von Axel Fair-Schulz, Potsdam, N. Y.
Sie investierten sehr viel Geld, um Mitt Romney an die Macht zu bringen. Die ultra-rechten Milliardäre im Dunstkreis der Koch-Gebrüder und Sheldon Adelsons erklärten ziemlich offen den Klassenkrieg und versuchten, Obama mit ihren riesigen Vermögen das Wasser abzugraben. Einer ihrer Mitverschwörer, der sich gerade in Florida als persönliche Residenz den Palastkomplex von Versailles nachbauen lassende David Siegel, ließ den Beschäftigten seines Konzerns gar mitteilen, dass jedwede Stimmenabgabe zugunsten Obamas mit dem Verlust der Arbeitsplatzes hätte geahndet werden können.
Die schiere Intensität des Hasses dieser Oligarchen auf Obama ist erschreckend – und verwunderlich. Denn Obama, obgleich von ihnen immer wieder als „Sozialist“ verteufelt, hat sich längst als beflissener Erfüllungsgehilfe der Interessen eben dieser Milliardäre erwiesen. Hier und da lässt Obama zwar einige progressive Gedankensplitter in seine Redemanuskripte einfließen, doch der Abstand zwischen Rhetorik und eigentlicher Politik ist abgrundtief. Und dies hat nicht nur mit den persönlichen Unzulänglichkeiten des US-Präsidenten zu tun, sondern in erster Linie mit den Strukturen im amerikanischen Politik-Betrieb.
Dass der herrschenden Wirtschafts- und Finanzelite demokratische Grundrechte ein Dorn im Auge sind, ist gewiss keine neue Erkenntnis. Und doch ist man immer wieder erstaunt, mit welcher Dreistigkeit und kaltblütigen Berechnung die obersten Zehntausend ihren Großangriff auf die Demokratie führen. Die Crème de la Crème der Machtelite wurde am 25. Juli 2012 von Amerikas einzigem offen sozialistischen Senator, Bernie Sanders aus dem Bundesstaat Vermont, als illustre Gruppe von insgesamt sechsundzwanzig Milliardären definiert. Diese Herren verfügen über ein Gesamtvermögen von einhundertsechsundvierzig Milliarden US-Dollar – das ist mehr, als fünfzig Millionen amerikanische Familien ihr Eigen nennen.
In den USA ist dieser Kamarilla im Januar 2010 ein in all seinen Konsequenzen noch gar nicht voll überschaubarer Durchbruch gelungen. Der Oberste Gerichtshof, dominiert von turbo-kapitalistischen Ideologen, hob die bis dahin geltenden Schranken für das große Geld auf, den politischen Prozess mit ihren Milliarden noch massiver zu verzerren und zu manipulieren. Die rechts-konservative Mehrheit der Richter befand, dass Konzernen der juristische Status von Persönlichkeiten zusteht und diese daher unbegrenzte Geldmengen mobilisieren dürfen, um sich die ihnen gefallenden Politiker zu kaufen. Damit setzten die Richter die von der Verfassung geschützte Meinungsfreiheit von Einzelpersonen juristisch mit dem Geld von Konzernen gleich. Als Folge sind nun alle Anstrengungen, den Einfluss des großen Geldes in der Politik zu begrenzen, als verfassungsfeindliche Versuche diskreditiert, die Meinungsfreiheit einschränken zu wollen. So brach der seit dem Tillman Act von 1907 stufenweise ausgebaute und besonders seit dem Watergate-Skandal Mitte der 1970er Jahre immer wieder nachgebesserte Damm, der das amerikanische politische System vor Überflutung durch das Geld der Superreichen schützen sollte. Amerikas Oberster Gerichtshof hatte am 21. Januar 2010 den Fall Citizens United versus Federal Election Commission verhandelt und in seiner Mehrheit dafür gestimmt, die über hundertjährige Tradition der – relativen – Begrenzung des Einflusses des großen Geldes im Politikbetrieb über Bord zu werfen.
Sinn und Zweck der bisherigen Regelungen war es, Politiker dazu zu animieren, ihre Wahlkampfkassen durch Spenden möglichst vieler Unterstützer füllen zu lassen. Dafür sorgte vor allem die finanzielle Obergrenze von 2.500 Dollar, die ein amerikanischer Staatsbürger pro Person einem Politiker spenden darf. Durch diese Obergrenze sollte sichergestellt werden, dass Politiker die Interessen möglichst vieler Unterstützer berücksichtigen müssen und eben nicht nur die der Konzerne und superreicher Geldgeber.
Die Kehrtwende des Obersten Gerichtshofes zu Gunsten der Milliardäre bereitete den unsäglichen PACs und Super-PACs den Weg. Diese sogenannten Political Action Committees ermöglichen es dem großen Geld heute de facto, unbegrenzte finanzielle Ressourcen einzusetzen, um den politischen Prozess zu manipulieren. Inzwischen ist es so, dass ohne die massive finanzielle Unterstützung seitens der superreichen Elite kein Wahlkampf mehr zu gewinnen ist. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes von 2010 führte zur Entwicklung von Independent Expenditure Only Committees, im Volksmund auch Super-PACs genannt. Konzerne und wohlhabende Einzelpersonen können ein Super-PAC gründen und mittels dieser Organisation formell unabhängig von politischen Wahlkampf-Teams gefällige Politiker mit unbegrenzten Mitteln unterstützen oder aber durch das Finanzieren von negativen Werbespots (attack ads) in Fernsehen und Radio nicht gefällige Politiker systematisch verleumden und demontieren.
