17. Jahrgang | Nummer 23 | 10. November 2014

Waffen. Nachrichten aus der Debattiermaschine (XXIX)

von Eckhard Mieder

Es gibt nicht einen Grund zu glauben, Waffengeschäfte seien andere Geschäfte als alle anderen Geschäfte. Sie mögen einen Geruch haben. Den nach Stahl, Öl, Lappen, Transportkisten und nach einer gewissen moralischen Fragwürdigkeit. Aber Schokolade riecht auch und ist von einer gewissen moralischen Fragwürdigkeit; gesund sind weder Waffen noch Schokolade. Das einzige, das nicht stinkt, ist Geld.
Ich las in den letzten Wochen einen Text über eine Waffen-Fabrik (und den Ort, in dem sie steht) im Südwesten der Republik. Ich las einen Text darüber, dass Waffengeschäfte geheime Geschäfte seien, und es gäbe keine Veranlassung für die Bundesregierung, irgendwen darüber zu informieren. Ich las einen Text über ein in Deutschland hergestelltes Maschinen-Gewehr, das die „Terrormiliz ISIS“ nutzt.
Wie es in die Hände der Bärtigen kam, wisse man nicht. Man? Diejenigen, die die Waffen herstellen, wissen es nicht. Die Geheimdienste wissen es nicht. Die Politik-Kaste weiß es nicht. Die Produzenten und Vertreiber der Waffen – werden es nicht sagen. Jeder von denen weiß es, aber Demokratie ist auch, nicht unnötig Unnötiges preiszugeben; das, muss ich immer noch naiv und betreten zu Boden blickend zugeben, hatte ich mir so um 1990 rum anders vorgestellt.
Niemand weiß, wie welche Waffen in welche Hände gelangen? Eine größere Verarsche kann ich mir nicht vorstellen. Wobei, doch. Es gibt immer eine nächste, eine noch gewaltigere, noch unglaublichere Vergackeierung, und wenn die über einen kommt, ist die Verarschung auf der niedrigeren Ebene entweder fast vergessen oder unscheinbar in ihrer Harmlosigkeit. Ich glaube, so in etwa entsteht Gewöhnung an Gewalt und Maßnahmen und Schmutz und Willkür.
Ich bin an zwei Waffen ausgebildet worden. Damals. In der Zucker-und-Zimt-Zeit, da ich ein Knabe war und nicht ein noch aus wusste. Die eine hieß Kalaschnikow, ein Kriegsmöbel, das zu den Klassikern der Waffen-Geschichte gehört. Die andere hieß RPG. Eine Panzerbüchse, ebenfalls sowjetischer Herkunft.
Ich habe damals nie gefragt, was die Abkürzung bedeutet. Jetzt verrät es mir Wikipedia: rutschnoi protiwatankowy granatomjot, ungefähr: Granatwerfer zur Panzerabwehr, kann von Hand abgefeuert werden. In etwa das Gerät, mit dem sich Ende des letzten Weltkrieges Hitlerjungen bewähren wollten? Waren das sowjetische RPG (nee, die gibt es erst, sagt Wikipedia, seit 1961, oder gab es einen deutschen Qualitäts-Vorsprung? Wird wie mit allem sein: Know-how der einen wird zum Know-how der anderen, und die Chinesen klauen bekanntlich sowieso alles. Bei denen heißt die RPG dann LPG.)
Beide Waffen beherrschte ich nicht. Als ich, ein Zufall, bei einer Schießübung der Mot.-Schützen in eine Gruppe von acht Schützen geriet, die alle, jeder von uns, tatsächlich jeder, sämtliche Ziele mit der Kalaschnikow verfehlte, musste ich in Linie strammstehen. Mir und den anderen wurde gesagt, dass wir Saboteure seien. Wir, die wir dieses Schieß-Gerät nicht gerichtet kriegten auf den Papp-Feind im Manöverfeld, seien Verbündete des Klassenfeindes. Wochenendurlaub gestrichen. (Was mich betrifft: Ich kriegte einen kalten Finger im Abzug, ich sah über Kimme und Korn nichts; meine Schüsse gingen in den Staub der Mark Brandenburg.) So brutal ging’s zu, und ich überlege, mir aus irgendeinem Fonds eine Opfer-Rente zu holen.
Schlimmer noch die Panzerbüchse. Aus irgendeinem Grunde sollte ich RPG 1 sein. Das war derjenige, welcher die Büchse trug und schoss. RPG 2 war ein anderer. Der trug die Granaten. Im Schießfeld stand ein Panzer aus Blech. Die Breitseite zu mir. Ich konnte machen, was ich wollte: Ich traf ihn nicht. Wieder Staub aus der Mark Brandenburg. Eine Zeitlang musste ich dann RPG 2 sein und die Granaten tragen, wenn es auf Fußmärsche gegen den imaginären Westen ging.
Diesen Umweg übern autobiographischen Herbstacker musste ich jetzt mal nehmen. Warum? Weil ich zwei einfache Fragen habe: Warum dieser Waffen-Scheiß und diese Kriege? Warum machen die Deutschen da mit?
Ich weiß es natürlich. Waffengeschäfte sind wie alle Geschäfte. Immerhin würde ich, würde ich heute in einen Krieg geworfen, eventuell zwei Waffen bedienen können. Wer weiß, wozu das noch gut ist.