17. Jahrgang | Nummer 9 | 28. April 2014

Schadow – leicht versoffen mit Nippes

von Wolfgang Brauer

Kürzlich war ein sonniger Tag in Berlin. Das ist immer ein guter Grund, ein oder zwei Stationen vor dem Ziel aus dem U-Bahn-Tunnel herauszuklettern und den Rest der Strecke zu laufen. Sagen wir mal: Vom Spittelmarkt zum Nikolaiviertel Richtung Alex. Man kommt ein Stück am Wasser entlang… Ja, sie ist noch da, die Spree. Aber so richtig Lust zum Fließen scheint sie nicht zu haben. Im Spreekanal rund um die Fischerinsel treiben Schrippen vor sich hin, keine Ente nirgends. Schnell weg von hier – beim Blick auf die bröckelnde Quai-Wand der Insel kommen mir immer Otto Nagels Pastelle „Abschied vom Fischerkiez“ (1965) in den Sinn. Weder im benachbarten Ermelerhaus noch in der „Raabediele“ lässt sich die Trauer begießen. Aus dem Ermelerhaus wurde ein nobles „art’otel“, in dem sich Georg Baselitz verewigen durfte. Nagel flog mit seinen Malerkollegen aus dem Otto-Nagel-Haus gleich daneben raus. Natürlich steht beides in keinem direkten Zusammenhang, in einem indirekten schon. Die „Raabediele“ wurde zur Betriebskantine des „art’otels“ umfunktioniert. Immerhin. Wir überqueren die Brücke auf der Suche nach einem angenehmeren Ufer. In der Hauptspree lauert ein Ausflugskahn namens „Schöneberg“ auf das Einschleusen. Die Mühlendammschleuse ist augenblicklich nur eingeschränkt benutzbar. Am 22. März hatte ein Tankschiff ein Tor der südlichen Kammer gerammt. Der Kahn heißt sinnigerweise „Nordwind“. Wenn so viel Entschleunigung angesagt ist, machen wir eben auch einen Zwischenstopp.
Da ist ja gleich das „Ephraim-Palais“. „Berlins schönste Ecke“ wurde es einmal genannt. Aber das ist lange her. Jetzt zeigt die „Stiftung Stadtmuseum Berlin“ – wer hat sich bloß diesen Namen ausgedacht! – hier Sonderausstellungen. Bemerkenswerte Dinge gab es da in den letzten Jahren zu bestaunen, und es schmerzt, dass Stiftung und Berliner Senat mit dem Gedanken spielen, das Haus zu verkaufen. Die aktuelle Ausstellung heißt „Unser Schadow“. Der Titel macht neugierig. Am 20. Mai können wir den 250. Geburtstag von Johann Gottfried Schadow feiern. Dieser war ein begnadeter Künstler und zudem ein bemerkenswerter Berliner.
Schadow verdanken wir die Quadriga auf dem Brandenburger Tor – zum Zeitpunkt der Fertigstellung 1795 noch ohne Eisernes Kreuz, das hat erst Schinkel 1814 draufsetzen lassen. Soviel zum Thema „Rekonstruktion des Originalzustandes“. Schadow schuf das anrührende Grabmal des Grafen von der Mark (1790), des im Alter von sieben Jahren gestorbenen Sohnes König Friedrich Wilhelms II. und der späteren Gräfin Lichtenau (heute in der Alten Nationalgalerie). Da steht auch die Prinzessinnengruppe (1797), die Berlin-Touristen in jedem Nippesladen von Plaste bis ganz teuer in KPM-Porzellan kaufen können. Die Original-Luise musste seinerzeit vor Napoleon bis nach Ostpreußen flüchten. „Unser Dämel sitzt in Memel“, spotteten die Gassenjungen. Der „Dämel“ war ihr Gatte, König Friedrich Wilhelm III., der unbedingt Krieg führen musste und ihn prompt verlor. Das halbe Königreich dazu – mit der Quadriga, die als Beutekunst nach Paris geschleppt wurde. Schadow musste mit knirschenden Zähnen zusehen. Er wohnte gleich um die Ecke neben dem Brandenburger Tor. Ja, in der Schadowstraße, die hieß erst Kleine Wallstraße, wurde aber 1836 nach dem Künstler benannt (er starb 1850).
Schadows Luise samt Schwesterchen Friederike mussten auch flüchten. Aber erst kürzlich. Die Gewölbe der Friedrichswerderschen Kirche Schinkels reagierten im Oktober 2012 durch Bröckeln auf den Bau von Nobel-Villen neben dem „Museum des Berliner Klassizismus“ und drohten letzteren zu zerschlagen.
Ich gebe zu, gerne hätte ich die Damen gesehen. Sie hätten gut zum heutigen Frühlingswetter gepasst. Sicher im Erdgeschoss, selbst das Gipsmodell aus dem Klassizismus-Museum ist ziemlich schwer. Da stehen sie aber nicht. Schadow ist erst im zweiten Obergeschoss des Palais’ ausgestellt. Das macht gleich beim Betreten des Hauses misstrauisch. Das erste bietet eine Werkschau des Westberliner Viel-Malers und Geschichtsdeuters Matthias Koeppel. Koeppel gründete 1973 gemeinsam mit Johannes Grützke, Manfred Bluth und Karlheinz Ziegler die „Schule der Neuen Prächtigkeit“ – die Herren hatten sich den Kampf gegen die damals wie heute vorherrschenden Abstraktionismen auf das Panier gemalt.
