18. Jahrgang | Nummer 7 | 30. März 2015

Ein Bild sagt mehr …

von Herbert Bertsch

„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“ – Das Diktum steht vorsorglich in Anführung zwecks Absicherung gegen den Argwohn, hier könnte Anspruch auf Eigenes erhoben werden. Für die Sache ist und bliebe hingegen unerheblich, ob dies nun „fälschlich Tucholsky zugeschrieben“ wird oder von Peter Panter 1926 als Überschrift eines Beitrags in „UHU“ dem Umgangssprachgebrauch entlehnt ist, ohne lange nach dem Urheber zu forschen. Jedenfalls heißt es darin: „Und weil ein Bild mehr sagt als hunderttausend Worte, so weiß jeder Propagandist die Wirkung des Tendenzbildes zu schätzen: von der Reklame bis zum politischen Plakat schlägt das Bild zu, boxt, pfeift, schießt in die Herzen und sagt, wenn’s gut ausgewählt ist, eine neue Wahrheit und immer nur eine.“
Wikipedia verallgemeinert noch weiter: „’Ein Bild sagt mehr als tausend Worte’ ist ein Sprichwort und eine Metapher für den Mehrwert von Bildern gegenüber ausschließlichem Text. Es bezieht sich darauf, dass komplizierte Sachverhalte oft mit einem Bild oder einer Darstellung sehr einfach erklärt werden können und ein Bild meist einen stärkeren Eindruck auf den Betrachter ausübt als ein umfangreicher Text.“
Freilich sollte dazu die Erkenntnis Allgemeingut sein, dass auch Bildern als veröffentlichter Interessensvertretung, wie dem Wort, keineswegs höherer Wahrheitsgehalt eignet, schon gar nicht auf Dauer und unverändert.
Wobei es nicht nur um, mitunter hochqualifizierte, Fälschungen geht. Manchmal bleibt das Bild unverändert; die Benennung macht’s dann, um die Bildwirkung verstärkt. Mitunter „fühlt man Absicht, und man ist verstimmt“. Mein Beispiel!
Spiegel Online berichtete am Morgen des 17. März 2015 (06.11 Uhr) unter der Überschrift „NS-Verbrechen: Deutsche Politiker wollen Griechenland entschädigen“ im Vorspann so: „Bisher stellt sich die Bundesregierung stur – doch nun drängen Politiker von SPD und Grünen darauf, Griechenland für die Folgen der Nazi-Besatzung zu entschädigen.“
Verweilen wir kurz bei diesem Text. Da war also Griechenland von „Nazis“ überfallen, „besatzt“ und materiell ausgebeutet worden? Die Deportation Zehntausender Juden (im Text durchaus angemerkt) das Werk der „Nazi-Besatzung“? Wie hätte man sich dies denn praktisch vorzustellen? Oder ist alles viel einfacher: Deutschland = Nazis?
Immerhin wird Gesine Schwan als Vorsitzende der Grundwertekommission der SPD mit dem Satz zitiert: „Es geht darum anzuerkennen, dass wir in Griechenland schlimmes Unrecht begangen haben.“ Wer ist „wir“? Die Nazis? Dann waren also alle Nazis? SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann meldete sich noch am gleichen Tag mit der Bekräftigung, dass es eine Besatzung (Besetzung?) Griechenlands durch – korrekt, wie wir es von ihm ja gewohnt sind – durch „Nationalsozialisten“ gegeben hat. Und dazu passt die Vermutung von Frau Schwan: „Das Leid der Griechen unter den Nationalsozialisten ist möglicherweise nicht so sehr im Bewusstsein von uns Deutschen.“ Könnte sein.
Aber wo sind denn die „Nationalsozialisten“ – wer war oder ist das eigentlich? Da hilft uns Spiegel Online mit einem würdevollen Bild an der Spitze dieser Meldung zwar nicht aus der Misere, dient aber als Beispiel. Das Foto zeigt sieben uniformierte Männer vor einem weltbekannten Hintergrund. Die Bildunterschrift: „Nationalsozialisten auf der Akropolis“. Der in der Mitte, dem offenbar etwas erklärt wird, hat einen Marschallstab – nicht „im Tornister“, sondern in der Hand, dieser „Nationalsozialist“. Wieso das Bildzitat?
Wir haben ersichtlich eine aktuelle Sprachregelung: Nicht mehr „Deutschland als Staat“ hat fremde Territorien überfallen; wenn aber nicht, so diese Logik, dann hat Deutschland auch nichts weiter zu verantworten. Selbst deutsche Generale in Siegerpose werden dann eben zu „Nationalsozialisten“ ernannt (in hinreichenden Fällen allerdings zusätzlich nicht nötig), was Frau Ursula von der Leyen bei der Traditionspflege und insbesondere deren Implantation in Ostdeutschland allerdings stören dürfte. Wäre und ist nicht die einzige Ungereimtheit.
Am 1. März 2010, am Abend um 19.14 Uhr, hatte Spiegel Online dieses Bild – übrigens in fast jeder Bildersammlung zum Zeiten Weltkrieg enthalten – schon einmal abgedruckt. Damals aber mit diesem, also einem anderen Text: „Hitlers Generale vor der Akropolis. Generalfeldmarschall Walter von Brauchitsch (1881 – 1948, Vierter von links) im Mai 1941 nach der Kapitulation Griechenlands in Athen. Die deutsche Besetzung ist vor allem bei älteren Griechen bis heute nicht vergessen.“ So lautete die bisherige dpa-Beschriftung.
Da waren die Generale noch solche und keine anonymen „Nationalsozialisten“. So ändern sich Zeiten auch mit Sprachanpassungen. Aber ein Prinzip ist geblieben: „Ich bin’s nicht, Adolf Hitler ist es gewesen“. So der Titel eines nie geförderten Theaterzyklus, fast immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit seit 1984 in Westberlin gespielt. Da ging es noch um Täter, die es nicht gewesen sein wollten.
Heute, ein oder zwei Generationen später, wird auf einen 2+4-Vertrag Bezug genommen, der statt eines Friedensvertrags auch „alles“ abgegolten haben soll, und diese Interpretation gestattet: Im Übrigen waren ja „Nationalsozialisten“ die Täter, inzwischen abhandengekommen, allerdings zumeist als deutsche Pensionäre. Griechenland wie andere Opferstaaten wurden durch diesen Trick mit dem „Anstatt-Friedensvertrag“ von den Regelungen bewusst ausgeschlossen.
Die meisten Vertragstexte und Konstruktionen zur Aushebelung vom „Alpdruck Potsdam“ kamen seinerzeit aus Bonn. Jetzt kommt offenbar was retour.