von Heinz Jakubowski
Dass Geist und Macht nur selten als Liebespaar daherkommen, ist ein vermutlich unstrittiger Erfahrungswert. So selbstverständlich, wie beide indes vielerorts geradezu schon axiomatisch als Inkarnation eines naturgegebenen Gegensatzes betrachtet und interpretiert werden, dürfte es aber dennoch nicht sein, sagt die Hoffnung. Wenn Geist, sich überwiegend darstellend in Philosophie und Kultur, und gesellschaftspolitische Macht sich wirklich essenziell ausschlössen statt sich gegenseitig zu bereichern, wäre es jedenfalls ein Grund, jedwede Hoffnung auf den Sieg von Vernunft im menschlichen Miteinander zu verlieren, sagt die Desillusion.
Leider ist zuzugeben, dass sich per geschichtlicher Umschau sehr viel mehr Beispiele finden, die Geist und Macht als Gegensatzpaar erlebbar machen denn als Komplementärerscheinungen. Es mag linksgepolte Gemüter dabei beruhigen, dass sich das keineswegs auf Einflussbereich und -zeit des real existierenden Sozialismus bezieht. Aus der Überfülle vor- und nachsozialistischer Belege sei hier nur an den Bundeskanzler Ludwig Erhard erinnert, der 1965 über 25 (west)deutsche Autoren, die öffentlich für einen Regierungswechsel eingetreten waren, öffentlich erklärte: „Ich muß diese Dichter nennen, was sie sind: Banausen und Nichtskönner, die über Dinge urteilen, von denen sie einfach nichts verstehen […] Es gibt einen gewissen Intellektualismus, der in Idiotie umschlägt. […] Alles, was sie sagen, ist dummes Zeug.“ Ein Mann wie Rolf Hochhuth gerierte bei Erhard kurzerhand gar zum „Pinscher“. Nun ist zu diesem Beispiel freilich anzumerken, dass selbst mit Kanzlerfuror vorgetragene Schelte in Westdeutschland nicht die Oberhand behalten hat und zum zweiten, dass jeder Autor dort, der nur einen Verlag finden konnte, seine Bücher trotz solcher politischer Verdikte immer unter die Leute bringen konnte. Anders indes der Umgang mit dem Geist durch die Macht im Realsozialismus, wobei für diesen hier die DDR stehen möge. Verbalinjurien wie die eines Erhard waren hier von vergleichbaren Politgrößen nicht zu hören oder zu lesen. Leider ging dafür auch die Praxis des Umgangs mit ihnen ebenfalls in Richtung des bundesdeutschen Gegenteils. Nicht nur, dass hier niemand irgendetwas veröffentlichen konnte, nur weil er ein Buch geschrieben hatte, das nicht der Zensur und im besten Falle dann Zustimmung der Zensoren erscheinen konnte. Nein, auch die Art, wie man – außer bei gehätschelten Autoren, aber zum Teil selbst bei denen! – mit Intellektuellen umging, war das pure Gegenteil des selbsterklärt eingeschlagenen Weges aus dem Reich der Notwendigkeit in jenes der Freiheit.
An diese mehr als betrübliche Selbstentlarvung des „gesellschaftlichen Fortschritts“ erinnern – zum Teil beklemmend – zwei Bücher, die in kurzer Folge im Aufbau-Verlag erschienen sind. Zum einen ist dies der erste Band der Tagebücher Erwin Strittmatters, zum anderen das Buch „Brecht und die DDR“ von Werner Hecht. An dieser Stelle soll komplett verzichtet werden soll auf – im Übermaß vorhandene – Beispiele jener Kleingeistig- und Schäbigkeit, wie allein mit diesen Autoren, die zwar kritisch aber fest zur DDR standen und mit denen sich die Macht bei Bedarf so gern zu schmücken versuchte, umgegangen worden ist. Dass der literarische Exodus erst ab Mitte der Siebziger Jahre einsetzte, mag heute regelrecht verwundern. Gewiss, es wäre oberflächlich, das Tun und Lassen derjenigen, die seinerzeit mit der Macht durch die stalinistische Sowjetunion ja lediglich belehnt worden sind und schon deshalb in ewiger Angst vor jenem Volk regierten, mit dem sie sich nach außen als Wechselbild gab, auf deren intellektuelle Defizite zu reduzieren. Was aber nichts daran ändert, dass sich reales politisches Tun an realen Handlungen messen lassen muss. Und was das betrifft, sind – nicht nur – aber vielleicht doch besonders die Anfangsjahre der DDR eine traurige Bestätigung für das eigentliche Vorurteil, dass Macht mit Geist nichts anzufangen weiß – bestenfalls –, mehr noch, dass sie den Geist als Opposition empfindet und entsprechend behandelt. Zwar hatte der Sozialismus als Regenten keine Kaiser mehr zu bieten, aber an jenes „Märchen“, das der junge Kurt Tucholsky 1907 für den Ulk verfasst hatte blieb man zwischen 1949 und 1989 leider oft erinnert: „Es war einmal ein Kaiser, „der über ein unermeßlich großes, reiches und schönes Land herrschte. Und er besaß wie jeder andere Kaiser auch eine Schatzkammer, in der inmitten all der glänzenden und glitzernden Juwelen auch eine Flöte lag. Das war aber ein merkwürdiges Instrument. Wenn man nämlich durch eins der vier Löcher in die Flöte hineinsah – oh! was gab es da alles zu sehen! Da war eine Landschaft darin, klein, aber voll Leben: Eine Thomasche Landschaft mit Böcklinschen Wolken und Leistikowschen Seen. Rezniceksche Dämchen rümpften die Nasen über Zillesche Gestalten, und eine Bauerndirne Meuniers trug einen Arm voll Blumen Orliks – kurz, die ganze moderne Richtung war in der Flöte. Und was machte der Kaiser damit? Er pfiff drauf.“
Erwin Strittmatter: Nachrichten aus meinem Leben, Aus den Tagebüchern 1954 – 1973, aufbau, Berlin 2012, 601 Seiten, 24,99 Euro.
Werner Hecht, Die Mühen der Ebenen, Brecht und die DDR, aufbau, Berlin 2013, 362 Seiten, 29,99 Euro.
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