von Günter Hayn
Die Eröffnung der Weihnachtsmärkte nimmt er noch mit, dann nimmt er zum 11. Dezember 2014 den Hut. Klaus Wowereit (SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin seit 2001. Wir erinnern uns: Wowereit gehörte zu denen, die seinerzeit der für die Berliner SPD aufgrund des Berliner Banken-Skandals zur tödlichen Gefahr gewordenen schwarz-roten Koalition unter Eberhard Diepgen den Garaus bereiteten, um anschließend mit der anderen roten Partei zehn Jahre lang die Stadt zu regieren. Diepgen hat das bis heute nicht verwunden, aber im Endergebnis dieser Operation war die SPD gleichsam entschuldet, die Schulden der Stadt rissen die 60-Milliarden-Latte und die Linke trat den Marsch in die politische Marginalität an.
Die Berliner Bankgesellschaft wurde nach Zerschlagung der Holding mehr oder weniger gewinnbringend verhökert. Von den verantwortlichen SPD-Politikern wurde der Fraktionsvorsitzende Ditmar Staffelt in den Deutschen Bundestag abgeschoben, um ein knappes Jahr später als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeswirtschaftsminister wieder aufzutauchen. Aus der Politik verabschiedete er sich selbst, um 2009 Lobbyist beim Raumfahrt- und Rüstungskonzern EADS zu werden. Diepgens Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing – so ganz nebenbei verbockte sie auch die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe – musste nach einem offensichtlich gescheiterten Zwischenspiel bei der „Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb“ der Bundeswehr grollend mit einem hinteren Platz im Abgeordnetenhaus von Berlin vorlieb nehmen. Wie ihr seinerzeitiger Fraktionschef suchte sie inzwischen ihr Heil in der Privatwirtschaft. Allerdings weniger in der Rüstung, sie hält es mehr mit der Ruhrkohle. Die CDU-Granden zogen sich zurück und sannen grollend auf Rache. Diepgens Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky musste als einziger (aber nur wegen seines Vorstandsvorsitzes bei der Berlin-Hyp) vor dem Kadi antanzen. Natürlich endete die Sache mit einem Freispruch.
All diese Affären hielten damals Klaus Wowereit den Rücken frei. Seine Ankündigung eines „Paradigmenwechsels“ in der sozialdemokratischen Landespolitik wurde ernst genommen. Und an das „richtig rote“ (Eigenlob der Linken) Schreckgespenst gewöhnte sich Berlin sehr schnell, ebenso schnell wie an die gelegentlichen Eskapaden seines „Regierenden“. Der hauptstädtischen PDS (der späteren Linken) mussten keine Reißzähne gezogen werden. Sie erwies sich rasch als biedere gesetzte Dame, die die Brotkruste vor dem Abbeißen einweichte. Der zu gelegentlichem Widerspruch neigende – und erfolgreiche! – PDS-Kultursenator Thomas Flierl wurde zum Ende der ersten rot-roten Wahlperiode mit Hilfe der eigenen Genossen entsorgt. Das medienträchtige Kulturressort übernahm der Chef selber. Erleichtert wurde dies durch einen massiven Einbruch des Koalitionspartners bei den Abgeordnetenhauswahlen 2006. Der PDS rannten die Wähler in Scharen davon, von 366.292 Stimmen im Jahre 2001 verlor sie 181.107. Von diesem Hieb hat sich die Partei bis heute nicht erholt.
Wowereit hingegen konnte seine SPD erstmals seit 1990 wieder über die 30-Prozent-Marke hieven. Er hatte in seiner Regierungserklärung bei der Amtsübernahme erklärt, Berlin müsse sparen „bis es quietscht“. Unter seinem Druck und dem seines ersten Finanzsenators Thilo Sarrazin quietschte hauptsächlich der öffentliche Dienst. Der stellte seine Quittung aber, wie erwähnt, der PDS aus, ohne die der rabiate Sparkurs politisch nicht durchsetzbar gewesen wäre. Sie war zwar nicht die Verursacherin der vielen kleinen und großen Konsolidierungs-Gemeinheiten – sie nutzte aber jede Chance, diese in wahrer Nibelungentreue zu verteidigen. Die SPD konnte sich zufrieden im Hintergrund halten.
Die zweite rot-rote Wahlperiode verlief unspektakulärer. Klaus Wowereit wurde auch als geschätzter Partygänger etwas ruhiger und ließ die Pumps von Fernsehmoderatorinnen in Ruhe. Aus den Skandalen wurden Skandälchen. Zwar landete er 2012 noch an der Spitze der „100 peinlichsten Berliner“ des Stadtmagazins tip, aber diese ausgelutschte Liste interessiert eigentlich schon lange keinen mehr. Zwischen 2006 und 2011 gelang es ihm tatsächlich, den Landeshaushalt zu stabilisieren. Die Einnahmen der Stadt stiegen. Das hatte auch damit zu tun, dass Berlin auch aufgrund seines (noch) vergleichsweise moderaten Preisniveaus weltweit immer „angesagter“ wurde. Selbst die Wirtschaftszahlen legten im Rahmen der deutschen Konjunkturentwicklung langsam wieder zu.
