14. Jahrgang | Nummer 1 | 10. Januar 2011

Mozart und seine Kugel

von Renate Hoffmann

Als erstes Werk des Wolfgang Amadeus gilt nach der 6. Auflage von Köchels Werkverzeichnis (KV) ein Andante in C-Dur für Klavier; komponiert 1761 oder 1762. Mit den Jahren kam es zu neuen Erkenntnissen in der Mozartschen musikalischen Hinterlassenschaft, und man entschloss sich, die Werkbezeichnungen genauer zu differenzieren – was erheblich zur Klarheit beitrug. Das Andante erhielt nun die Nummerierung KV (6) 1a. Bekanntermaßen endet Mozarts Schaffensprozess mit KV 626.
Da W.A.M. am 28. September 1782 an die Baronin Martha Elisabeth von Waldstätten schrieb: „Ich möchte alles haben was gut, ächt und schön ist!“, kreierte die Nachwelt ihm zu Ehren KV 0 – die Mozartkugel. Die Nachwelt hieß in diesem Falle Paul Fürst (1856-1941); Konditor in Salzburg. Mit Bildungsdrang! Vom Vormund – die Eltern starben sehr früh – lernte er sein Handwerk. Einen Beruf, der feingestimmte Sinne und Kreativität verlangt. Auf das Wirken und Werken in Salzburg folgten Wien, Budapest, Paris und Nizza. Paul komplettierte sein Geschick zur Herstellung edler Backwaren, kehrte nach Salzburg zurück und gründete im November 1884 das eigene Unternehmen
Der Conditor und Confiseur „erlaubt sich hiermit höflichst anzuzeigen, daß er eine Conditorei Marktplatz (Brodgasse 13) eröffnet hat. Gestützt auf seine vieljährigen praktischen Erfahrungen in den renommirtesten Conditoreien … wird er sich bestreben, stets das Beste und Neueste zu bieten, um die Kunden durch hochfeine und preiswürdige Waare, sowie prompte Bedienung in jeder Weise zufrieden zu stellen …“ Dem traut man die Mozartkugel zu!
Sechs Jahre später rollt sie. Handgefertigt. Ein „Praliné aus Pistazien-Marzipan, umhüllt von Nougat und dunkler Kuvertüre.“ Zuerst benennt Paul Fürst sein geschmacklich ausgeklügeltes, verführerisch-dahinschmelzen lassendes Kügelchen „Mozartbonbon“. Doch wird diese Bezeichnung weder dem hochwerten Komponisten, noch der nunmehr weit bekannten Erfindung gerecht. Das Bonbon wandelt sich zur Kugel. Und diese nimmt vortrefflich ihren Lauf. Zur «Exposition Internationale Alimentaire» 1905 in Paris erhält sie Gold.
In der Auslage der Fürstschen Konditorei im Salzburger Ritzerbogen – angefüllt mit den legendären Kugeln – studiere ich die Herstellungsweise. Augenfällig vorgeführt auf einem großen Traditionsfoto. – Der Erfinder und seine Mitarbeiter, letztere in korrekter Hygienekleidung (mit Kopfbedeckung!), präsentieren am großen Tisch sich selbst, die „Basiszutaten“ und die erforderlichen Gerätschaften. Im Vordergrund, fein säuberlich aufgereiht und noch im Entwicklungszustand befindlich – die Kugeln. Von Nougat umhüllte Marzipankerne. Sie werden anschließend auf Holzstäbchen gespießt, getaucht und zur Festigung auf ein Tablett gesteckt. Danach entfernt man jeweils das Stäbchen, verfüllt das winzige Loch mit Kuvertüre und umgibt die Köstlichkeit mit blausilberner Stanniolfolie – fertig ist die „Original Salzburger Mozartkugel“.
Der Erfinder Fürst verabsäumte allerdings, seine Kreation patentieren zu lassen. In der Folgezeit fanden sich verschiedene Nachahmer, und das Gerangel um den Namen begann. Es zog sich hin! Die streitenden Parteien blieben unerbittlich und schoben das Corpus delicti in 3. Instanz bis vor den Obersten Gerichtshof. Der entschied klar und eindeutig (1996): „Mozartkugeln sind eine Erfindung des Salzburger Konditors Paul Fürst aus dem Jahre 1890. Sein Urenkel Norbert Fürst stellt Mozartkugeln auch heute noch nach dem Originalrezept unter der Bezeichnung ‚Original Salzburger Mozartkugeln’ her …“ Sollte jemand ähnliche Absichten hegen, so darf er seine Produkte „Echte Salzburger“ M. oder „Austria“ M. oder „Wiener“ M. oder sonst wie nennen – aber nicht „Original Salzburger Mozartkugeln“!
Nun möchte man natürlich die Merkmale der originalen M. in seinen Wissensschatz aufnehmen: Die Oberfläche soll kleine Unebenheiten zeigen; die Einstichstelle des Holzstäbchens wäre manchmal als Vertiefung oder kleine Erhöhung (wenn die Spritztülle kleckerte) zu sehen; der Geschmack sei unvergleichlich. Dieser Parameter darf nicht ungeprüft bleiben.
Über den Salzburger Alten Markt gehe ich zur Brodgasse 13 in Fürsts Café und Konditorei. Kaffeeduft, erlesenes Zucker- und Backwerk – Mozartkugeln. Sie sind, jede für sich, in durchsichtige Folie gehüllt, mit Zertifikat und Schleife versehen, was ihre Einmaligkeit unterstreicht. Einige der begehrlichen Produkte erwerbe ich. Vor ihrer Enthüllung suche ich nach einem geeigneten Mozartschen Begleit-Opus. Die Wahl fällt auf KV 433 (KV (6) 416 c). Ein Scherzlied, genannt „Warnung“. Der Text (anonym) beginnt folgendermaßen: „Männer suchen stets zu naschen, / läßt man sie allein …“
Nun zu Sektion und Sensorik: Die Oberfläche von Fürsts originaler Erfindung zeigt leichte Verwerfungen und eine kleine warzenähnliche Wölbung. Auf der Schnittfläche sind drei Schichten erkennbar. 1. Grünlich-beigefarbener Kern; 2. braune Mittelschicht mit Einsprengseln; 3. dunkelbraune Außenschicht. Unter der Schokoladenwarze verläuft sichtbar der Stichkanal der hölzernen Haltevorrichtung. Geruch: nach Kakao, nussig. Geschmack: unbeschreibbar …
Zur diesbezüglichen näheren Spezifierung wäre wohl die Teilnahme an einem Mozartkugelseminar der Konditorei Dallmann in St. Gilgen am Wolfgangsee angebracht. Sie entlässt nämlich ihre Kandidaten als gut ausgebildete, diplomierte! Mozartkugelfachleute, die sich zweifellos auch auf die Definition des Geschmacks verstehen.