16. Jahrgang | Nummer 25 | 9. Dezember 2013

Kalaschnikow und Blümchenmuster

von Wolfgang Brauer

In der Kulturbrauerei an der Berliner Knaackstraße, das ist im ehemaligen „Szenebezirk“ Prenzlauer Berg – genau da, wo im Sommer um 22.00 Uhr die Außentische der Lokale nicht mehr bedient werden, wegen der Lärmschutzordnung – kann man sich jetzt die DDR angucken. Na ja, nicht wirklich. Nur den „Alltag in der DDR“. Und auch nur den, wie man ihn sich in Bonn am Rhein, im dortigen Haus der „Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“, also mit staatsfernem regierungsnahen Blick vorstellt. Das unterscheidet das Haus, es nennt sich großspurig „Museum in der Kulturbrauerei“, von den anderen in Mode gekommenen DDR-Museen, die inzwischen jedes zweite Dorf aufzuweisen hat. Die sind entweder nostalgisch oder wollen abschrecken. Das hier ist schon etwas Besonderes. In der Schmuddelfilm-Branche nennt man so etwas „hardcore“.
Gleich beim Betreten – keine Angst, Sie müssen keinen Zwangsumtausch erdulden, Sie müssen sich auch nicht ausweisen (auch wenn das Aufsichtspersonal so guckt, als würde es jeden Moment losblubbern: „Bürger, Ihren Personalausweis!“; die Leute sind ganz nett) – gleich beim Eintreten haben Sie erst einmal zu kapieren: „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!“ Und Sie erfahren unmissverständlich, wo es lang geht. Direttamente stehen vor Ihnen in Reih und Glied vor einer Galerie der hässlichsten SED-Plakate die Gips-, Bronze- und Steinköpfe von Marx, Engels, Lenin, Pieck, Luxemburg, Stalin und anderen roten Gruselfürsten in den Ausführungen „Ehrenhain“ und „Stasi-Schrankwand“ und ein Endlosschleifenvideo trällert „Die Partei, die Partei, die hat immer recht…“ und Ulbricht erklärt dazu im Wechsel, dass niemand die Absicht habe – aber das wissen wir ja nun seit 100 Jahren.
Nehmen Sie das aber gefälligst ernst! Aufmerksamst beobachtet werden Sie nämlich von einem jungen Mann in vierfacher Ausführung auf einem Bilderzyklus von Moritz Götze aus Halle, der im Herbst 1989 zur NVA sollte, vor Schreck und Widerwillen (Götze war in den Achtzigern Punk-Musiker, das erfährt man in diesem „Museum“ aber nicht) erst mal ins Krankenhaus flüchtete und wunderbarerweise durch den Mauerfall von dieser elementaren Gefährdung erlöst wurde. Ich verstehe ihn, ich kannte die halleschen Kasernen. Jedenfalls steckt der junge Mann („Einer von uns“ heißt die Porträtfolge) in Felduniform und hat die allzeit schussbereite Kalaschnikow im Arm. Die Überschrift der erläuternden Tafel lautet „Kalaschnikow und Blümchenmuster“. So hat Götze das unter Garantie nicht gemeint. Er tut mir leid. Das ist ein klassischer Mißbrauchsfall. Hoffentlich kriegt er wenigstens ein ordentliches Honorar.
Und eigentlich könnten Sie jetzt wieder gehen. Sie haben genau genommen alles gesehen. Der Rest ist Wiederholung. Die Dramaturgie ist in jedem Raum dieselbe: Gruselige Artefakte, die in miserablem Zustand Wirklichkeit vorgaukeln und in einer Ecke droht immer die wachsame und bewaffnete Staatsmacht… Auch die dominierenden Farben sind überall dieselben: Rot und Grau.
„Das Leben war viel bunter, als es dem Klischee von der uniformen, grauen DDR entspricht.