von Lutz Unterseher
Die Moskauer Macht ist bis in die Spitze antisemitisch verseucht. Mein Freund Alexej Arbatow, einst Mitglied der Duma, kassierte in einer Ausschusssitzung von einem prominenten Kollegen einen Rippenstoß und die Bemerkung: „Du Judensau, irgendwann schlagen wir auch dich tot.“ Nach Nazikriterien ist Alexej Halbjude und hätte billigerweise erwarten dürfen, nur halbtot geschlagen zu werden, zog es aber vor sich unter die Fittiche der Carnegie Foundation zu begeben.
Als sich dann auf dem Kyiver Maidan antisemitische Rechtsradikale durch besondere Gewalttätigkeit gegen die Repressionsorgane des Präsidenten Janukowitsch hervortaten, bot dies der Moskauer Propaganda eine gute Gelegenheit, vom eigenen alltäglichen Faschismus abzulenken. Durch allerlei Tricks ließ man den Bürgerprotest als von „Faschisten“ dominiert erscheinen: so geschickt, dass auch westliche Beobachter darauf hereinfielen.
Zwar gibt es in der Ukraine eine antisemitische Tradition. So etwa stellt Nikolai Gogol in seiner Novelle „Taras Bulba“ das sporadische Totschlagen von Juden gleichsam als Teil des Brauchtums der freien ukrainischen Kosaken dar. Doch sollte niemand auf die Botschaft hereinfallen, dass auf dem Kyiver Maidan die zivilgesellschaftlichen Kräfte nicht die Mehrheit und nicht letztlich doch das Sagen hatten.
Mit diesen Kräften fielen auch an deren Rand stehende libertäre Elemente der medialen Marginalisierung durch Moskau zum Opfer. Gemeint sind die ukrainischen Anarchisten. Obwohl auf dem Kyiwer Maidan in einiger Zahl präsent, kamen sie – als besonders friedfertige Bürgerinnen und Bürger – wegen der sich zuspitzenden Ereignisse kaum zu Wort.
Anders auf dem Charkiver Maidan, wo es keine vergleichbare Eskalation der Gewalt gab. Dort ließ sich die altehrwürdige Programmatik der Anarchisten klarer vernehmen: Hinweg mit den repressiven Institutionen des Staates – für einen kooperativen Verbund freier Zusammenschlüsse der Werktätigen!
Ukrainischer Anarchismus? Altehrwürdige Programmatik? Das alles ist vielen kaum noch bewusst. Und dabei gab es auf dem Gebiet der heutigen Ukraine sogar einmal so etwas wie einen „anarchistischen Staat“ – eigentlich ein Widerspruch in sich! Zwischen 1917 und 1921 behauptete sich der ukrainische Anarchismus gegen feindliche Truppen aus dem Westen, Norden und Osten: zuerst gegen das deutsche und das österreichische Heer, dann gegen die Polen sowie schließlich die Weißen und Roten im Kontext des Bürgerkrieges in Sowjetrussland. Am Ende musste man vor der Roten Armee mit ihrem Übergewicht an Menschen und Material weichen.
Der anarchistische Staat hatte – in der damals noch stark agrarisch geprägten Ukraine – die Idee und die rapide sich entwickelnde Realität freier Assoziationen von Bauern zur Grundlage. Seine Legitimation bestand darin, deren Entwicklung in einer feindlichen Umwelt mit militärischen Mitteln zu behüten. Der Staat war also wesentlich Armee, und diese konnte sich, wo immer sie operierte, auf ihre bäuerliche Basis und deren allerdings bescheidene Ressourcen stützen.
Der kleine Feldherr
Die zentrale Figur des ukrainischen Anarchismus war Nestor Iwanowitsch Machno. Die von ihm geführte und nach 1917 rasch erstarkende Bewegung hieß „Machnowschtschina“.