Problematisch gestalteten sich nur die Entwicklungen im innenpolitischen und im Bildungsbereich. Dem ansonsten recht ideenlosen, sich damals als „starken Mann“ der CDU gerierenden Frank Henkel fiel es nicht schwer, sich als kommenden Berliner Saubermann zu präsentieren. Die Attacken der CDU auf Wowereits rot-rotes Kabinett bewegten sich häufig im unteren Segment des parlamentarisch gerade noch Zulässigen. Dafür durfte Wowereit ab Winter 2011/12 mit Henkel und seiner plötzlich nicht mehr ganz so rüpeligen CDU regieren. Die zur Linkspartei mutierte PDS bekam ob ihrer Lernunwilligkeit einen weiteren Nasenstüber von den Wählern verpasst und spielt seither nur noch eine Nebenrolle auf der politischen Bühne der Hauptstadt.
Aber Klaus Wowereit schien das Glück verlassen zu haben. Personalmäßig holperte sich seine Koalition mehr schlecht als recht über die erste Hälfte der Legislaturperiode. Die baulichen Großprojekte (Flughafen, Oper, ICC-Sanierung, Tempelhofer Feld mitsamt Landesbibliothek, U-Bahn Unter den Linden) stecken alle irgendwie im märkischen Sand fest. Die Berliner Integrationspolitik erweist sich zunehmend Fiasko. Die städtische Infrastruktur gleicht einem Flickenteppich. Im Schulbereich ist das Land fest entschlossen, die rote Laterne im bundesweiten Vergleich nicht abzugeben. Inzwischen verschärfen sich die sozialen Konflikte in der deutschen Armutshauptstadt auf eine Weise, die zu schlimmsten Befürchtungen Anlass gibt.
Logischerweise wird jedes, aber auch jedes Versagen dem Regierungschef ins Stammbuch geschrieben. Das ist überall so. Aber das Desaster um den Hautstadtflughafen BER wird hauptsächlich Klaus Wowereit angelastet. Alle anderen Mittäter – das Land Brandenburg, der Bund und diverse Unternehmensmarodeure – kommen offenbar im Schönefelder Dauerregen immer trocken über die Baustelle. Als geradezu mörderisch erwies sich für ihn der Flügelkampf in der Berliner SPD zwischen rechtem (den können wir uns vorstellen) und linkem Flügel (den können wir nicht so richtig orten), der sich an der Nachfolgefrage für den Regierenden Bürgermeister festmachte. Der war eigentlich noch politisch am Leben und dachte im Frühjahr 2014 trotz der heftigen Blessuren im Zuge der Schmitz-Affäre (die Steuer-Sache…) sogar über eine weitere Wahlperiode nach. Den Richtungs-Fight entschied der „linke“ Jan Stöß zunächst für sich. Er wurde Landesvorsitzender. Sein Kontrahent ist der Fraktionsvorsitzende Raed Saleh, die ehrgeizige Arbeitssenatorin Dilek Kolat fiel erst einmal aus dem Rennen. Der talentierte Strippenzieher Saleh fällt dadurch auf, dass er gelegentlich verkündet, was man doch mit der CDU für eine „prima linke Politik“ machen könne… Dann grätschte dem Regierenden noch Finanzsenator Ulrich Nußbaum in die Weichteile. Der erklärte, er könne sich vorstellen, dass auch ein Parteiloser Regierender Bürgermeister für die SPD sein könnte. Nußbaum, Gefrierfischmillionär aus Bremerhaven, ist parteilos.
Wie dem auch sei: Der Bär lebt noch, aber sein Fell wird jetzt schon zerfleddert. In der SPD läuft der Nachfolgekrieg offen. Jan Stöß nennt das „Wettbewerb“. Kaum sickerte das Gerücht eines möglichen Wowereit-Rücktrittes durch, ließ Bundes-SPD-Chef Sigmar Gabriel übrigens verlauten, dass er weder Stöß noch Saleh für geeignet halte. Stattdessen habe er wohl, so der Tagesspiegel, den SPD-Europa-Politiker Martin Schulz nach Berlin holen wollen. Inzwischen erklärte auch der 2012 von Stöß als Landesvorsitzender entmachtete Stadtentwicklungssenator Michael Müller seinen Willen, das Wowereit-Erbe anzutreten. Er hat gute Chancen, sich in diesem zerstrittenen Laden durchzusetzen. Die Oppositionsparteien – mit Ausnahme der Piraten; die wissen, dass sie rausfliegen würden – fordern Neuwahlen. Ausgerechnet Renate Künast (Grüne), die 2011 gegen Wowereit grandios scheiterte, weil sie zwischen Bevormundungsvisionen und Unkenntnis der Stadt hin und her schwankte wie das fragile Schilfrohr am Großen Wannsee, will, dass die Berliner „über die Zukunft Berlins selbst entscheiden dürfen.“ Und ausgerechnet die Linksparteispitzen Udo Wolf und Klaus Lederer erwarten „politischen Anstand“ (wie war das mit den Wahlniederlagen?) und fordern deshalb, tapfer die eigenen miesen Umfragewerte ignorierend, Neuwahlen. Nur einer ist nach eigenem Bekunden „ganz entspannt“. CDU-Chef und Wowereit-Stellvertreter Frank Henkel. Der weiß, dass in Berlin der Regierende Bürgermeister nicht direkt gewählt wird. Der weiß, dass die Berliner SPD ohne ihren jetzigen Frontmann noch weiter abrutschen wird. Der weiß, dass die Opposition weder personell noch inhaltlich eine ernst zu nehmende Gefahr darstellt.
Klaus Wowereit tut uns leid. Wir nehmen ihm seine Tränen ab, der Mann ist ein gutes Stück Berlin. Aber angesichts dessen, was da auf sie zuzukommen droht, schmerzt es uns noch mehr um diese Stadt. Berlin hat das alles nicht verdient.
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