“ Diesen Satz der Autorin und Filmemacherin Uta Kolano („Der nackte Osten“) haben die Ausstellungsgestalter an die Eingangswand des Rundweges zum Thema „Alltag“ malen lassen. Gleichsam als Maulschelle für dieses vorschnelle Urteil einer blinden Filmfrau stehen links daneben zwei NVA-Spinde mit den bekanntermaßen bunten Uniformen dieser Armee – und um die Ecke zwei blecherne – natürlich graue! – Aschetonnen. Dann nähert man sich gleich einem „Trabant 601“ (grüne Lackierung, Vopo-Grün!) mit aufgebautem Dachzelt. Niemand gerate ins nostalgische Schwärmen! Das Verhörzimmer der Stasi ist nämlich in nur drei Metern Entfernung aufgebaut. Wem das nicht reicht, die „Volkspolizei“ verhört gleich um die Ecke weiter. Oder hatte ich die Richtung verwechselt und hätte bei den Aschetonnen anfangen müssen? Macht nichts. Sie finden alle gängigen Versatzstücke des Ostens von Tempolinsen, Standard-Datsche und  „Präsent 20“-Konfektion angefangen bis zum Pioniertuch und Oppositionsschriftgut zwischen öder Ostzonen-Belletristik in einer insgesamt an Dämlichkeit kaum zu unterbietenden Anordnung.
Die lieblose und geschichtsferne Präsentation ist Absicht. Was grau sein soll muss grau sein: „Die kleinen Fluchten des Alltags konnten aber nicht über den Mangel an Freiheit und Selbstbestimmtheit hinwegtäuschen.“ So doktriniert der Ausstellungs-Flyer, sparen Sie sich den Katalog. Das alles ist noch nicht einmal richtig gruselig. Wenn Sie Grusel suchen, fahren Sie nach Hohenschönhausen in die Stasi-Gedenkstätte. Die ist auch nicht besonders amüsant und ziemlich verlogen, aber wenigstens irgendwie original. Zum Amüsieren gehen Sie besser in das DDR-Museum am Spreeufer. Dort erfahren sie, dass diese SED-Sklaven alle nackt badeten und kriegen hinterher eine richtige „Soljanka“ vor einem Wandgemälde des Malers Ronald Paris, das den Kommunismus lobt. Das „Museum in der Kulturbrauerei“ ist einfach nur langweilig.
Der Raum über den Alltag im Betrieb ist besonders ärgerlich, wenn man bedenkt, dass in diesen Räumlichkeiten einmal die Sammlung Industrielle Gestaltung der DDR – deren Kern der wertvolle Musterbestand des Amtes für Industrielle Formgestaltung bildete, heute heißt so etwas „Design“ – zu Hause war und ihre Schätze in durchaus sehenswerten Wechselausstellungen präsentierte. Dort konnte man lernen, dass auch die Ossis mit Messer und Gabel aßen und ihre Tassen gelegentlich Henkel hatten. Das geht natürlich nicht mehr… Also dominieren auch dort die hilflos peinlichen Wandzeitungen und ähnlicher Schrott bis hin zur Prägepresse für Abzeichen zur Ehrung verdienter sozialistischer Kollektive den in schummrigem Narva-Licht dahindämmernden Raum. Leider verbietet die Bundesemissionsschutzordnung das Einsprayen der Exposition und ihrer Besucher mit einem Duftgemisch aus Karbid, angebranntem Sauerkraut und Braunkohleabgasen. Weshalb die Wirtschaft dieses Sklavenhalterstaates bloß so lange durchgehalten hat? Die Kampfgruppenkalaschnikow war’s! Diesmal die Ausführung mit Trommelmagazin, die sieht martialischer aus und man kennt sie von den Fotos vom Mauerbau am Brandenburger Tor.
Um nicht missverstanden zu werden, ich will keine Geschichtsklitterung. Ich will kein geschöntes Bild dieses Landes, das vom eigenen Volk in die Aschetonne geschmissen wurde. Von einem Haus, das sich anmaßt, den Kammerton der Geschichtsinterpretation vorgeben zu wollen – noch dazu in opulentem Maße steuerfinanziert! – darf ich aber zumindest handwerkliche Qualität erwarten. Das hätte allerdings zweierlei zur Folge gehabt: Einerseits richtige Forschungs-Arbeit und Kreativität bei der gestalterischen Umsetzung und andererseits hätte man einräumen müssen, dass an diesem System DDR eben doch irgend etwas dran gewesen sein muss… Warum wollten eigentlich nicht alle 17 Millionen in den Westen abhauen?
Die Ausstellungsmacher werden sich ihren Kritikern gegenüber damit herausreden, dass sie ja nur „Aspekte der ostdeutschen Lebenswirklichkeit“ zeigen wollten und die Exponate Originale sind. Das stimmt, jedes einzelne Exponat ist ein wahres und erzählt eine Geschichte. Aber als große „Erzählung“ ist das alles einfach nur unsäglich dumm.
Hässliche Tapeten gab es übrigens im Westen auch. Zeitgleich. Schon vergessen?