Machno war ein Bauernsohn, geboren 1888 in Huljajpole, auf dem Gebiet der heutigen Ostukraine. Die Lückenhaftigkeit seiner Schulbildung suchte er durch eifrige Lektüre zu kompensieren. Schon früh zeigte er sich von den Schriften der russischen Anarchisten Michail Bakunin und Fürst Kropotkin beeindruckt.
Seine aufrührerischen Aktivitäten brachten ihm Kontakte mit der zaristischen Strafverfolgung ein. Er wurde mehrfach verhaftet und schließlich zum Tode verurteilt, aber auf Bitten seiner Mutter begnadigt. Die Gefängnisaufenthalte machten ihn schwer lungenkrank. Als er 1934 im Alter von nur 45 Jahren im Pariser Exil starb, war das eine Folge dieser Erkrankung.
Nestor Machno war ein kleiner, schmächtiger Mann mit schlechten Zähnen und einer wallenden Haartolle. Und doch eine große, charismatische Persönlichkeit – ein unauffälliger Mensch, der aber im Gespräch gewann und überzeugte. In seinem Anarchismus leuchtete die Freiheitsliebe der Kosaken. Doch deren Verachtung für alles Jüdische war ihm fremd. In der Machnowschtschina fühlten sich auch die jüdischen Gemeinden gut aufgehoben.
Die wesentliche Leistung Machnos lag auf militärischem Gebiet. Aus dem Nichts schuf er eine Streitmacht von bis zu 50.000 zumeist bäuerlichen, freiwilligen Kämpfern, die den bitter nötigen Schutz des anarchistischen Experiments übernahm. Diese Truppe ist als Partisanenarmee bezeichnet worden: weil sie bodenständigen Ursprungs war, „aus dem Volke“ kam und Zeichen der Improvisation trug. Eine Charakterisierung, die freilich etwas zu kurz gegriffen erscheint: Die Armee Machnos war hochbeweglich. Sie vermochte rapide über Hunderte von Kilometern vorzudringen, aber auch flexibel massiven feindlichen Angriffen ausweichen. Solche Bewegungen wurden auf der Basis einer Gesamtstrategie koordiniert, wobei den unteren Befehlsebenen viel Entscheidungsspielraum eingeräumt wurde, um vor Ort sich bietende Chancen nutzen zu können.
Die Gesamtstrategie war ein Eingeständnis der Schwäche. Sie reflektierte die Einsicht, dass sich die Armee nur würde halten können, wenn sich verzehrende Konfrontationen mit den Gegnern vermeiden ließen. Es sollten nicht Linien verteidigt, sondern wichtige Räume behauptet oder doch zumindest in den eigenen Wirkradius gebracht werden. Rückzüge in einer Richtung sollten Fortschritte an anderen Abschnitten ermöglichen. Infolgedessen hatte die Ukraine der Machnowschtschina keine festen Grenzen, keine fixen Fronten: Alles war im Fluss.
Im Zuge der Kämpfe erlebte die Truppe Machnos einen eindrucksvollen Prozess der Professionalisierung. Die Kader wurden geschult und bewegliche Operationen systematisch geübt. Hinzu kam eine grandiose strukturelle Vereinfachung, die das Führen größerer Verbände auch über beträchtliche Entfernungen sehr erleichterte. Grundelement dieser Vereinfachung, die zugleich eine Leistungssteigerung bedeutete, war die Tatschanka: der mit einem Maschinengewehr bestückte Pferdewagen.
Ein wunderbarer Wagen
Isaak Babel wurde von Maxim Gorki, der das große dichterische Talent des jungen Mannes aus dem Odessaer Ghetto erkannt hatte, mit dem Rat bedacht, „unter die Leute“ zu gehen, um Lebenserfahrung zu sammeln. Babel schloss sich daraufhin der roten Kavallerie an, die 1920 in der Westukraine gegen die dorthin vorgedrungene polnische Armee focht.
