19. Jahrgang | Nummer 4 | 15. Februar 2016

Zum Sechzigsten der „Pirckheimer“

von Leo Piotracha

Die Pirckheimer-Gesellschaft im Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, am 29. Januar 1956 in Berlin gegründet, gehört zu den wenigen kulturellen Vereinigungen aus der Deutschen Demokratischen Republik, die über das Jahr 1990/91 hinweg gekommen sind. Als eingetragener Verein (e.V.) nimmt die Gesellschaft der Bücherfreunde, benannt nach dem Humanisten Willibald Pirckheimer (1470-1530), einem Freund Albrecht Dürers, heute im Verhältnis zur Gesellschaft der Bibliophilen (gegründet 1899) und der Maximilian-Gesellschaft (gegründet 1911) aufgrund ihrer Mitgliederzahl einen Mittelplatz ein.
Durch intensive Werbung und aufgrund von Ausstellungen, die zuvor stattgefunden hatten, gehörten zu den Gründern der Pirckheimer-Gesellschaft 94 Personen, Bibliotheken und Verlage. Johannes R. Becher, Minister für Kultur, schickte einen Glückwunsch. Arnold Zweig, der in der Soncino-Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches eine Rolle gespielt hatte, hielt die Festrede im Berliner Café Budapest. Bruno Kaiser, Literaturwissenschaftler und Bibliothekar, der die Gesellschaft über 25 Jahre leiten sollte, hatte sich schon zuvor an den Bibliophilen Lion Feuchtwanger gewandt, um einen Beitrag für eine Publikation zu erhalten. Merkwürdig ist, dass bisher nicht bemerkt oder gar ausgesprochen wurde, wie hoch der Anteil von Juden und Kommunisten in der Gründerphase der Gesellschaft und darüber hinaus war. Wieland Herzfelde und sein Bruder John Heartfield gehörten dazu, Grete Weiskopf, bekannt als Alex Wedding, der früh verstorbene Louis Fürnberg und Walther Victor – um nur einige zu nennen.
Natürlich war Wert darauf gelegt worden, sowohl Prominente als auch Bücherfreunde aus allen Bevölkerungskreisen für die Mitgliedschaft zu gewinnen. Vom Deutschen Kulturbund auf vielfältige Weise gefördert und der „Bibliophilie im Sozialismus“ verpflichtet, zählte die Gesellschaft 1970 rund 500 Mitglieder, deren Zahl wuchs bis 1990 auf etwa 1200. Bücher, Graphik und Exlibris gehörten zu den bevorzugten Sammelgebieten. Sieht man sich die fünf Sammlerverzeichnisse an, die zwischen 1971 und 1990 erschienen und den Freunden dazu dienten, Kontakt miteinander aufzunehmen, wird das breite Spektrum der Interessen deutlich. Eine besondere Quelle bildeten Angebote der staatlichen Antiquariate anlässlich der Jahrestreffen. Bald fanden aus diesem Anlass auch Auktionen statt, Einlieferer waren die Pirckheimer.
Das Mitteilungsblatt für die Mitglieder der Gesellschaft, das seit 1957 erscheint und von ihrem ersten Redakteur Heinrich F. (S.) Bachmair Marginalien genannt wurde, ist ab Heft 30 im Untertitel als „Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie“ ausgewiesen. Als erste Publikation für die Mitglieder, in einer leider später nicht fortgesetzten Reihe, erschien indes von Jürgen Kuczynski „Sechs Generationen auf Bücherjagd“. Von Anfang an spielte auch Theo Pinkus aus Zürich eine Rolle. Im Limmat-Verlag war das Werk Frans Masereels angesiedelt. „Masereel und das Buch“ erfreute 1960 die Pirckheimer. Im Mai 1961 wurde in Leipzig die Zentrale Arbeitsgemeinschaft der Graphiksammler gegründet. Ihr Vorsitzender war Heinrich Ilgenfritz, sein Stellvertreter Werner Timm vom Berliner Kupferstichkabinett, drittes Vorstandsmitglied Gabriele Meyer-Dennewitz vom Ministerium für Kultur. Zum VIII. Europäischen Exlibriskongress Leipzig 1961, der im Juli stattfand, setzte die Arbeitsgemeinschaft mit einer Mappe, die 20 Graphiken überwiegend Leipziger Künstler enthielt, ein erstes Zeichen ihrer Existenz.
Sowohl durch die Jahrestreffen die seit 1971 an unterschiedlichen Orten stattfanden – zur Internationalen Buchkunstausstellung alle fünf Jahre selbstverständlich in Leipzig – als auch durch die Zunahme regionaler Aktivitäten, vor allem in Bezirksgruppen, nahm die Gesellschaft einen bemerkenswerten Aufschwung. Ausgangs- und Mittelpunkt des bibliophilen Lebens in der DDR war jedoch Berlin. Mit etwa 335 Mitgliedern waren hier 1989 rund ein Drittel der Pirckheimer zu Hause. Die Abende der Gesellschaft waren gut besucht: HAP Grieshaber, Werner Klemke oder auch Mario Offenberg von Adass Jisroel waren zu hören. Besonders aufschlussreich waren die Abende im Februar, auf denen kritisch jeweils „Die Schönsten Bücher der Deutschen Demokratischen Republik“ des Vorjahres vorgestellt wurden.
Nachdem Lothar Lang 1964 die Redaktion der vierteljährlich erscheinenden Marginalien übernommen hatte, die im Aufbau-Verlag erschienen, gewannen sie an Profil. Mit den Katalogen des von Lang begründeten Pirckheimer-Kabinetts auf Schloss Burgk – Autoren der Texte waren überwiegend Pirckheimer – wurde das bibliophile Gespräch erweitert.
Unter den Sammlungen, die zu beträchtlichem Umfang gelangt waren, sei die Bibliothek des Regisseurs Kurt Jung-Alsen zum Expressionismus, zu Literatur und Graphik des frühen 20. Jahrhunderts genannt. Die Akademie der Künste der DDR erwarb sie 1975 für 541.040 Mark, den Schätzpreis des Antiquars Johannes Wend. Auch Bruno Kaiser veräußerte seine Bibliothek an die Deutsche Staatsbibliothek. Sie umfasst Drucke vom 16. Jahrhundert an. Die wohl größte private Bibliothek und Handschriftensammlung in der DDR, die Jürgen Kuczynski sein Eigen nannte, wurde von den Erben erst 2007 an die Berliner Stadtbibliothek verkauft.
Als die Maximilian-Gesellschaft im März 1990 in Berlin tagte, die Stadt war noch durch zwei Währungen geteilt, wurden die Pirckheimer-Gesellschaft wie auch die Gebrauchsgraphiker im Verband Bildender Künstler der DDR großzügig eingeladen. Jedoch brachten die Einführung der D-Mark auf dem Gebiet der DDR und der Anschluss an die Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 auch Mitgliedern der Pirckheimer-Gesellschaft manche soziale Unsicherheit, darunter Kündigungen und Arbeitslosigkeit. Die beliebten Jahrestreffen finden seit 1991 wieder statt, alternierend im traditionellen Bewegungsraum der Pirckheimer und in Orten der alten Bundesrepublik, doch die Zahl der Mitglieder schwand auf etwa 400. Seit dem Jahr 2000 vom Berliner Historiker Wolfgang Kaiser geleitet, wählten die Pirckheimer 2015 den Mannheimer Unternehmer Ralph Aepler zum Vorsitzenden. Er trat mit dem Versprechen an, die Mitgliederzahl wieder auf 500 zu bringen.