von Bernhard Mankwald
So lautet der Titel eines neuen Buchs, in dem der Politikwissenschaftler Alexander Amberger diese drei Männer als Exponenten der marxistischen Systemkritik und politischen Utopie in der DDR charakterisiert. Im Mittelpunkt steht dabei der utopische Aspekt ihres Denkens; biographische Fakten bilden das Fundament der Darstellung.
Wolfgang Harich stammte aus einer gebildeten Familie und schloss sich kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs dem Widerstand an. Danach widmete er sich der Philosophie und konnte mit nicht einmal 30 Jahren eine Professur übernehmen. Er war Mitgründer und Redakteur einer Fachzeitschrift und Verlagslektor. Seine Vorlesungen über Hegel brachten ihm jedoch eine Parteirüge ein, da seine Auffassungen denen Stalins widersprachen.
Nach Stalins Tod diskutierte Harich mit Gleichgesinnten über Wege zu einer Demokratisierung und nahm dabei auch Kontakte nach Westdeutschland und Westberlin auf. Die SED-Führung reagierte mit einem Schauprozess, in dem Harich zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Dauerhaft unbeliebt machte er sich durch belastende Aussagen in einem nachfolgenden Prozess.
Harich kam erst nach acht Jahren im Rahmen einer Amnestie frei. Später erhielt er ein Langzeitvisum, konnte im Westen aber nicht Fuß fassen. Die deutsche Einigung, die er lange erhofft hatte, verlief in keiner Weise nach seinen Vorstellungen. – Das Interesse an seinen Schriften hingegen dauert an; im Blättchen 7/2014 hat Andreas Heyer eine umfangreiche Publikation bisher nicht veröffentlichter Texte vorgestellt.
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Rudolf Bahro stammte aus einfachen Verhältnissen, studierte Philosophie, arbeitete als Journalist und wurde dann wegen abweichender Meinungen als Mitarbeiter für soziologische Fragen in ein Ingenieurbüro strafversetzt. Er begann eine Dissertation und arbeitete unter diesem Deckmantel an einem weitergehenden Manuskript. Die Dissertation wurde schließlich abgelehnt; das heimlich geschriebene Buch „Die Alternative“ erschien in einem westdeutschen Verlag. Dies trug ihm eine Anklage wegen „Staatsfeindlicher Verbindungen“ ein. Nach etwa einem Jahr Haft wurde Bahro in den Westen entlassen; die folgende Zeit berührt Amberger nur, soweit sie sein Thema betrifft.
Robert Havemann war Chemiker und kam mit dem Marxismus durch die „Dialektik der Natur“ von Friedrich Engels in Berührung. Von den Nazis wurde er zum Tode verurteilt und überlebte nur, weil ihm Forschungsaufgaben übertragen wurden. Als Mitarbeiter eines Forschungsinstituts in Westberlin wurde er wegen seiner Kritik an der atomaren Rüstung entlassen. Mit solchen Referenzen war er in der DDR prominent und fungierte unter anderem als Abgeordneter der Volkskammer. Aufsehen erregten seine Vorlesungen über Philosophie, die mehr als 1.000 Hörer anzogen; zum Bruch führte die anschließende Veröffentlichung im Westen.
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Havemann hatte sehr gute Kontakte zu westlichen Medien, die er zu Publikationen über die Zustände in der DDR nutzte. Er wurde auf seinem Grundstück in Grünheide isoliert, wo sich nur Besucher zu ihm wagten, die ohnehin bereits mit der DDR abgeschlossen hatten. Nach Maßstäben des MfS war seine Lebensweise „unmoralisch“, Amberger schildert ihn als „selbstbewussten Lebemann“.
Im Gegensatz zur offiziellen Lehrmeinung machten die drei porträtierten Autoren sich Gedanken über die Grenzen des Wachstums. Die Wirtschaft der DDR war ganz auf das Ziel fixiert, ähnliche Wachstumsraten zu erreichen und der Bevölkerung einen ähnlichen Lebensstandard zu bieten wie der Westen; dort hingegen wurden diese Ziele zunehmend in Frage gestellt. Führend war dabei der 1968 von Unternehmern und Wissenschaftlern gegründete „Club of Rome“; nach einer von ihm initiierten Studie musste weiteres Wachstum im bisherigen Umfang noch vor dem Jahr 2100 zur Erschöpfung der Rohstoffvorräte und zum Zusammenbruch der Wirtschaft führen – mit verheerenden Folgen für die Menschheit. Viele utopische Entwürfe entstanden, die Abkehr vom Wachstum und eine Ausrichtung auf eher „postmaterielle“ Werte propagierten.