Wo Koeppel ist, da kann auch Grützke nicht weit sein. Er kommt tatsächlich. Ein Stockwerk höher. Da sollte eigentlich Schadow sein. Da ist auch Schadow, ein bissel jedenfalls. Die nobleren Räume der Zimmerfluchten dominiert Grützke mit Plakatentwürfen („Unser Schadow“ – ziemlich versoffen wirkt er da, unser Klassizismus-Meister), eigenhändig abgezeichneten Denkmalen Schadows, einem Gruppenbild der Schadow-Gesellschaft, in deren Vorstand der Maler Grützke ist, und – einer lebensgroßen Darstellung Johannes Grützkes als Reitergeneral Joachim von Zieten (im Original ein Bronzeguss der 1850er Jahre nach dem Marmorstandbild Schadows aus dem Jahre 1794). Es steht auf dem heutigen Zietenplatz neben der tschechischen Botschaft: „Hei, wie den Feind sie bläuten, bei Hennersdorf und Prag“, reimte Theodor Fontane 1847 („Der alte Zieten“). Ich habe keine Ahnung, wo die Schmerzgrenze böhmischen Humors liegt, aber wir zeigten unseren Nachbarn ja immer schon ganz gern mit borussischer Zurückhaltung an, wo der Husarensäbel hängt… An diesem außenpolitischen Scherz hat die Berliner Schadow-Gesellschaft ihren Anteil.
Neben Grützke-Zieten hängt im Ephraim-Palais auch – Schockschwerenot! – Matthias Koeppel. Der hat sich 1984 hinreißen lassen, ein „Requiem für Luise“ zu malen. Abgekonterfeit sind auf vier Quadratmetern Leinwand zwei locker herumstehende Girlies, die auch aus Volker Ludwigs Erfolgsmusical „Linie 1“ entlaufen sein könnten. Mit Transistorradio und kurzbehost flegeln sie im Charlottenburger Schlosspark in Sichtweite des Königin-Luise-Mausoleums herum. Es handele sich um die Geschwister Humpe, klärt der Untertitel des putzigen Bildes auf. Davor steht ein Porzellan-Modell der Prinzessinengruppe. Auch das soll möglicherweise witzig sein: Wenn nicht im selben Raume Luises Totenmaske mit einem blauen Blumensträusslein als letztem Gruß hängen würde. Wer auch immer das verzapft hat: Er meint es ernst. Der riss die Latte der Neuen Peinlichkeit und merkte es wohl noch nicht einmal.
Das unterlief auch Claudia Czok, die in einem informativen Aufsatz über das Schadow-Haus unbedingt noch der DDR eins auswischen musste. Weil das Haus des Künstlers deren „ostdeutsche Kulturfeindlichkeit“ gerade so knapp überlebt habe wie den Zweiten Weltkrieg… Dieser Unsinn findet sich im ansonsten ansehens- und lesenswerten Katalog.
Kaufen Sie sich den – und schauen Sie sich die Denkmäler des Meisters in der Innenstadt an und gehen dann in die Alte Nationalgalerie und das Bode-Museum. Vom Zietenplatz ist es nicht weit zum Brandenburger Tor. Den Originalkopf (das Gespann auf dem Tor ist eine Replik) muss man nicht unbedingt gesehen haben. Von den umfänglichen Schadow-Beständen der Akademie der Künste und der Staatlichen Museen findet sich im Ephraim-Palais nichts.
Ich habe keine Ahnung, was der alte Schadow sagen würde, müsste er sich seine Gedenkausstellung, also die Grützke-Show mit Schadow-Beigaben, ansehen. Wilhelm Spohr, Mitglied des Friedrichshagener Dichterkreises, übermittelt folgendes Gespräch zwischen dem Kunst-Lehrer Johann Gottfried Schadow und einem seiner Schüler: „‚Haste det allene jemacht?’ Der stolze Schüler: ‚Jawohl, Herr Direktor.’ Schadow: ‚Janz alleene?’ Der Schüler halb stolz, halb beleidigt wegen des Zweifels: ‚Jawohl, Herr Direktor!’ Schadow: ‚Na, denn kannste Töpper werden.’“
Warum zum Teufel fällt mir diese Anekdote ausgerechnet beim Verlassen des Ephraim-Palais’ ein? Es waren Grützkes Plakatentwürfe mit dem schnapsnasigen Schadow, die mich an etwas erinnern. Zu Haus werde ich fündig: 1907 erschien in Berlin der 400 Seiten starke Wälzer „Das Wein-Turnier. Ein Zechbrevier“ des Mahlsdorfer Poeten Karl Kohlis. Dessen Illustrationen schuf der 1872 geborene Carl Zander. Armer Schadow!

Unser Schadow. Gratulationen zum 250. Geburtstag, Ephraim-Palais Berlin bis 29. Juni 2014, dienstags bis sonntags 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr, mittwochs 12.00 Uhr bis 20.00 Uhr; Katalog 12,00 Euro.