18. Jahrgang | Nummer 17 | 17. August 2015

Einstweilen noch im Wartehäuschen

von Holger Politt, Warschau

Was die Präsidentschaft Andrzej Dudas tatsächlich für Jarosław Kaczyński wert ist, werden erst die Parlamentswahlen im Herbst offenbaren. Bis dahin müssen sich der PiS-Chef und Polens neuer Staatspräsident noch eine Weile gedulden. Ob der Wind der Veränderung, den Kaczyński nach Dudas überraschendem Sieg im Frühjahr schnell ausgemacht hatte, auch noch im Herbst tragen wird, steht mittlerweile nicht mehr ganz so fest. Zum einen hat sich das Regierungslager aus Wirtschaftsliberalen (PO) und moderaten Agrariern (PSL) nach Wochen einer dramatisch wirkenden Verunsicherung zumindest gefangen, so dass der Wahlkampf sehr viel offensiver ausgerichtet werden wird. Außerdem hat Ewa Kopacz, die nach Donald Tusks Wechsel an die Spitze der Brüsseler EU-Bürokratie im Herbst 2014 das Ministerpräsidentenamt quasi übergeholfen bekam, schnell begriffen, welche Feuertaufe nun auf sie wartet. Zudem hat sich trotz der stabil hohen Umfragewerte für PiS nichts daran geändert, dass nach Lage der Dinge im Herbst eine Alleinregierung von PiS kaum möglich sein wird. Die Nationalkonservativen, wollen sie denn regieren, müssen einen Koalitionspartner finden.
In den ersten Wochen nach den Präsidentschaftswahlen schien es, als könne der politische Schreihals Paweł Kukiz diese Rolle übernehmen, denn laut Umfragen wollten zu Sommerbeginn immerhin fast 20 Prozent der Befragten seiner Sammlungsbewegung, die damals noch gar nicht existierte, die Stimme geben. Viel kräftiger als PiS röhrte Kukiz gegen das ganze System des Runden Tisches von 1989, gegen die faulen Kompromisse, auf denen das heutige politische Establishment Polens sich stütze, und vor allem gegen die republikanische Verfassung von 1997, die ja beträchtlichen Teilen des katholischen Klerus von Anfang an ein Dorn im Auge ist, weil sie viel zu weltlich sei und viel zu wenig Rücksichten auf die christliche Identität des Landes nehme. Ob der Rechtspopulist Kukiz nun diese gefährliche Karte im künftigen Sejm spielen kann, ist indes nicht mehr so sicher, denn den wichtigsten, vor allem materiellen Rückhalt seiner Gönner aus dem wohlhabenden Kupfergürtel um Legnica im Südwesten des Landes hat er verloren.
Dennoch geht Polens neuer Präsident Duda fest davon aus, ab Spätherbst mit einer Regierung zusammenarbeiten zu können, die aus dem gleichen politischen Holz gezimmert ist. Anders lassen sich seine ersten öffentlichen Äußerungen nicht verstehen. Zuallererst gelobte er, die Wahlversprechen einzuhalten, mit denen er im Frühjahr auf Stimmenfang ging. Insbesondere die Senkung des gesetzlichen Renteneinstiegsalters auf 65 Altersjahre, ein gesetzliches Kindergeld in Höhe von 120 Euro ab zweitem Kind und einen deutlich höheren Steuerfreibetrag bei niedrigeren Einkommen will er durchsetzen. Da er, so Duda, schließlich vom polnischen Volk gewählt sei, müsse auch die derzeitige Regierung auf diese berechtigten Forderungen Rücksichten nehmen. Allerdings ist das kaum mehr als vorweggenommenes Wahlkampfgetöse, und niemand weiß das besser als Duda selbst. Denn die PiS-Spitzenkandidatin Beata Szydło, die im Frühjahr Dudas Wahlkampagne managte, zieht mit genau diesen sozialen Kernforderungen in die Schlacht gegen die wirtschaftsliberale Kopacz-Regierung.
Ansonsten prophezeit der auf die Verfassung von 1997 vereidigte Duda, sich entschieden für eine neue Verfassung einzusetzen, wohlwissend, dass es dafür zunächst einer Zweidrittelmehrheit im Parlament bedarf, erst dann bekommt die Haltung des Staatspräsidenten ihre zentrale, entscheidende Bedeutung. Viel ernster nehmen die meisten Kommentatoren aber die erklärte Absicht, das Land nationaler zu färben, um beispielsweise auch mit den Großen in der EU auf gleicher Augenhöhe, also mit einem gestärkten nationalen Selbstbewusstsein im Rücken sprechen zu können. Sie nehmen es ernster, weil es Dinge betrifft, die eine PiS-geführte Regierung ab Herbst schnell in Angriff nehmen könnte. So wurden Pläne bekannt, dass im Falle eines Wahlsiegs das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das übrigens zu 70 Prozent aus Werbeeinnahmen finanziert wird (!), ein wirklich nationales werden solle, wofür dann weitere beträchtliche Steuermillionen abgezweigt werden sollen.
Während Polen nun unter einer lange nicht gekannten Dürreperiode leidet, tourt Duda quer durch das Land, bevorzugt in jenen Teilen, in denen er im Frühjahr seine Mehrheit holte. Kein Zufall, denn dort werden die Hochburgen zu finden sein, mit denen die PiS-Wahlkampfstrategen bereits jetzt ernsthaft rechnen. Duda gibt sich überaus dankbar, bereits betont staatsmännisch und verspricht nicht wenig, vor allem aber allerorten, die nationalen Interessen des Landes überall dort zu stärken, wo seine einflussreiche Hand hinreichen werde. Darüber aber wird erst am 25. Oktober entschieden – solange darf Polens frischgebackener Staatspräsident sich noch ungeniert im neuen Amte üben. Welche Richtung seine Präsidentschaft dann einschlagen wird, hängt im großen Maße von diesem, bereits jetzt mit einiger Spannung erwarteten Wahlausgang ab.