Die „offizielle“ Wissenschaft der DDR interpretierte diese Diskussion als „Strategie des Kapitals“. Harich hingegen nahm die Probleme ernst und unterbreitete in seinem Buch „Kommunismus ohne Wachstum“ Lösungsvorschläge. Er griff dabei auf Ideen des französischen Revolutionärs Babeuf zurück, der durch Abschaffung des Marktes und zentrale Verwaltung der Arbeit und ihrer Produkte eine Gesellschaft weitgehender Gleichheit verwirklichen wollte. Harich schlug in dieser Tradition vor, die Probleme durch Stopp des Bevölkerungswachstums und Ende der Luxusproduktion in den Griff zu bekommen. Dies sei nur mit Hilfe der „Diktatur des Proletariats“ möglich. Amberger bezeichnet Harich daher als „Ökoleninisten“ und ordnet dessen Konzept als klassische „archistische Utopie“ ein. Allerdings schloss das Konzept der Diktatur nach Auffassung Harichs demokratische Organisationsformen nicht aus.
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Rudolf Bahros „Alternative“ versteht sich als „Kritik des real existierenden Sozialismus“. Die drei Teile des Buchs beschreiben die Entstehung der kritisierten Gesellschaftsform, analysieren ihre Gegenwart und entwerfen schließlich Perspektiven für die weitere Entwicklung. Die Eigenarten seiner Gesellschaft erklärte Bahro durch den historischen Einfluss der „asiatischen Produktionsweise“ und des auf sie gestützten „orientalischen Despotismus“. Die Folge sei, im starken Gegensatz zu den ursprünglichen Vorstellungen von Marx, ein ausgeprägter Etatismus. Bahro machte für diese Entwicklung nicht Lenin und Stalin verantwortlich, sondern erst dessen Nachfolger; Amberger zitiert eine Einschätzung, wonach er sich in dieser Phase seines Lebens als „später Leninist“ gezeigt habe.
Das Hauptproblem sah Bahro in einer ausgeprägt bürokratischen Gesellschaftsstruktur, die es unmöglich machte, ursprüngliche Ziele wie die Aufhebung der Arbeitsteilung und die Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen. Zur Abhilfe entwarf er ein recht durchdachtes Paket von Maßnahmen: so sollten leitende Mitarbeiter einen gewissen Teil ihrer Arbeitszeit mit einfachen Tätigkeiten in der Produktion verbringen und dadurch Interesse an einer rationelleren und angenehmeren Gestaltung der betreffenden Arbeitsplätze entwickeln. Die dort sonst Beschäftigten sollten Zeit für komplexere Tätigkeiten und Verständnis für Belange der gesamten Gesellschaft gewinnen. Die Gesellschaft sollte in Kommunen organisiert werden und ihre Ziele eher auf geistige als auf materielle Interessen richten. Zur Durchsetzung und Koordinierung dieser Ziele verließ sich Bahro allerdings auf einen recht vage beschriebenen „Bund der Kommunisten“.
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Robert Havemann schließlich legte neben einer Fülle anderer Veröffentlichungen auch eine Utopie im klassischen Sinne vor. „Morgen“ enthält nach bewährtem Muster einen Reisebericht, in dem die Protagonisten nicht nur räumliche Grenzen überschreiten, sondern dabei auch in eine vorgestellte ideale Gesellschaft versetzt werden. Hier werden die Industrieprodukte in großen unterirdischen Anlagen hergestellt, was nach einer Einführungsphase weitgehend automatisch geschieht. Ähnliches gilt für die Landwirtschaft; die Energie wird in kleinen Anlagen durch Kernfusion gewonnen. Aufwendige und schädliche Produkte wie Autos sind abgeschafft; größte Sorgfalt wird dagegen auf die Erziehung der Kinder verwandt. Die Menschen leben nicht mehr für den Konsum, sondern für geistige, soziale und durchaus auch für erotische Interessen. Unter diesen Umständen sind Güter im Überfluss vorhanden; ihre Verteilung ist unproblematisch.
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Der gemeinsame Hang zur Utopie zeigt, dass alle drei Autoren die Zustände in der DDR nicht als ideal empfanden; vielleicht nicht einmal als Weg zu akzeptablen Verhältnissen. Nach Amberger sind diese Entwürfe insofern historisch hinfällig, als die Transformation des „Realen Sozialismus“ gescheitert ist, andererseits aber auch weiterhin aktuell, da die zu bewältigenden Probleme fortbestehen. Der Rezensent fragt sich allerdings, ob die eigentliche Utopie mindestens bei Harich und Bahro nicht in dem leninistischen Konzept besteht, gesellschaftliche Probleme durch eine Organisation zu lösen, die gleichzeitig allmächtig und völlig uneigennützig sein soll.
Wer sich für die behandelten Autoren als Utopisten interessiert, sollte dieses Buch nicht versäumen. Aber auch wer Aspekte in den Vordergrund stellt, die Alexander Amberger aus seiner gediegenen Darstellung ausklammern musste, findet viele Anregungen, eine Fülle sorgfältig recherchierter Informationen und einen ausführlichen Überblick über die vorhandene Literatur.
Alexander Amberger: Bahro – Harich – Havemann. Marxistische Systemkritik und politische Utopie in der DDR, Ferdinand Schöningh, Paderborn 2014, 329 Seiten, 39,90 Euro.
Schlagwörter: Alexander Amberger, Bernhard Mankwald, Demokratisierung, Robert Havemann, Rudolf Bahro, Systemkritik, Wachstumsgrenzen, Wolfgang Harich