16. Jahrgang | Nummer 10 | 13. Mai 2013

Daumier bei Liebermann in Berlin

von Hartmut Pätzke

Honoré Daumier (1808-1879) ist in das Liebermann-Haus in am Pariser Platz zurückgekehrt. Max Liebermann (1847-1935), der das elterliche Haus am Pariser Platz nach Studienjahren in Paris mit seiner Familie seit 1890 nutzte, war nicht nur ein äußerst erfolgreicher Maler und Graphiker, er war auch Sammler von Werken der Kunst, die er besonders schätzte, Werken von Menzel, Rembrandt, Manet, Monet, Cézanne, Degas. Den höchsten Rang aber, den größten Umfang in seiner Sammlung hatten 3000 Lithographien, 13 Handzeichnungen und ein Bild von Honoré Daumier. Im Tausch gegen eigene Bilder erwarb er vieles von Eduard Fuchs (1870-1940), der 1914 insgesamt 17 Werke von Liebermann, darunter 14 Ölbilder, besaß, die er hauptsächlich wohl im Tausch gegen Daumier-Werke hat an sich bringen können. Fuchs besaß, wie Paul Westheim 1926 im Kunstblatt mitteilte, „eine fast lückenlose Folge von Daumier-Lithographien von 6000 Blättern…“. Er war einer der großen Sammler Berlins und hat bei Albert Langen in München seit 1918 sowohl für den Graphiker und Karikaturisten als auch für den Maler Daumier grundlegende Werke herausgegeben. Fuchs wird in einer Tischvitrine innerhalb der zweigeschossigen Ausstellung und in einem Text von Ulrich Weitz im Katalog kurz vorgestellt. Walter Benjamin hat 1937 seinen Text Eduard Fuchs, der Sammler und der Historiker in der Zeitschrift des Instituts für Sozialforschung publiziert: Wie mir die Bildhauerin Tisa von der Schulenburg, Frau von Fritz Hess in einem Brief vom 1. April 1987, aus Dorsten mitteilte, hat sie Eduard Fuchs „in der Nacht n.d. Reichstagsbrand“ in ihrem Atelier versteckt. „…Am Morgen danach brachte er (Fritz Hess H.P.) Fuchs nach Jüterbog, wo jener den Dzug nach Süddeutschland nahm. Dort verbarg er sich für ein paar Wochen u. ging dann heimlich über die Grenze nach Frankreich.“
Um die Ausstellung zustande zu bringen, wurden drei Jahre benötigt. Leihgaben kommen aus zahlreichen deutschen Museen und Sammlungen, aber vor allem auch aus Frankreich und aus den USA. Ganz besonders hervorzuheben ist die Arbeit des Kurators Claude Keisch, dem auch der Essay „…ungeheuer!“ – Daumier ungeteilt und die Beschreibung  der einzelnen Werke im Katalog zu verdanken ist, stets kenntnisreich, kritisch und vorsichtig abwägend im Urteil, auch nicht Gesichertes nennend. Daumier wird als Lithograph, als Zeichner, Maler und Plastiker vorgestellt. Es ist sowohl das Verdienst der Ausstellung, Daumier seit 1926 in der Galerie Matthiesen erstmals wieder umfassend in Berlin zu präsentieren als auch gesellschaftlich, in seiner Sammlungs- und Wirkungsgeschichte seit 1900 darzustellen und kunsthistorisch den Versuch zu machen, sein Werk motivisch zu gliedern, wozu Claude Keisch große Überschriften anbietet, wie: „Narrenhaus der Julimonarchie“, „Die Zweite Republik. Politische Graphik 1848-1851“, „Im Zwielicht der Stadt“, „Siècle de prose – Schilderer des modernen Lebens“, „Der Maler, sein Werk, sein Publikum“, „Fiktionen“, „Die Ausgestoßenen“, Gaukler, Flüchtende“, „Varianten des Zeichnens“, „Metaphern der Trauer, des Zorns. Späte politische Graphik“ und „Der Künstler. Die graphische Praxis“. Den großen Daumier-Sammlern Deutschlands wird Beachtung geschenkt, zu denen vor allem Otto Gerstenberg in Berlin gehörte, Generaldirektor der Victoria-Versicherung, aus dessen früherer Sammlung im Grunewald Beachtliches zu sehen ist.
