16. Jahrgang | Nummer 18 | 2. September 2013

Liebermanns Briefe in der Zeit seines Aufstiegs

von Hartmut Pätzke

Es ist erfreulich, nachdem wir den ersten Band der „Liebermann-Briefe“als den Beginn „eines großen Unternehmens “ vorstellten (Das Blättchen 24/2011), nun den zweiten Band der auf acht Bände angelegten Ausgabe der Briefe von und an Max Liebermann (1847-1935) besprechen zu können.. Auf 375 Seiten werden die Briefe der Jahre 1896-1901 in ihrer originalen Orthographie dargeboten, die französischsprachigen Briefe werden zusätzlich in der deutschen Übertragung von Claude Keisch mitgeteilt. Die Briefe werden mit beträchtlichen 1.844 Anmerkungen versehen, die sich in den Anhängen auf 1.955 erhöhen. Auf 200 Seiten können Anhänge und Verzeichnisse zum besseren Verständnis des Ganzen genutzt werden. Auf insgesamt über 50 Seiten werden zeitgenössische Texte zu und von Max Liebermann, aber auch zu Menzel und der ersten Secessionsausstellung 1899 in Berlin, aber auch zur berüchtigten Lex Heinze (1900) und die Kontroversen Julius Elias –, Max Liebermann und die Kontroverse Franz Grau (d.i. Paul Gurk) – Berliner Secession – Max Liebermann (1901) mitgeteilt, Sachverhalte, die in den Briefen meist nur gestreift werden. Die Literatur könnte um jüngst erschienene Monographien, besonders von Henrike Junge-Gent zu Alfred Lichtwark aus dem Deutschen Kunstverlag (2012) ergänzt werden.
Liebermann selbst hat nur sehr wenige Briefe aufbewahrt, die an ihn gerichtet waren. So erfährt der Leser überwiegend Gedanken, Meinungen und Forderungen des Künstlers selbst. Die Anreden Liebermanns, die „verehrter Herr…“, „hochgeehrter Herr …“, „sehr geehrter Herr …“ heißen, selten mit „lieber Herr …“ beginnen, sind Ausdruck von Distanz und Achtung. Das Du gilt, außer seinem Bruder Georg Liebermann (1844-1926), allein Walther Rathenau (1867-1922), seinem Cousin. Der erste Brief unter seiner neuen Adresse Pariser Platz 7 ist an den Landschaftsmaler und Kunstschriftsteller Otto Feld unter dem 5. Februar 1896 gerichtet.
458 Briefe sind wiedergegeben und verzeichnet. Der Herausgeber weist auf den Autographenhandel hin, vor allem auf Auktionen, in denen in den letzten Jahrzehnten Briefe an Max Liebermann aufgetaucht sind, deren voller Wortlaut weitgehend unbekannt geblieben ist, wie es auch nach den Gesetzen des Auktionshandels keine Auskünfte über den neuen beziehungsweise gegenwärtigen Eigner gibt.
Max Liebermann war ein emsiger Briefschreiber, dem es um den Verkauf und die Veröffentlichung seines Werkes, um seinen Ruf und seine Stellung im Kaiserlichen Deutschland und im europäischen Rahmen ging, wobei er Frankreich eine ganz außerordentliche Bedeutung beimaß. Relativ eng waren seine Beziehungen zu führenden Museumsleuten in Berlin und Hamburg, zu Wilhelm Bode und zu Alfred Lichtwark. Unter den Sammlern ragt Max Linde (1862-1940), anfänglich noch in Groß-Lichterfelde bei Berlin, dann in seiner Heimatstadt Lübeck, heraus. Den Kaufmann, Kunstsammler und -händler Albert Kollmann (1837-1915) in Hamburg, von dem er schrieb, dass dieser ihn zuerst auf seine Begabung für das Porträt aufmerksam gemacht habe, bemühte er mehrfach, um sein Haus am Pariser Platz mit gediegenen Biedermeiermöbeln einzurichten, auch beim Erwerb von Bilderrahmen war er ihm nützlich. Liebermann kümmerte sich auch um einen Bücherschrank für seine einzige Tochter Käthe. Beim Erwerb italienischer Möbel ist ihm Wilhelm Bode (1845-1929) hilfreich, worauf Liebermann bereits im ersten Brief an den „verehrten Herrn Geheimrath“ vom 4. Januar 1896 anspielt. Über ein halbes Dutzend Briefe richtet Liebermann in dem Jahr insgesamt an Bode. Als Briefempfänger nimmt Alfred Lichtwark 1896 nahezu den gleichen Rang ein. Im zweiten Brief, gerichtet an Theodor Wolff (1868-1943), Chefredakteur des Berliner Tageblatts, vom 6. Januar 1896 bittet er darum, mitzuteilen, dass er Ritter der Ehrenlegion geworden ist, nachdem aus seinem Namen zuvor der „Norweger Lie“ geworden war.
Der Brief vom 7. Januar1896 ist an Hans Rosenhagen (1858-1943) gerichtet, dem Vertrauten von Richard Muther (1860-1909), einem der bedeutendsten Kunsthistoriker der Zeit, der ein besonders hohes Verständnis für die zeitgenössische französische Kunst besaß, der von München nach Breslau an die Universität gewechselt war. Liebermann lädt beide in sein neues Atelier in der Bismarckstraße ein. Der erste Brief, der an Liebermann gerichtet ist, kommt von Jozef Israels (1824-1911), über den der Künstler bald eine kleine Monographie verfassen wird.