Einige Jahre später schreibt er in seinem Meisterwerk „Budjonnys Reiterarmee“:
„Ein Wagen! Dieses Wort bildete die Grundlage des Dreiecks, das unseren Lebensinhalt erschöpfte: das Töten – der Wagen – das Pferd […] Jeder Wagen, ob es die Kalesche eines Popen oder Gerichtsbeamten oder nur ein ganz gewöhnliches Fuhrwerk war, gewann […] Bedeutung und wurde zu einem schrecklichen und beweglichen Kampfmittel, schaffte eine neue […] Taktik, veränderte das altgewohnte Antlitz des Krieges und brachte Helden und Genies des Wagens hervor. So etwa den von uns erdrückten Machno, der den Wagen zur Achse seiner geheimnisvollen und listigen Strategie gemacht hatte. Jenen Machno, der die Infanterie, die Artillerie und sogar die Kavallerie abschaffte und an Stelle dieser schwerfälligen Massen dreihundert Maschinengewehre an Wagen anschraubte. Jenen Machno, der so vielgestaltig war wie die Natur. […] Ein Hochzeitszug, der vor das Exekutivkomitee eines Distrikts fährt, eröffnet, kaum angekommen, ein konzentrisches Feuer, und ein magerer Pope entfaltet das schwarze Banner der Anarchie und verlangt von der Behörde die Auslieferung der Bourgeoisie, die Auslieferung des Proletariats, Wein und Musik.
Eine Armee solcher Wagen verfügt über eine unerhörte Manövrierfähigkeit. […] Ein unter einem Heuschober vergrabenes Maschinengewehr, ein Wagen, der in eine Bauernscheune eingestellt wird, ist eine verschwundene Kampfeinheit. Die Punkte, die man so erhält, sind die Voraussetzung einer Addition mit Unbekannten, deren Summe die Struktur des ukrainischen Dorfes ergibt, wie es noch vor kurzem war: wild, aufrührerisch und selbstsüchtig.
Eine solche Armee […] bringt Machno binnen einer Stunde auf die Beine; und noch weniger Zeit ist nötig, um sie wieder verschwinden zu lassen.“
Wie Isaak Babel berichtet, machte sich bald auch die Rote Armee diese Neuerung zueigen: allerdings nur zur Ergänzung und Verstärkung, jedoch nicht als Ersatz der Kavallerie. Diese Anleihe mag unter vielen anderen Gründen mit dazu beigetragen haben, dass die Roten am Ende die Oberhand über die Anarchisten behielten.
Alsbald wurden die Maschinengewehrwagen der roten Reiterei standardisiert: eine Vereinheitlichung, die zuvor bereits bei den Truppen Machnos begonnen hatte. Man nahm nicht mehr nur irgendwelche Pferdewagen, sondern solche, die sich für ihre militärische Aufgabe besonders eigneten: offene, kompakte 3-5-Sitzer mit guter Federung, um im Fahren schießen zu können.
In diesem Sinne lief in Moskau eine Serienproduktion an, die bis gegen Ende des Zweiten Weltkrieges andauerte (!). Der Legende nach soll der Tauglichkeitstest der Wagen darin bestanden haben, dass diese nach Fertigstellung aus dem zweiten Stock des Fabrikgebäudes geworfen wurden. Das musste die Federung aushalten können (!).
Die nur etwa 500 Kilogramm wiegenden, hölzernen Wagen fuhren typischerweise als Troika, manchmal auch vierspännig, um über Stock und Stein hohe Geschwindigkeiten erreichen zu können.
Die meisten Tatschankas, sowohl diejenigen Machnos als auch die der Roten, wurden mit einem von dem Amerikaner Hiram Maxim für die Armee des Zaren entwickelten Maschinengewehr ausgerüstet. Die Soldaten nannten dieses MG liebevoll „Maximka“. Vielleicht weil der Amerikaner – er war übrigens auch der ursprüngliche Erfinder des Maschinengewehrs (1882) – eine Waffe konstruiert hatte, , die sich als zuverlässig erwies und die mit ihrem wegen der Wasserkühlung dick ummantelten, relativ kurzen Lauf irgendwie stupsnasig aussieht, nachgerade gutmütig.
