von Werner Richter
Klaus Müller, Jahrgang 1944, ist Ökonom an der TU Chemnitz mit den Spezialgebieten Geld, Verteilung sowie Geschichte der ökonomischen Theorie. Nach 1989/90 wandelte er sich nicht stromlinienförmig, sondern vertrat seine wissenschaftlichen Lebenserkenntnisse und entwickelte sie weiter. Das vorliegende Buch ist der Extrakt. Hier liegt das Problem des Rezensenten, denn es ist unmöglich, in einem einzigen Artikel dieses Buch gebührend zu besprechen. Deshalb konzentriere ich mich auf die Darstellungen zum Wert, der Basis seiner Abhandlung. Bücher über Geld gibt es zu Legionen, jedoch auf Basis der Werttheorie wenige. Der Autor bleibt da konsequent, Hochachtung.
Umso merkwürdiger ist, dass Fritz Erik Hoevels das Geleitwort schrieb, damit dem Autor zurechenbar. Dessen Grundthese vom „stetigen Wertverlust des Geldes“ hat eine unscharfe Wertdefinition. Eine konsequent Marx folgende Definition ist somit übergangen, obwohl diese unbedingt an den Anfang gehört. Ob der Autor Marx und Engels folgt, ist hier zumindest fragwürdig. Trotz späterer Korrekturen bleibt dieser Widerspruch. Müller legt besonderes Gewicht auf den tatsächlichen Verlauf der Geldformentwicklung. Das bleibt Aufgabe der Wirtschaftsgeschichte. Jedoch ist auf diesem Wege, so auch Marx, nicht der innere ursprüngliche und selbstorganisatorische Mechanismus bloßzulegen.
Die Buchgliederung ist recht ungewöhnlich. „Streiten“, „Werten“, „Ordnen“ und so weiter mit vielen Unterüberschriften gleicher Art findet man nicht oft. So wird ein allgemeines Verständnis des Themas ermöglicht. Auch viele Zitate, Anekdoten, historische Kuriosa sind zu lesen. Das gibt dem Buch einen speziellen Unterhaltungswert. Aber Vorsicht ist trotzdem geboten. Man sollte sich bei der Lektüre viel Zeit lassen.
Unter der Überschrift „Klären“ ist die ganze Bandbreite der Geldtheorien gestellt. Dabei filtert der Autor die Frage nach dem inneren unsichtbaren Wesen des Geldes als die zunächst und primär durch die Ökonomie zu klärende heraus sowie die grundlegende Bedeutung von Wert und Geld für die Gesellschaft.
Unter der Überschrift „Streiten“ steht bei Müller die Komplexität der Geldfrage. Bei aller Daseinsberechtigung nichtökonomischer Sichtweisen besteht der Autor zu recht auf dem Primat des Marktes, also der Warenproduktion, vor dem Geld. Der Leser erhält einen Einblick in verschiedene idealistische, aber aktuell aktive Theorien. Die Unterschiede zwischen Geld, Geldzeichen und Geldsurrogaten, deren Nivellierung eine Voraussetzung des beliebigen Gebrauches der Kategorie „Geldwert“ ist, werden geordnet, der untrennbare Zusammenhang von Ware und Geld mit dem Primat der Ware geklärt.
Im Kapitel II „Werten“ geht der Autor das Wertgesetz direkt an. Er beginnt mit den Unterschieden von einfacher und kapitalistischer Warenproduktion, folgt nicht der üblichen Apologetik des Kapitalismus, bleibt formal ökonomisch, verknüpft jedoch in Folge diese Sichtweise mit einer „gleichberechtigten“ historisch-empirischen. Der Autor kommt dann unter dem Stichwort „ein Ding, zwei Seiten“ zum Doppelcharakter der Ware, um von da auf das allen Waren Innere, Unsichtbare, Vergleichendes, aber Gemeinsame, um auf den Wert als Wesen der Preise und des Geldes zu schließen: der Tauschwert als Erscheinungsform des Wertes. In vielen Theorien ist die beliebige Verwechselung von Gebrauchswert (GW) und Wert zu finden. Der Schlüssel zum Wert liegt in der Herstellung der Ware als Produkt menschlicher Arbeit. Allgemein menschliche Arbeit ist die Substanz, deren Quantum die Wertgröße. Natürlicher Maßstab ist die Arbeitszeit. Nicht diese individuelle Seite sei dabei von Belang, sondern die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zur Herstellung der Ware. Leider „vergisst“ er hier die zweite Determinante: den Markt mit seinen Gesetzen. Marx war die Werttheorie nicht von ungefähr vom Markt her angegangen.
