17. Jahrgang | Nummer 16 | 4. August 2014

Querbeet (XLI)

von Reinhard Wengierek

Meine Fundstücke im Kunstgestrüpp: Diesmal Glanz und Gloria in Doberlug, Hauptstadtcity-Hochsommer-Spektakel, sechshundert Seiten Shakespeare…

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Sagt König August III. von Sachsen zu seinem Premierminister: „Brühl, weißt was? So muss es in die Annalen eingehen: Die Preußen Soldatenkönige; die Sachsen: Kunstkönige.“ – Und so kam es denn auch in die historischen Plauderbücher, womit der Unterschied zwischen beiden Königreichen sowie ein süffiges Klischee auf den Punkt gebracht wären.
Der berühmte Satz vom berühmten Sohn Augusts des Starken an Reichsgraf Heinrich von Brühl, nach dem die berühmte Terrasse am Dresdner Elbufer benannt wurde, ist ein Zitat aus dem TV-Mehrteiler „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“, der in amüsant pointierten Geschichten die Geschichte der Rivalitäten zwischen Preußen und Sachsen erzählt; heutzutage abrufbar auf YouToube. Mit dieser angeblich teuersten, international höchst erfolgreichen Produktion des DDR-Fernsehens zielte man „innenpolitisch“ auf landsmannschaftliche Identitätsfindung, was damals, Mitte der 1980er Jahre, eine Novität war.
Jetzt endlich gibt es nach dem probaten Muster anderer Bundesländer, die mit finanziell üppigst ausgestatteten kulturgeschichtlichen Ausstellungen regionale Verbundenheit festigen sowie dem Tourismus Beine machen wollen, jetzt endlich gibt es auch in Brandenburg eine so genannte Landesausstellung (die erste!). Ihr nicht erst seit Zeiten von Brühl, August-III und Friedrich-II brisantes Thema: „Preußen und Sachsen. Szenen einer Nachbarschaft“. Ihr Ort: Das in festlichem Weiß wieder hergestellte Renaissanceschloss Doberlug (zu DDR-Zeiten NVA-Kaserne), eine einst respektable Nebenresidenz der Wettiner im Süden Brandenburgs. Die üppig ausgestattete Rück-Schau erinnert zwei Jahrhunderte nach dem Wiener Kongress an die sächsischen Wurzeln Preußens. Waren doch die Gegend zwischen Elbe und Elster und mithin Doberlug bis 1814 sächsisch! Erst als 1813 die Wettiner blöderweise weiter zu Napoleon hielten, wurde nach dessen Niederlage am grünen Tisch in Wiens Hofburg – das sagenhafte Möbel ein Ausstellungsexponat! – der schmerzlich strafende Gebietsabtritt beschlossen: Das nördliche Sachsen ging an Preußen. Womit die Wettiner noch Glück hatten: Um ein Haar wäre ganz Sachsen von Preußen annektiert worden.
Vor diesem der Allgemeinheit eher wenig bekannten Hintergrund beleuchtet die vom Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte konzipierte Großausstellung das politisch und vor allem kulturell so überaus reiche, von heftiger Konkurrenz und pragmatischer Koexistenz geprägte Beziehungsgeflecht dieser beiden jeweils auf ihre Art weltberühmten deutschen Staaten.
Doberlug, wie sein opulentes Schloss 1664 gegründet (vom Kloster der Zisterzienser 1165 ist nur noch die ebenfalls jetzt fein restaurierte Kirche erhalten), dieses abseits der Touristenströme liegende Landstädtchen ist bislang wohl höchstens Durchreisenden bekannt als Bahnknotenpunkt „Doberlug-Kirchhain“ – gelegen etwa in der Mitte zwischen Berlin und Dresden. Nun aber wird es für jedermann höchste Zeit, das herausgeputzte Nest mit ziemlicher Vergangenheit zu inspizieren – die Glanz-und-Gloria-Schau gibt so unterhaltsame wir lehrreiche Gelegenheit (bis 2. November).