Während die Truppen Machnos sich noch aus den zaristischen Depots bedienen oder bei den Feinden entsprechende Beute machen mussten, konnten die Roten sich nach wenigen Jahren auf eine eigene Produktion der Waffe stützen, die übrigens – wie die ihres fahrbaren Untersatzes – bis gegen Ende des Zweiten Weltkrieges weiterlief.
Auf der Nostalgieparade, die Michail Gorbatschow 1987 zur siebzigjährigen Feier der Oktoberrevolution in Moskau abhalten ließ, war auch eine Formation Tatschankas zu sehen, jeweils von vier Pferden im Galopp gezogen. Die Tatschanka ist den Russen etwas genuin Russisches, und es gibt aus den Frühzeiten der Roten Armee sogar ein schönes Lied über den geschwinden Wagen. In der quasi-amtlichen „Liste der russischen Erfindungen“, die offenbar zur Tröstung der vielfach gekränkten russischen Seele erforderlich ist, wird auch die Tatschanka aufgeführt, und zwar mit dem Ursprungsjahr 1917. In der Rubrik „Erfinder“ finden wir einen gewissen Nestor Machno. Dem Ukrainer hätte diese Vereinnahmung wohl kaum gefallen.
Operation und Taktik
Die Tatschanka-Kriegführung hatte, außer der logistischen Anspruchslosigkeit ihres einfachen Kampfmittels, zwei wesentliche Voraussetzungen für ihren Erfolg: Da war zum einen das flache Land der südukrainischen Steppe, das zügige Bewegungen auch über größere Entfernungen erleichterte. Und da war zum anderen die Tatsache, dass selbst umfangreiche Truppenkörper in der Weite des Raumes gleichsam verschwanden. Eine lückenlose Kontrolle des jeweils behaupteten Territoriums schien also praktisch unmöglich. So boten sich immer wieder offene Flanken, in die ein militärischer Führer hineinstoßen konnte, um seinen Gegner aus der Balance zu bringen.
Dies geschah auf operativer Ebene, mit größeren Verbänden über beträchtliche Distanzen, aber auch im taktischen – räumlich eher begrenzten – Rahmen. Dabei sollte allerdings nicht übersehen werden, dass auch das Gelingen massivster Operationen – zunächst einmal und immer wieder – taktischer Erfolge bedarf.
Die MG-Wagen rollten in aufgelockerter Formation über das offene Land: zügig, aber doch die Pferde schonend. Dabei wurde, wann immer möglich und operativ-taktisch sinnvoll, der Weg des geringsten Widerstandes gesucht, um Raum zu gewinnen. Stieß man dennoch auf Gegenwehr, schlossen die Wagen zu einer Phalanx auf und wendeten auf der eingenommen Linie, um zu feuern. Da die Maschinengewehre auf dem Heck der Wagen standen, konnte nämlich nur im hinteren Winkelbereich geschossen werden.
Um ein Zahlenbeispiel zu bemühen: Wenn eine taktische Einheit von zehn Wagen ihre Maschinengewehre auch nur für drei Sekunden wirken ließ, hatte sie 300 Schuss in Richtung Feind abgegeben – und das vermutlich „konzentrisch“ (wie Isaak Babel schreibt). Es waren freilich oft erheblich größere Formationen unterwegs. So lässt sich also ahnen, dass Tatschanka-Einsätze in vernichtenden Feuerkonzentrationen resultieren konnten.
Dabei wurde allerdings nur Gewehrmunition verschossen, und es stellt sich die Frage, wie die Truppen Machnos mit Artilleriefeuer fertig zu werden trachteten. Zwei Rezepte lassen sich erkennen: Schoss die gegnerische Artillerie auf Distanz, galt es, deren Feuer durch erhöhte Geschwindigkeit der Wagen zu unterlaufen. Wurde man aber im direkten Richten – auf unmittelbare Sicht – beschossen, bestand eine gute Chance, mit der Flut des eigenen leichten Feuers die langsamer schießenden schwereren Systeme der anderen Seite hinwegzufegen .
