016, 246 Seiten, 20,00 Euro.
Schlagwörter: Die Weltbühne, Elke Lang, Kunstkritik, Lothar Lang, Wolfgang Brauer