von Bernhard Mankwald
Der Zweite Weltkrieg ist das Hauptthema der deutschen Nachkriegsliteratur, und alle Schriftsteller sind sich darüber einig, dass er schlecht war. Das leuchtet ein: Sie haben ihn ja verloren.
Glaubwürdiger sind in dieser Hinsicht also Autoren, die auf der Seite der Sieger standen. Stefan Heym etwa erlebte das Kriegsende als amerikanischer Soldat. Er ließ sich dann in der DDR nieder und charakterisierte unter anderem in seinem Buch „Der König David Bericht“ den Stalinismus im Spiegel einer historischen Handlung so treffend wie kaum ein zweiter. Die Zuneigung der neuen Sieger im Kalten Krieg brachte ihm das nicht ein. Die Missachtung, die Stefan Heym entgegenschlug, als der Deutsche Bundestag die seltene Ehre hatte, von ihm als Alterspräsident eröffnet zu werden, war eine Schande für das Parlament.
Ähnlich erging es Georg Kreisler. Er gehört als gebürtiger Österreicher ganz unbestreitbar auch zur deutschen Literatur im engeren Sinne. Als er nämlich noch nicht einmal 16 war, streckte das gefräßig gewordene Reich die Fänge nach seiner Heimat aus. Man drängte ihm einen deutschen Pass auf, um dann ein großes „J“ hineinzustempeln. Die Familie verstand die Drohung richtig und hatte auch hinlängliche Beziehungen, um in die Vereinigten Staaten einreisen zu dürfen. Kreisler resümierte später:
„Wer immer was anders will als die andern,
muß natürlich sein Bündel schnüren und wandern.“
In der Neuen Welt musste sich der junge Kreisler mit seinen musikalischen Fähigkeiten als Haupternährer der Familie bewähren. Er wurde Soldat und arrangierte musikalische Revuen für die Truppen. Wegen seiner Sprachkenntnisse wirkte er an Verhören der gefangenen Nazigrößen mit und fand diese jämmerlich. Er arbeitete auch für Charles Chaplin, der ein begabter Komponist war, aber keine Noten schreiben konnte.
Kreisler schrieb zunächst in englischer Sprache. Bereits 1947 nahm er ein Stück auf, dessen Hitpotential bis heute unerkannt blieb: „What are little girls made of“. Die Aufnahme wurde nicht veröffentlicht; den Grund dafür formulierte Kreisler später so: „mein Englisch ist bemänglisch“. Dies trifft sicher nicht auf Syntax und Wortwahl zu, wohl aber auf die seltsam lispelnde Intonation, die noch wenig von seiner späteren Stimmgewalt erahnen lässt.
Auf höchst amüsante Weise spielt Kreisler auf diese Vergangenheit im Stück „Die Musical-Probe“ an, in dem er sehr überzeugend den naiven Amerikaner gibt, der über die Zustände in der westdeutschen Unterhaltungsindustrie erschüttert ist, während seine Duettpartnerin Topsy Küppers eine ebenso bittere wie treffende Parodie auf die damals allgegenwärtige Marika Rökk beiträgt.
Was macht die Romantik, wenn ihr vor Entsetzen übel wird? Sie tarnt sich als Zynismus, wie etwa im Lobgesang auf das „Taubenvergiften im Park“. Oder sie flieht ins Unwirkliche, wie im Lied von den zwei alten Tanten, die mitten in der Nacht Tango tanzen. Dieses surreale Bild wird überlagert von den höchst realen Gefahren und Missständen der Weltlage – und nebenbei charakterisiert Kreisler die damaligen deutschen Zustände ebenso knapp wie treffend:
„In der Bundeshauptstadt Bonn am Rhein
fürchtet sich der Kommunist
sollt’ man etwas weiter östlich sein
fürchtet sich, wer keiner ist.“
Kreisler spielt meist täuschend einfach, beherrscht aber auch bombastische Etitüden mit virtuoser Brillanz. Die stilistische Bandbreite reicht vom gesamten klassischen Repertoire bis hin zum Swing; mit besonderer Freude entstellt er immer wieder die Wiener Folklore zur Kenntlichkeit. Hinzu kommt ein seltenes Gespür für den Zusammenklang zwischen Text und Musik; das Stück „Mein Sekretär“ etwa klingt tatsächlich so, als wäre es auf der Schreibmaschine komponiert worden.
Kreisler schrieb nicht nur Chansons; er schrieb ganze Soloopern als Klavierauszug wie etwa den umwerfenden „Opernboogie“. In einem dieser ausufernden Stücke, dem melancholischen „Unheilbar gesund“, gibt er in zwei Zeilen eine der gültigsten Definitionen der Utopie, die ich kenne:
„Was die Schwalben in Tunis tun,
warum soll nicht ein Huhn es tun?“
Aber auch äußerst knappe und dichte Lieder sind zu hören, wie etwa die Lebensreise in anderthalb Minuten „Fahrn s’ amal“. Das Leben macht die verlockendsten Angebote: mit der Straßenbahn ins Grüne zu fahren, ein zuckersüßes Madel zu lieben, mit einem Spezi in eine Wirtschaft zu gehen. Aber alles endet in Resignation und Enttäuschung, und am Ende klingt die Lockung eher wie eine Drohung: „Fahrn s’ amal!“
Also hörn s’ amal, hörn s’ amal, was dieser begnadete Lyriker, Komponist, Sänger und Pianist uns auch heute noch zu sagen hat. Es lohnt sich.
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