Die berühmte Gleichung zur Abbildung eines Duells von Systemen, die einander direkt beschießen (sie wurde von dem britischen Mathematiker Frederick Lanchaster 1916 aufgestellt), war Machno und seinen Leuten sicherlich nicht bekannt. Sie handelten aus klugem Instinkt. Doch diese Gleichung erklärt genau das, was damals geschah: Sie besagt nämlich, dass sich die relative Dichte des Feuers in besonderem Maße auszahlt. Es kann nämlich die lineare Zunahme der Waffenzahl einer Seite nur durch eine quadratische Steigerung der Waffenqualität (Treffgenauigkeit und Vernichtungskraft) der anderen kompensiert werden.
Was aber, wenn die Kampfkarren im Begriff waren, das Duell dennoch zu verlieren? Schutz bot die ungepanzerte Tatschanka kaum. Ihre Besatzung und die Pferde waren dem Feind lohnende Ziele. (Nur der MG-Schütze wurde durch ein kleines Panzerblech an seiner Waffe etwas gedeckt.) Dann lag das Heil in der Flucht. Die Pferde, die ohnehin schon dem Feinde abgewandt standen, wurden zu höchster Rennleistung angetrieben. Und die MGs in den Hecks der Fluchtfahrzeuge spuckten in rasender Fahrt defensives Feuer.
Das konzeptionelle Erbe
Nach dem Großen Vaterländischen Krieg wurde die rote Kavallerie aufgelöst. Während des Krieges hatte sie sich, verstärkt durch die MG-Wagen, tapfer geschlagen: allerdings mit gemischtem Erfolg. Ihre Zeit war abgelaufen.
Mochten auch die Kampfkarren alter Art nun als Brennholz dienen: Die Idee der Tatschanka blieb lebendig. Es ist die Idee leichter, geländegängiger Fahrzeuge großer Reichweite, die feuerstark sind und aus der Tiefe des Raumes die Flanken eines Gegners bedrohen oder auch Knotenpunkte seines Dispositivs überfallartig nehmen können.
Bereits ab 1943 gab es in der Roten Armee eine Improvisation, mit der pfiffige Frontkommandeure das Konzept der Tatschanka in die moderne Zeit übersetzt hatten. Sie statteten Jeeps, von denen Zehntausende aus den USA geliefert worden waren, mit einem Maschinengewehr aus, wobei man zumeist die gute, alte Maximka nahm (amerikanisches MG auf amerikanischem Fahrzeug!).
Dieses Konstrukt war schneller, geländegängiger, kompakter und weniger verwundbar als die Tatschanka mit ihrem Pferdegespann. Auch die Reichweite erschien beeindruckend. Mit solchen MG-Jeeps wurden raumgreifende Aufklärungsmissionen durchgeführt, was gelegentliche Feuerüberfälle auf exponierte Stellungen der Wehrmacht einschließen konnte.
Schon 1942 nutzten „Commandos“ der britischen Armee mit MGs bestückte Geländewagen, um aus der Wüste heraus die lange, offene Südflanke der deutschen und italienischen Truppen in Nordafrika zu „beunruhigen“.
Während es sich bei den erwähnten Unternehmungen eher nur um Störaktionen handelte, kam es im israelischen Unabhängigkeitskrieg zu taktischen Erfolgen von leichten Truppen auf mit MGs ausgestatteten Jeeps, denen am Ende operative, wenn nicht gar strategische Bedeutung zukam. Nehmen wir zum Beispiel die Operation „Ayin“, mit der um die Jahreswende 1948/49 der Zusammenbruch der ägyptische Front bewirkt wurde! Entscheidend für diesen Erfolg war, dass durch unerwartet aus der Wüste auftauchende „Jeepim“ ein wichtiger Stützpfeiler der ägyptischen Verteidigung von seinen Verbindungen abgeschnitten und so neutralisiert werden konnte.