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Sie machen gute Laune. Sie machen intelligent gute Laune, sie machen supergute Kunst mit hauptstädtischem Volkstheater. Und passen bestens in die Mitte von Berlin zwischen Museumsinsel, dampfender Touristen-Meile Oranienburger Straße sowie – die Investoren dürfen sich gratulieren! – gegenwärtig luxuriös saniertem Areal um ehemalige Hauptpost und Charité-Kliniken sowie altem Postfuhramt; der baugeschichtliche Rahmen umspannt die Epochen von Biedermeier bis klassische Moderne.
Die Rede ist von den Leuten des Monbijoutheaters und seinem fantastischen Standort am Rande des Monbijouparks, den einst das reizende, vor acht Jahrzehnten brutal abgerissene Schlösschen Monbijou zierte.
Doch das „Monbi“ ist nicht allein ein die Menge begeisterndes Sommertheater, sondern ein opulentes Sommerkulturzentrum mit italienischer Gastronomie (kommt vom Traditionslokal Clärchens Ballhaus), mit Strandbar (der ersten in der Stadt seit 2002), mit Tanzdiele (gleichfalls betreut vom „Clärchen“), mit Konzert- und Kinoprogramm sowie Straßentheater mit klassischem Theaterkarren. Allein das alles zusammen ein sommerliches Gesamtkunstwerk! Und im Winter, dies nebenbei, wird „Monbi“ zur Märchenhütte mit witzig vertheaterten Kinderträumen für alle Altersklassen.
Das Unternehmen „Monbi“ begann vor zwanzig Jahren ganz klein, aber höchst erregt als „Hexenkessel“ in einem Hinterhof im Stadtbezirk Prenzlauer Berg. Von dort zog man um nach Mitte-Monbijou und erfand sich seither immer wieder neu – und größer; zuletzt durch die aufwändige Installation eines Amphitheaters. Dort werden heuer von Anfang Juni bis Ende August pro Abend zwei Shakespeares gezeigt: „Sommernachtstraum“ und „Wie es euch gefällt“. Und nebenan auf der Spree-Brücke vor der prachtvoll illuminierten Kulisse des Bode-Museums ein deftiger Machiavelli.
Zur Entspannung und romantischen Einstimmung auf „As you like it“ zupfen zwei brillante Gitarristen Klassisches, fein modern eingefärbt. Auf der Bühne im antikischen Halbrund ein Sammelsurium von Leitern. Shakespeares Wald von Arden, ein Fantasiegehölz, in dem schwer melancholische Narren ihre durchtrieben philosophischen Späße treiben. Und nebenbei wird im Dickicht der Leitern eine bunte Truppe dorthin verirrter Menschenkinder irre am höllischen Verwirrspiel der Himmelsmacht Liebe. Sie schwitzen vor Eifersucht und Verzweiflung, schmachten vor Glückssehnsucht. Und all die Herzwunden, Sinnsucher, Aus- und Umsteiger und Träumer, die Herzöge, Diener, Edelleute, Bauern, Schäfer, sie alle machen das hinreißend. Komisch zum Schenkelklopfen, traurig zum Heulen, albern, verführerisch, akrobatisch, gerissen, blödelnd und sexy (Regie: Sarah Kohrs). Dazu passend der „Sommernachtstraum“ (Regie: Jan Zimmermann). Ein derart zauberhaftes Shakespeare-Turbo-Volkstheater sieht man so oft nicht, auch nicht im regulären, millionenschwer subventionierten Hauptstadt-Staatstheaterbetrieb.
Um den Dreier der vor Fleiß strotzenden „Monbi“-Erfolgstruppe voll zu machen, serviert man noch – als fettes Sahnehäubchen (Regie: Alberto Fortuzzi) – auf klassischem Thespiskarren sowie zwischen ordinären Biergartenbänken auf dem Spreebrücken-Plateau vorm Bode-Museum (und vor kreischendem Publikum) Niccolo Machiavellis Renaissance-Klamotte vom Vögeln, Betrügen und Verspotten rasender Dummheit „La Mandragola“. Äußerst rotzig. Aber hallo! – mit Kunst.

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Für den einsamen Liegestuhl im Schatten und im Hinblick auf die nicht allein in Berlin tobenden Shakespeare-Sommerspektakel ein Büchertipp: Ein sehr handlicher, bestens lesbarer, also populär gemachter Einstieg in den Kosmos des großen Elisabethaners mit dem universellen Titel “Shakespeares Welt”. In diesem 600-Seiten-Wälzer von Isaac Asimov steht alles drin, was man wissen muss, um W.S. sagen wir prinzipiell zu kapieren. Dazu die praktikabel-lexikalische Auflistung der historischen, mythologischen und literarischen Bezüge seiner wichtigsten Werke.
Asimov war studierter Biochemiker und erfolgreicher Sachbuchautor, richtig berühmt und höchst geehrt wurde er jedoch erstaunlicherweise als Science-Fiction-Autor. Bezüglich Shakespeare ist der Mann, geboren 1920 in Russland, gestorben 1992 in New York, ein Seiteneinsteiger – und die können meist trefflicher und amüsanter erzählen als die (frech gesagt) hoch gelehrten Fachidioten. Im Alexander Verlag Berlin für 34,90 Euro; zwar nicht billig, dafür reichhaltig.