Den ersten Essay des Kataloges: „Das Erhabene von unten“ schrieb Werner Hofmann, der in Wien 1950, nach einem Aufenthalt in Paris „Zu Daumiers graphischer Gestaltungsweise“ promoviert hat. Der Essay ist die letzte Veröffentlichung von Werner Hofmann (1928-2013), der als Direktor der Hamburger Kunsthalle mit vielen bahnbrechenden Ausstellungen zur Kunst des 19. Jahrhunderts hervorgetreten ist. Zur Ausstellungseröffnung am 1. März hatte er nicht mehr kommen können. Der Konferenztag am 20. April 2013 der Stiftung „Brandenburger Tor“, in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris, wurde von Monika Grütters, der aktiven Direktorin der Stiftung, eröffnet und war dem Gedenken an Werner Hofmann gewidmet. Claude Keisch gedachte in seiner „Einführung in die Ausstellung“ des „Bahnbrechers der Kunstgeschichte“, als den ihn Willibald Sauerländer in der „Süddeutschen Zeitung“ bezeichnet hatte. Während die Lithographien, die der Künstler vor allem für „La Caricature“ (1830-1835) und für „Le Charivari“ seit 1832 für den republikanischen Verleger Charles Philipon schuf, zeitlich klar einzuordnen sind, trifft das für die Zeichnungen und Gemälde des Künstlers nur ausnahmsweise zu. Die Lithographien kommen überwiegend von der Honoré-Daumier-Gesellschaft. Die Ölbilder faszinieren in ihrem kleinen Format und mit ihrer Ausdruckskraft. Unter den Ölbildern, sämtlich Leihgaben aus zahlreichen Sammlungen des In- und Auslandes, ist auf sechs Ölbilder wegen ihrer Herkunft besonders hinzuweisen: „Der Maler vor seinem Werk“, heute in Williamstown, The Sterling and Francine Clark Art Institute, ehemals Sammlung Max Liebermann, auf „Unterhaltung im Atelier“, heute Hammer Museum, Los Angeles, auf „Pierrot und Scapin“, dessen heutiger Besitzer unbekannt ist, im Katalog abgebildet, auf „Der Maler: Die Grablegung“, signiert, auf „Frau mit einem Kind auf dem Arm“, monogrammiert, Privatsammlung (courtesy Nathan Fine Art GmbH, Berlin/Zürich) und auf „Unterhaltung im Atelier“, Hammer Museum Los Angeles, die zur Sammlung Eduard Fuchs, Berlin-Zehlendorf, gehörten.
Schade, dass auch nicht einmal anklingt, dass unter den Sammlern der Werke Daumiers in den dreißiger Jahren, unterstützt von Dr. Wolfgang Balzer (1884-1965), zu der Zeit Direktor des Kunstgewerbemuseums in Dresden, ein Arbeiter war: Gerhart Ziller (1912-1957), Verfolgter des Naziregimes. Seinen „Daumier“ hat er 1947 in der Reihe der Künstlermonographien im Sachsenverlag in Dresden veröffentlicht, in dessen einleitendem Text Herausgeber Will Grohmann am Schluss formulierte: „Die Künstlermonographien des Sachsenverlags gehen unter der Flagge Daumiers in die Welt und werden sich bemühen, ihrer Zeit in der gleichen Weise zu dienen wie dieser große Künstler und Vorkämpfer der Demokratie.“ In das Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, unter der Leitung von Werner Schmidt, gelangten 1983 „100 Steindrucke von Honoré Daumier aus der Sammlung Gerhart Ziller“ die dieser schon als 20-jähriger Arbeiter gesammelt hatte. Er stand auch in der Tradition des von den Nazis hingerichteten Erich Knauf (1895-1944), der seine „Daumier“- Monographie in der Büchergilde Gutenberg 1931 Eduard Fuchs gewidmet hatte „ihm verdankt die Gegenwart die Bekanntschaft mit Daumier“.
Zu verweisen wäre gesondert auf „Daumier & Heartfield. Politische Satire im Dialog“, worauf Roland März 1981 in einer Studio-Ausstellung im Alten Museum aufmerksam gemacht hat. Fuchs hat Heartfield nicht nur mit Daumier bekannt gemacht, er hat ihm auch die Flucht von der Tschechoslowakei nach Großbritannien ermöglicht.
Die Ausstellung ist bis zum 2. Juni 2013 zu sehen. Zu empfehlen ist darüber hinaus auch die Ausstellung Max Liebermann und Frankreich (mit Katalog) in der Liebermann-Villa am Wannsee bis zum 12. August 2013.

„Daumier ist ungeheuer!“ Max Liebermann. Gemälde, Zeichnungen, Graphik, Bronzen von Honoré Daumier. Herausgegeben von der Stiftung Brandenburger Tor. Mit Beiträgen von Werner Hofmann, Claude Keisch, Catherine Krahmer, Isabel Kranz, Hans-Jürgen Lechtreck, Margreet Nouwen, Stefan Pucks, Judith Wechsler, Ulrich Weitz. 2013 Nicolaische Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin. 254 Seiten. Preis des Kataloges: 29 Euro, an der Kasse des Liebermann-Hauses.