Bis auf den heutigen Tag ist die israelische Aufklärungstruppe vom Geist der „Jeepim“ geprägt, und viele Verbände nutzen immer noch die bewährte Kombination von leichtem Geländewagen und Maschinengewehr.
Machen wir einen Sprung in der Zeit! 1978 bis 1987 gab es kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Libyen und der Republik Tschad. Der Diktator Muammar al-Gaddafi, den manche nach seinem Sturz und gewaltsamen Tod als „Stabilitätsgaranten“ heftiglich vermissen, unternahm es, die Kontrolle über den Tschad zu gewinnen, um sein Land zur Vormacht Zentralafrikas zu machen. Dazu intervenierte er mehrfach in den damals im Tschad wütenden Bürgerkrieg, in den auch Frankreich zum Schutz der dortigen Regierung eingriff.
Gegen Ende des Konfliktes gab es eine großangelegte Invasion der Libyer – mit sowjetischer Unterstützung und dem entsprechenden Angriffsmuster: 300 Kampfpanzer, dazu zahlreiche andere gepanzerte Fahrzeuge in festgefügten Kolonnen auf wenigen Marschrouten, unterstützt von schwerer beweglicher Artillerie und Jagdbombern.
Die Reaktion der durch Frankreich (und auch die USA) ausgerüsteten Wüstenkrieger der Regierung des Tschad war asymmetrisch, wie man heute sagen würde. Es kam zum „Toyota-Krieg“: 400 allradgetriebene Pickups des Typs Toyota Hilux, deren Ladeflächen Maschinengewehre, vor allem aber Panzerabwehr-Lenkraketenstarter deutsch-französischer Produktion trugen, griffen aus der Wüste überraschend an, konnten Truppenteile der Invasoren isolieren und Stützpunkte aus der Bewegung überrennen. Gaddafi hatte den Krieg verloren. Die Verluste seiner Truppen waren siebenmal höher als die der Gegenseite.
Wagen wir einen weiteren Sprung! Gegenwärtig ist die Welt vom so genannten Islamischen Staat (IS) beunruhigt, der sich auf den Territorien des Iraks und Syriens ausbreitet. Wir erleben ein Déjà-vu: Auch dieses Gebilde besteht im Wesentlichen nur aus seinen Streitkräften und hat keine festen Grenzen. Und die Kampfweise ist vom Prinzip „Tatschanka“ geprägt.
Aufgelockerte Formationen, Schwärme von geländegängigen Pickups, die meist mit überschweren MGs oder leichten Maschinenkanonen aus sowjetisch-russischer Produktion bestückt sind, rollen – durch Luftangriffe kaum zu behelligen – zügig durch die offene Wüste, um sich an verabredeten Brennpunkten zu konzentrieren und überraschend zuzuschlagen.
Zwar verfügt der IS auch über schwere, gepanzerte Kräfte (deren Fahrzeuge als – zumeist leichte – Beute von der gegnerischen Allianz stammen). Doch spielen sie im Kampf keine zentrale Rolle, sondern dienen eher nur der Ergänzung des Tatschanka-Prinzips in besonderen taktischen Lagen. Diese Beschränkung erklärt sich auch dadurch, dass schwere Verbände, die in ihrer Bewegung eher als die Pickup-Truppen auf bestimmte Routen angewiesen sind, gute Ziele für den Luftfeind bieten.
Neben den strukturellen Ähnlichkeiten von Islamischem Staat und Machnowschtschina besteht jedoch ein krasser Unterschied. Während es den Anarchisten um den militärisch flexiblen Schutz ihres menschenfreundlichen Entwurfs ging, haben die Islamisten Expansion zur Vernichtung alles Andersartigen im Sinn.
Schlagwörter: Anarchismus, Krieg, Lutz Unterseher, Nestor Iwanowitsch Machno, Offensive, Sowjetrussland, Tatschanka, Ukraine