von Hannes Herbst
Persönlich kennengelernt habe ich Hans Voelkner in den 1980er Jahren am damaligen Institut für Internationale Politik und Wirtschaft der DDR (IPW) in Berlin, wenn auch nur flüchtig. Er war ein bescheiden und sehr zurückgenommen in Erscheinung tretender Kollege, der öffentlich nichts davon ahnen ließ, dass seine Eltern, ursprünglich Zirkuskünstler, zu den Helden des deutschen Widerstandes in den Hitler-Jahren zählten. Sie waren Mitglieder der Roten Kapelle in Frankreich, wo Voelkners Mutter Käthe als Sekretärin im Amt Sauckel, Bereich wehrwirtschaftliche Angelegenheiten, und der Vater Johann als Dolmetscher bei der Organisation Todt arbeiteten. 1943 gerieten die Eltern den Häschern in die Hände und wurden hingerichtet. Auch was Hans Voelkner selbst für ein spannungsreiches Leben in den Jahrzehnten, bevor er zum IPW kam, geführt hatte, erfuhr ich erst Jahre nach dem Ende der DDR, als ich seine autobiografischen Erinnerungen las. Die waren noch 1989 im Militärverlag der DDR unter dem Titel „Salto mortale. Vom Rampenlicht zur unsichtbaren Front“ erschienenen.
Geboren am 21. August 1928 in Danzig wuchs Hans Völkner in halb Europa auf, denn die Eltern zogen mit ihren beiden Söhnen von Engagement zu Engagement, 1936 auch in die Sowjetunion. Ob bereits aus dieser Zeit Kontakte zur sowjetischen Auslandsaufklärung bestanden, ist nicht sicher. Aber bekannt ist, dass Käthe Voelkner von Leopold Trepper, dem legendären Chef der Roten Kapelle, höchstselbst in Paris überprüft und rekrutiert worden war.
Nach der Hinrichtung der Eltern steckten die Nazis Voelkner ins Waisenhaus, von wo er im Januar 1945 floh, um einer Einberufung zum Arbeitsdienst an die Ostfront zu entgehen. Die SS fing ihn wieder ein, so dass er das Kriegsende in einem Lager erlebte. Mit befreiten französischen Gefangenen kehrte er nach Paris zurück, konnte dort in den Folgejahren jedoch nicht recht Fuß fassen. 1949 wechselte er in die DDR über, nach Leipzig, und geriet rasch in die Spionagehysterie des sich verschärfenden Kalten Krieges, in der einem Übersiedler von West nach Ost besonderes Misstrauen entgegenschlug. Ein sowjetisches Militärtribunal verurteilte Voelkner als Agent der Sûreté Nationale zu 25 Jahren Zuchthaus, von denen er fünf in Bautzen absaß. Aber weil er im Knast Kommunist blieb und sich später auf unkonventionelle Weise für die DDR engagierte, verweigerte ihm die Bundesrepublik nach 1990 jede Entschädigung oder Opferpension. Voelkners spezielles Engagement hatte darin bestanden, der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit von 1962 bis 1969 als Instrukteur und Tipp-Geber im NATO-Ausland zu dienen – unter der Legende eines Angestellten in der Generaldirektion des Reisebüros der DDR, was seinen dortigen regelmäßigen Abwesenheiten vom Arbeitsplatz Plausibilität verlieh. 1969 wurde Voelkner in Frankreich verhaftet. Er lehnte ein Angebot zum Überlaufen ab und wurde zu zwölf Jahren verurteilt, wovon er wiederum fünf absaß. Französische Medien, die zum Schicksal seiner Eltern recherchiert hatte, gaben ihm den Ehrentitel „Waisenkind der Roten Kapelle“.
Ein Teil dieser und weitere biografische Informationen sind bereits dem Einleitungskapitel des Buches „Im Schatten der Roten Kapelle. Das unstete Leben des Spions Hans Voelkner“ von Peter Böhm zu entnehmen, das anschließend längere Auszüge aus „Salto mortale“ wiedergibt sowie den ausführlichen Abschlussbericht, den Voelkner im Oktober 1974, nach seiner Rückkehr in die DDR, für die HVA diktierte und ein Feature, das am 21. August 2012 auf France Inter über Hans Voelkner gesendet worden ist.
In den Auszügen aus „Salto mortale“ finden sich ausführliche Abschnitte über das Artistenleben in Paris vor dem Krieg, über Voelkners Zeit in Frankreich nach 1945, als er nicht nur der CGT und der FKP beitrat, sondern ab 1947 auch eine höhere Schule, das Collège Cévenol in Le Chambon sur Lignos im Departement Haute-Loire besuchte, des Weiteren über seine Haftjahre in Bautzen sowie seine Tätigkeit für die HVA.
Als Voelkner in Frankreich einsaß, kümmerte sich um ihn und seine Familie unter anderem eine Klassenkameradin aus der Zeit am Collège Cévenol, die französische Schauspielerin Delphine Seyrig, die ihn auch im Gefängnis besuchte. Seyrig, die unter anderem die weibliche Hauptrolle in Buñuels „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ von 1972 gespielt hatte und in der Forsyth-Verfilmung „Der Schakal“ von 1973 zu sehen gewesen war, schickte ihm 1974 von der Premiere des Peter Handke-Stückes „Der Ritt über den Bodensee“ im Espace Pierre Cardin in Paris ein Programmheft, auf dem unter der Widmung „Pour Jean“ (Voelkners Vorname am Collège Cévenol) neben ihr selbst auch der Dichter sowie alle anderen Schauspieler unterzeichnet hatten – darunter Jeanne Moreau, Gérard Dépardieu und Michael Lodsdale.
Peter Böhm: Im Schatten der Roten Kapelle. Das unstete Leben des Spions Hans Voelkner, edition ost im Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2015, 255 Seiten, 14,99 Euro.
Schlagwörter: DDR, Frankreich, Hannes Herbst, Hans Voelkner, Peter Böhm, Rote Kapelle, Spion