17. Jahrgang | Nummer 3 | 3. Februar 2014

Pete Seeger (1919-2014)

von Mario Keßler, New York

Es gab im Jahre 1971, als ich mit dem Aufbau meiner Plattensammlung begann, nicht allzu viele Scheiben in der DDR, die mich interessierten. Zwei Ausnahmen bildeten LPs von Joan Baez und Pete Seeger. Seegers Konzert in der New Yorker Carnegie Hall vom 8. Juni 1963 war der „Einstieg“ in eine damals ebenso fremde wie faszinierende und wohl unerreichbare Welt.
Natürlich wusste ich um die Bedeutung Pete Seegers. Mir war klar, dass Seeger in der Nachfolge seines Freundes Woody Guthrie zu den wichtigsten Komponisten und Interpreten der Folk-Musik gehörte, die er als eigenständige Gattung weltweit popularisierte. Als Sozialist trat er für eine Gesellschaft der Freiheit, Chancengleichheit und sozialen Gerechtigkeit ein. Obwohl zur gleichen Zeit auch der Name von Angela Davis in aller Munde war, konnte ich aber nicht wissen, wie risikoreich ein solches Engagement auch unter den Bedingungen einer – verglichen mit der DDR – freien Presse und Medienlandschaft war.
Geboren wurde Peter Ellis Seeger, der sich Pete nannte, am 3. Mai 1919 in New York in einem musikalischen und politisch linksorientierten Elternhaus: Sein Vater Charles Louis Seeger gehörte zu den Begründern der Musikethnologie als eigenständiger Wissenschaft, seine Mutter Constance war klassische Violinistin und Musiklehrerin. Das Paar, das sich 1932 jedoch scheiden ließ, bekam drei Kinder; Pete war das jüngste. Aus der zweiten Ehe seines Vaters wuchsen ihm vier weitere Geschwister zu. Er selbst heiratete 1943 Toshi Aline, geborene Ohta, die bis zu ihrem Tod 2013 alle Höhen und Tiefen seines Lebens mit ihm teilte. Das erste Kind des Paares starb kurz nach der Geburt. Drei weitere Kinder und vier Enkel aber fühlen sich noch heute dem Erbe Pete Seegers verpflichtet.
Seeger, der eine gute Tenorstimme entwickeln sollte, brachte sich selbst als Schüler die Instrumentaltechnik an der Gitarre, am Banjo und an der Ukulele bei. Politisch beeinflusst wurde er vor allem durch seinen Vater. 1936 trat er der Young Communist League, dem Kommunistischen Jugendverband, und 1942 der Kommunistischen Partei der USA bei. Zur Jahreswende 1956-57 stellte er seine Beitragszahlungen an die Partei ein, ohne dies aber öffentlich zu machen, da er dem Antikommunismus keine Zugeständnisse machen wollte. Später räumte er selbstkritisch seine gegenüber dem Sowjetsystem lange zu unkritische Haltung ein.
Er studierte kurz in Harvard, wollte Journalist werden, brach aber das Studium ab und wurde professioneller Musiker. Sein Freund Alan Lomax vermittelte ihm ab 1940 mehrere Auftritte in der wöchentlichen CBS-Rundfunksendung „Back Where I Come From“, wo Seeger unter anderem mit Huddie Ledbetter alias Leadbelly, Josh White und vor allem Woody Guthrie auftrat. „Gemischt-rassige“ Musikercombos waren noch immer eine Sensation. Die Programme wurden in den Südstaaten der USA nicht ausgestrahlt. Doch im März 1941 spielte Seeger auf Einladung Eleanor Roosevelts im Weißen Haus. Dies rief Kritik von Konservativen wie Carl Joachim Friedrich hervor. Dieser, ein „Stammvater“ der Totalitarismus-Ideologie, forderte das Justizministerium der USA auf, Rechtsmittel zu schaffen, um Seegers kommunistische Propaganda zu unterbinden.
Im Jahre 1941 gründete Seeger die Almanac Singers, der auch die schwarzen Bluesmusiker Sonny Terrie und Brownie McGee angehörten. Im Zweiten Weltkrieg war er als Flugzeugmechaniker tätig und sang im Rahmen der Truppenbetreuung. Neben den Auftritten schrieb Seeger 1948 das Lehrbuch „How to Play the Five-String Banjo“.
Er gründete in Nachfolge der Almanac Singers The Weavers, die er nach Gerhart Hauptmanns Stück „Die Weber“ benannte. Mit dem von Leadbelly geschriebenen Song „Goodnight Irene“ waren The Weavers 1950 für dreizehn Wochen an der Spitze der US-Charts. Weitere Hits der Gruppe waren „Zena, Zena“ und später „Shalom Chaverim“ in hebräischer Sprache oder der Zulu-Song „Wimoweh/The Lion Sleeps Tonight“, der auch ein Erfolg für The Tokens wurde. 1946 wirkte Seeger in dem Spielfilm „To Hear Your Banjo Play“ und ein Jahr darauf an der Produktion des Folk-Musicals „Dark of the Moon“ mit. Seit 1950 war er der Herausgeber des Musikmagazins „Sing Out!“.