Damit schafft er erst ein Problem. Unter Berufung auf Ruben und Wagner erklärt der Autor als logisch: Arbeit ist nach Marx ewige Naturbedingung menschlichen Lebens. Dann gäbe es auch immer gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit als Wertgröße und damit den Wert. Er erklärt so den Wert „historisch“ aus dem allgemeinen Charakter der Arbeit als menschliche Existenzbedingung und nicht aus den Gesetzen der Warenproduktion. Aber die systemische Marxmethode ist schon historisch abgeleitet und bedarf keiner zusätzlichen historischen Komponenten. Müller übersieht den Kern der Marxschen Werttheorie, die abstrakt allgemeine Arbeit. Diese gesellschaftliche Formbeziehung, etwas Immaterielles, wird zur gegenständlichen Form, die nicht an sich selbst dargestellt werden kann. Sie muss sich im Körper einer anderen Ware darstellen. Die erste Ware ist ein GW, die zweite gilt nur in ihrer Naturalform als Wertform. Indem eine Naturalform (GW) zur gesellschaftlich allgemeinen Wertform bestimmt wird, entsteht ein gesellschaftlich Allgemeines (Geld).
Abstrakt allgemeine Arbeit ist keine gegenständliche arbeitsausübende Tätigkeit und kann deshalb nicht gemessen werden ebenso wie der Wert, das gesellschaftliche Verhältnis. Sie ist eine gesellschaftliche Form, und sie wird nach Abschaffung der Warenwirtschaft auch weiterhin ein Maßstab der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit bleiben. Nicht die abstrakt allgemeine Arbeit wird abgeschafft, sie bleibt als allgemeine Eigenschaft erhalten, sondern nur ihre verfremdeten, gegenständlichen Formen: Wertformen, Geldformen und Kapitalformen. Abstrakte Arbeit ist keine Sorte Arbeit, die man verausgaben oder mit der man etwas messen kann.
Der Autor versucht es trotzdem, mit Modellen „Arbeitswerte“ zu berechnen. Das ist verwirrend. Warum die plötzliche Kehrtwende, nachdem der Autor eigentlich die Unmöglichkeit der Quantifizierung des Wertes begründete? Der Sinn dieses Versuches bleibt ungenannt. Ist punktuelle Wertgrößenmessung überhaupt möglich? Obwohl er Haug an vielen Stellen kritisiert, folgt er doch letztendlich dessen Methodik.
Das Problem der „Wertberechnung“ ist so alt wie der Wert selbst, und man kommt der Lösung mit keiner mathematischen Gleichung wirklich näher. Nichts gegen Input-Output-Analysen als ökonomische Gleichgewichts-Tableaus – aber zu glauben, dadurch würde man eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung auf Wertbasis erzeugen, ist Illusion.
Es hat schon Tragik, wenn Marxkenner wie Klaus Müller mit sehr viel Marxwissen nicht die Courage und Kraft finden, ihre Ableitungen in Frage zu stellen. Trotzdem dürfte vielen Geschichtsinteressierten das Buch ein Gewinn sein. Die Kritik wird an anderer Stelle fortgesetzt werden müssen.
Klaus Müller: Geld – von den Anfängen bis heute, AHRIMAN-Verlag, Freiburg 2015, 572 Seiten, 27,80 Euro.
Schlagwörter: Geld, Klaus Müller, Werner Richter, Werttheorie