Obama verurteilte den fatalen Richterspruch des Obersten Gerichtshofes mehrmals öffentlich als zutiefst demokratiefeindlich, und – wie so oft schon in seiner bisherigen Amtszeit – beließ er es bei wohlklingenden Worten. Bei allen bisherigen Versuchen, gegen Citizens United Front zu machen, glänzte Obama durch Abwesenheit.
Nun wäre es vielleicht naheliegend darauf hinzuweisen, dass die Koch-Gebrüder, deren Vermögen auf über Siebenundsiebzig Milliarden Dollar geschätzt wird, trotz aller Anstrengungen weder Obama aus den Sattel noch ihren Wunschkandidaten Mitt Romney in denselben hieven konnten. Charles und David Koch und ihre Milliardärskollegen unterstützten mit ihren riesigen Vermögen Obama-feindliche Super-PACs wie American Crossroads (mit 40 Millionen US-Dollar), Americans for Prosperity (22 Millionen), Restore Our Future (82 Millionen), American Future Fund (23 Millionen), Winning Our Future (24 Millionen), Crossroads GPS (28 Millionen), Americans for Job Security (12 Millionen) und die berüchtigte US Chamber of Commerce (200 Millionen). Obama tat sein Bestes, um seinerseits superreiche Spender auf seine Seite zu ziehen. Mit Super-PACs wie League of Conservation Voters (19 Millionen), Priorities USA Action (21 Millionen) und AFSME (160 Millionen) zog er in den Wahlkampf und gewann, obgleich weniger gut finanziert als Romney.
Haben also diejenigen recht, die aus Obamas Wahlsieg schlussfolgerten, dass die Macht des großen Geldes am Ende gar nicht so groß ist? Der bekannte progressive Journalist John Nichols vom Nation-Magazin und Robert McChesney, Kommunikationswissenschaftler an der University of Illinois at Urbana-Champaign, veröffentlichten kürzlich ein ebenso faszinierendes wie verstörendes Buch mit dem hintersinnigen Titel Dollarocracy. McChesney und Nichols zeigen an Hand zahlreicher Belege, wie es zwischen 2008 und 2012 zu einer Verdoppelung der Rolle des großen Geldes in Wahlkampfzeiten kam. Die Geldquellen sind zunehmend undurchsichtig und werden hauptsächlich zur systematischen Desinformation der Bevölkerung eingesetzt. Zugleich haben sich die Konzernmedien längst von einer auch nur annähernd problembezogenen und Politiker-Behauptungen nachprüfenden Berichterstattung verabschiedet und präsentieren Wahlkämpfe quasi wie unterhaltsame Sportereignisse. Auch Obama selbst war 2012 wesentlich mehr noch als 2008 auf die Spenden von Milliardären angewiesen. Und obgleich das Romney-Lager am Ende ihre Gesamtwahlkampf-Kriegskasse praller füllen konnte, so setzten Obama und sein Team ihr Geld effektiver ein. Ohne dieses Geld aber wären sie verloren gewesen.
Die rechten Milliardäre sehen Romneys Niederlage nicht als Sieg über ihre Investitionen ins Politikgeschäft, sondern als einen zeitlichen begrenzten Rückschlag auf dem Weg zum Sieg auf der ganzen Linie. The Progressive zitierte in seiner Mai-Ausgabe den Casino-Milliardär Sheldon Adelson: „Ich weine nicht, wenn ich mal verliere.“ Und – gemäß dem Motto „nach der Wahl ist vor der Wahl“: „Langfristig gesehen werden wir sowieso gewinnen.“ Adelson bezog sich da nicht nur auf die kommende Präsidentschaftswahl 2016, sondern auch auf den Tatbestand, dass er und seine Milliardärsriege ihr Augenmerk (und ihre Gelder) ja nicht nur auf Washington richten, sondern auch auf zahllose regionale und lokale Wahlkämpfe. Im Bundesstaat Michigan beispielsweise investierte der in Nevada lebende Adelson fünf Millionen Dollar, um eine gewerkschaftsfreundliche Volksbefragung negativ zu beeinflussen. So konnten Adelson und Co. der Gewerkschaftsbewegung in Michigan und auch anderenorts empfindliche Niederlagen bereiten. Die jüngste Bürgermeisterwahl von San Diego verschlang allein zwanzig Millionen US-Dollar und ein einziger Sitz im Stadtrat von San Jose kostete 2012 eine halbe Million. Kein Wunder, dass sich dort die Wunschkandidaten von Adelson durchsetzten. Nichols und McChesney zeigen in ihrem Buch, dass es dem großen Geld nicht nur auf eine Wahl ankommt. Die Money Power sei immer und überall präsent und definiere daher das Gesamtsystem.
Während Obama es bei durchaus richtigen und guten Worten belässt, arbeiten links von ihm stehende Politiker an spezifischen Lösungen, um der Demokratie zu ihrem Recht zu verhelfen. Der bereits erwähnte Senator Bernie Sanders aus Vermont sowie der Abgeordnete Ted Deutch aus Florida entwickelten eine Gesetzesvorlage, um Transparenz in das System von undurchsichtigen Parteispenden zu bringen. Diese Gesetzesvorlage, treffend als Democracy Is for People tituliert, findet zunehmend Unterstützung innerhalb und außerhalb Washingtons. So bemerkte Robert Weissman, Präsident der Bürgerrechtsgruppe Public Citizen, lakonisch: „Democracy is rule by the people, after all, not rule by Goldman Sachs, Walmart, and the U.S. Chamber of Commerce.“ Demokratie bedeutet Volksherrschaft und nicht Herrschaft der Konzerne und Milliardäre.
Schlagwörter: Axel Fair-Schulz, Demokratie, Korruption, Milliardäre, Obama, USA