Seegers bis dahin bruchlose Laufbahn wurde 1955 jäh gestoppt. Am 18. August des Jahres musste er vor dem House Un-American Activities Committee, dem berüchtigten McCarthy-Ausschuss, aussagen, auch wenn dessen Namensgeber politisch soeben entmachtet worden war. Seeger weigerte sich, Namen zu nennen und andere zu belasten, was zu einem Ermittlungsverfahren und zum Boykott der großen Rundfunk- und Fernsehanstalten gegen ihn führte. Er zahlte diesen Preis, blieb unbeugsam und hielt sich finanziell auch mit Musikunterricht an verschiedenen Schulen und Summer Camps über Wasser. Sein Freund Moses Asch, Sohn des sozialistischen Schriftstellers Schalom Asch, der 1948 die Schallplattenfirma Folkways Records gegründet hatte, produzierte Seegers Platten, nachdem ihm die großen Firmen die Verträge aufgekündigt hatten.
Das Folk Revival der frühen sechziger Jahre befreite Pete Seeger aus seiner Isolation. Schon 1959 war er mit Theodore Bikel Organisator des ersten Newport Folk Festivals. Er wurde zum Mentor von Bob Dylan und Joan Baez auf deren Wegen zur Weltkarriere, verstand aber zunächst Dylans Hinwendung zur Rockmusik nicht.
In diesen Jahren brachten ihm Songs wie „Where Have all the Floweds Gone“, unter anderem von Marlene Dietrich interpretiert, „Kisses Sweeter Than Wine“ und „If I Had a Hammer“ in der Version von Peter, Paul & Mary sowie Trini Lopez und nicht zuletzt das von den Byrds zum Welthit gemachte „Turn, Turn, Turn“ Anerkennung, Ruhm, aber dann endlich auch finanzielle Sicherheit ein. Sein bekanntestes Lied wurde und blieb jedoch sein 1948 geschriebenes „We Shall Overcome“, das auf einem alten Gospel-Song basiert und zur Hymne der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung wurde.
Die reaktionären Kräfte ließen allerdings nicht locker: Das 1957 gegen Seeger wegen angeblich „subversiver Aktivitäten“ in Gang gebrachte Ermittlungsverfahren endete 1961 mit einer Verurteilung zu einem Jahr Gefängnis, nachdem ihm zuvor dreizehn Haftjahre angedroht worden waren. In Haft wurde Seeger wie Paul Robeson endgültig zur Stimme der Bürgerrechtskämpfe in den USA. Nach seiner Freilassung sang er auf zahlreichen Meetings und gehörte zu den ersten Amerikanern, die den sich zum Völkermord steigernden Vietnamkrieg anprangerten. Damit erschöpfte sich seine Arbeit aber nicht: Schon seit 1966 war er in der Umweltschutzbewegung aktiv.
Einstmals geächtet, wurde er wegen seiner Leistung und unkorrumpierbaren Haltung schließlich auch vom „Mainstream“ geachtet. So erhielt er 1993 den Grammy Lifetime Achievement Award. Im Jahre 2007 produzierte Jim Brown die dann mehrmals im Fernsehen ausgestrahlte Filmdokumentation „Pete Seeger: The Power of a Song“.
Am 18. Januar 2009 sang Seeger bei Barack Obamas Amtseinführung mit Bruce Springsteen Woody Guthries Lied „This Land Is Your Land“. Springsteen würdigte 2006 sein erklärtes Vorbild in seinem Album „We Shall Overcome: The Seeger Sessions“.
Am 3. Mai 2009 traten zu Seegers 90. Geburtstag im New Yorker Madison Square Garden unter anderem John Mellencamp, Roger McGinn, Joan Baez, Emmylou Harris, Richie Havens, Tom Paxton und Arlo Guthrie auf und interpretierten seine Lieder.
Er blieb ein unerschütterlicher Optimist. „Der Schlüssel zur Zukunft der Welt“, sagte er 1994, „liegt gerade darin, optimistische Geschichten zu finden und zu vermitteln.“ Am 21. Oktober 2011 nahm der 92-Jährige am Solidaritätsmarsch der Bewegung Occupy Wall Street zum Columbus Circle in New York teil und trat dort nochmals als Sänger auf. Am 21. September 2013 gab er in Begleitung von Neil Young, John Mellencamp, Willie Nelson und Dave Matthews sein letztes Konzert in Saratoga Springs.
Pete Seeger starb am 27. Januar 2014 im Alter von 94 Jahren im Kreise der Familie im New Yorker Presbyterian Hospital, wohin er sechs Tage zuvor eingeliefert worden war.