von Klaus Hammer
Terrakotta (Tonerde) gehört zu den ältesten künstlerischen Werkstoffen des Menschen. Im antiken Griechenland und in Rom erreichte ihre Produktion hohe künstlerische Qualität. Die etruskische Kunst kannte bereits lebensgroße Standbilder, die in Terrakotta ausgeführt wurden. Erst seit Ende des 14. Jahrhunderts trat Terrakotta dann wieder in der Plastik auf, fast alle Hauptmeister der Renaissance bedienten sich der bemalten Terrakotta. Auch im 19. und 20. Jahrhundert griffen Bildhauer gelegentlich auf diese Technik zurück, vor allem für Bildnisbüsten; aber der Berliner Bildhauer und Zeichner Robert Metzkes ist in unserem Umkreis wohl der einzige, der sich so kontinuierlich – nun schon 30 Jahre lang – der farbig engobierten Terrakottaplastik gewidmet hat. Anlässlich seines 60. Geburtstages zeigen jetzt das Georg-Kolbe-Museum und die Galerie Leo.Coppi in Berlin seine fast lebensgroßen Figuren, Büsten und Porträts, die er vor allem in den letzten zehn Jahren geschaffen hat. Wie verfährt der Künstler? Er trennt von einem Tonblock einzelne Platten ab, die er dann später wieder zusammensetzt. Terrakotta ist in der Verarbeitung härter als der flexiblere Bronzeguss, dafür lässt sich die Farbe leichter auftragen. Metzkes bemalt die Figur vor dem Brennen mit mineralisch eingefärbtem Tonschlicker (Engobe), der je nach Auftragsweise nach dem Brennen eine matte bis mattglänzende Oberfläche ergibt. Durch das natürliche Material erreicht er die frappierende Lebendigkeit und das innere Strahlen der Plastiken. Wird der Faltenwurf eines Gewandes wie bei der „Stehenden im schwarzen Kleid“ (2001) plastisch herausgearbeitet, so werden die Musterung eines Stoffes oder auch die Augen mit flüssiger Engobe aufgemalt. Gerade die stehenden Frauenfiguren in ihren fließenden Gewändern strahlen eine klassische Schönheit und Würde aus. Das beherrschende Thema dieser Plastiken ist die Realisierung des Stehens, Sitzens, Liegens und der Grundbewegungen des Körpers. Die stillen, in ihre Gedanken versunkenen Menschenbilder verbindet antikische Idealität mit einer höchst gegenwärtigen Präsenz; Kunstgestalt und Natur, Abbild und Abstraktion kommen hier zusammen. Sie atmen den gelassenen Geist der mediterranen Welt und sind doch zugleich lebendig-sinnliche Porträts der heutigen Generation. Aus dieser Spannung von Irritation und Identifizierung erwächst der besondere Reiz der Plastiken. Es ist von einem „Sympathiezauber“ gesprochen worden, der Metzkes’ Figuren mit den Menschen verbindet, die sie betrachten. „Es geht mir nicht darum, dass irgendetwas abgebildet wird, sondern um die Form, die eine Übersetzerin der Realität ist“, sagt der Künstler. Metzkes arbeitet gern mit Modellen aus seiner unmittelbaren Umgebung. „Beim Arbeiten ohne Modell ringt man darum, das Wesen, das da aus Ton entsteht – da man ihm ja keine wirkliche Individualität aus dem Leben entleihen kann – Wahrscheinlichkeit zu verleihen. Arbeite ich nach Modell, so sitzt das Wesen lebendig da, ‚duftet‛, der Blick ‚vibriert’, selbst beim ‚nachdenklichsten’ Modell, und der Ton bleibt daneben tot.“ Als „Mona“ kehrt ein Modell in seinen Frauenfiguren immer wieder, das einen besonderen Typus – Besinnung und innere Einkehr – verkörpert. Betrachtet man das Gesamtwerk von Robert Metzkes, dann wird offenkundig, wie stark hier die künstlerische Aufgabe aus einem harmonischen Zentrum herausgewachsen und allmählich gereift ist. In der Vorstellung dieses Bildhauers bleibt jene latente figürliche Tradition lebendig, welche den Bogen von der klassischen griechischen Antike über die Frührenaissance bis hin zur Moderne spannt, und die im 20. Jahrhundert in der rigorosen Auffassung des Statuarischen bei Künstlern wie Lehmbruck und anderen wurzelt. Metzkes Figuren, Solitäre wie Gruppenfiguren, Torsi, Büsten und Köpfe leben durch einen starken individuellen Ausdruck. Schon das Neigen eines Körpers, der Kontur, die Haltung der Arme, die Verschränkung der Hände, sagt Metzkes, würden der „Erinnerung Nahrung“ geben. Sublime Verspannungen („Im blauen Kleid“, 2009; „Akt auf blauer Kiste“, 2011) fallen ins Auge, in denen sich die räumlichen und flächigen Elemente zwischen Figurenkern und denen äußerer Haut artikulieren. Was Gliedmaßen, Becken und Rumpf miteinander verbindet, ist ein weich fließender Kontur, dem das Auge gerne folgt. Es gibt in diesem Formenorganismus nur Übergänge, keine Bruchstellen. Daraus lässt sich auf eine bestimmte Gestaltungsabsicht schließen: ein kontinuierlicher Kräftestrom soll einmal als Ausdehnung und Schwellung, das andere Mal als Zusammenziehung in Erscheinung treten. Mit einer erstaunlichen Inständigkeit hat sich der Künstler über die Jahrzehnte in seinem eigenen Kreis gehalten. Bei aller Bestimmtheit und Klarheit der Form scheinen seine Plastiken – auch bedingt durch das Licht – wie von einer zarten, unsichtbaren Membran zusammengebunden. Nichts tritt nach außen, was den harmonischen Ablauf der Figurensilhouette beeinträchtigen könnte. In der Modellierung fließender Übergänge ist das zarte Abtasten der Oberflächenhaut eingeschlossen. Ein Traum, ein Schwebezustand scheint hier eingefangen und in Terrakotta verewigt zu sein. Sehr persönlich und zugleich unbestimmt ist der Ausdruck im Kopf gesteigert. Die Haare, deren Ansatz der Ton bogenförmig überschneidet, bedecken den Kopf fast schützend. Keine Verschattung oder psychische Erregtheit lässt sich aus den Blicken lesen, sondern ein nach innen gerichtetes Wach-Sein. Auch der wache, prüfende Blick aus weit geöffneten Augen (so in der Bildnisbüste „Hans“, 2006) gilt nicht uns, den Betrachtern; die Figuren wenden den Blick weg oder sie schauen durch uns durch. In seinen Porträts ist keine Bewegung, in den Gesichtern keine Geste, kein Wimpernzucken, kein Falten der Haut, auch kein Lachen, Weinen, ja nicht einmal Atmen. Es ist die Stille antiker Ferne in diesen Gesichtern. Und wenn sich Furchen graben wie Tätowierungen, dann wird das Porträt noch ruhiger. Und alles fließt wie in geschlossenen Kreisen.
Robert Metzkes – Menschenbilder, Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, 14055 Berlin, Die – So 10-18 Uhr, bis 9. Juni; Galerie Leo.Coppi, Auguststr. 83, 10117 Berlin, Die – Sa 12-18 Uhr, bis 17. Mai. Katalog 15 Euro.
Schlagwörter: Klaus Hammer, Plastik, Robert Metzkes, Terrakotta