Im Jahr 1897 erhält Liebermann die „Große goldene Medaille“, deren Erhalt nur mit Zustimmung des Kaisers möglich war. Im Brief vom 9.Juni 1897 an Max Linde quittiert er das jedoch mit Gelassenheit. Gleichzeitig drückt er seine Verwunderung aus, dass auf der Großen Berliner Kunstausstellung nun die gleichen Bilder, die zwanzig Jahre zuvor „verlacht wurden“, auch „mit Gold aufgewogen“ werden. Es waren die Jahre der exklusiven Zeitschrift Pan, woran Liebermann mit Druckgraphik, Reproduktionen seiner Werke und 1898/99 mit einem Beitrag über Degas beteiligt war, dessen Partner in der neuen Redaktion der Kunsthistoriker Richard Graul (1862-1944) und der Schriftsteller und Lyriker Cäsar Flaischlen (1864-1920) waren. Das im Jahr 1897 entstandene „Bildnis Dr. Max Linde“ hat Liebermann in drei Briefen an Max Linde erörtert. Unter dem 3. Juli 1897 teilt er sogar mit: „sah Bode Ihr Conterfei im Atelier u. fand es eins meiner besten.“ Im Porträt, „Kollmann hat mich zuerst auf’s Porträt hingewiesen, als für meine Begabung am passendsten“, hatte der Maler Wünsche des Auftraggebers und dessen Familie zu berücksichtigen, wie der Briefwechsel mit Max Linde belegt. Betreffs des Bildnisses Dr. Max Linde bittet Liebermann in seinem Brief aus Laren bei Hilversum vom 14. Juli 1897, „seinem bevorzugten sommerlichen Aufenthaltsort, um vollste Offenheit“.
Liebermanns Briefe enthalten nicht wenige Bekenntnisse, die seinen Kampf für den Realismus nachhaltig bekräftigen. So bekennt er in einem Brief an den niederländischen Maler, Grafiker, Schriftsteller, Kunstkritiker und Universitätslehrer Jan Veth (1864-1925) vom 28. September 1897: „Die Natur ist Anfang und Ende aller Kunst; ein Maler, der nicht nach der Natur arbeitet, ist wie Einer, der in der Hochzeitsnacht onanirt!“ Am 7. Mai 1898 heißt es in einem Brief an den Worpsweder Maler Fritz Mackensen (1866-1953): „Das Gegenständliche ist immer noch die Hauptsache u für das, was den Künstler ausmacht, das eigenthümliche Sehn der Natur, fehlt den hiesigen Collegen durchaus der Sinn. Es ist traurig!“ Jedoch kann Liebermann recht kräftig auf Verhältnisse reagieren. Vom Streit mit der Berliner Secession schreibt er am 9. September 1898 an Hugo von Tschudi (1851-1911), Direktor der Nationalgalerie, angesichts einer schlechten Platzierung im Münchner Glaspalast: „Ich werde mirs merken: in Zukunft kümmere ich mich um nichts als um – mich.“ Liebermann achtet außerordentlich auf seine Stellung in der Öffentlichkeit. So bricht er die freundschaftliche Beziehung zu dem Kunstkritiker Julius Elias (1861-1927) eine Weile ab, nachdem sich dieser abträglich über seine Kunst geäußert hat. Da Liebermann bewusst war, wie sehr sich Elias zuvor für ihn eingesetzt hatte, war er an einer Wiederaufnahme der Beziehungen interessiert.
In seinem Dank an Institutionen und Personen, „worin die Danklisten aus Band 1 verlängert“ werden, betont der Herausgeber Ernst Braun noch einmal: „Eine solche Veröffentlichung ist nur als Gemeinschaftsarbeit zu denken.“ Die Briefe der verbleibenden 34 Jahre bis zum Tode Max Liebermanns werden in sechs Bänden erscheinen. Es kann angenommen werden, dass jeder Band, wie auch der vorliegende, etwa fünf, allenfalls sechs Jahre umfassen wird – überschaubare Zeiträume.
Die „Besonderheiten“ der Briefausgabe, so ist aus den „Editorischen Hinweisen“ zu erfahren, sind daraus zu erklären, „dass parallel zur Buchausgabe die Briefe in einer Datenbank erfasst werden. Diese Datenbank soll zukünftig um später erreichbare Briefe ergänzt und für Abfragezwecke von Liebermann-Forschern und -Interessenten genutzt werden. Standort dieser Datenbank wird die Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin e.V. sein.
In der Zeittafel zum Jahr 1897 ist der Satz vom 26. Mai an Lichtwark versehentlich nicht zu Ende mitgeteilt. Es muss heißen: „Ich war die letzte Woche in Lübeck, wo ich Herrn Dr (nun folgt der Schluß) Linde gemalt habe.“ Richard Graul ist in den Personendaten in diesem Zeitraum irrtümlich als Direktor des Städtischen Museums in Leipzig aufgeführt. Wie dem Großen Brockhaus von 1930 zu entnehmen ist, war der Kunsthistoriker von 1896-1929 Direktor des Kunstgewerbemuseums, zu dessen Amtsantritt ihm Liebermann unter dem 8. Juli 1896 aus dem Kurhaus Sankt Blasien im Schwarzwald „herzlichst“ gratulierte. Erst 1924-29 war Graul „gleichzeitig Direktor des städt. Museums in Leipzig“.
Ernst Volker Braun bereitet den dritten Band der „Max Liebermann Briefe“ emsig vor. Es bleibt zu wünschen, dass ihm nach Möglichkeit Kenntnis von Briefen gegeben wird, von deren Existenz er bisher nichts weiß, so dass sie in das „große Unternehmen“ aufgenommen werden können.

Max Liebermann: Briefe 1896-1901, Deutscher Wissenschafts-Verlag, Baden-Baden 2012, 579 Seiten, 39,90 Euro.