16. Jahrgang | Nummer 9 | 29. April 2013

(Keine) Alternative für Deutschland

von Fritz E. Gericke

Eine neue Partei, die Alternative für Deutschland (AfD), ist angetreten um die, „verkrusteten und verbrauchten“ Parteien abzulösen. Ich habe mir vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte die AFD etwas genauer betrachtet.
Die Satzung ähnelt weitgehend anderen Partei- und Vereinssatzungen. Bestimmte Elemente sind dafür ohnehin vorgegeben. So heißt es unter dem Hauptpunkt Mitgliedschaft:
„(2) Die gleichzeitige Mitgliedschaft in der Partei und in einer konkurrierenden Partei ist grundsätzlich ausgeschlossen. Ausnahmen beschließt der Bundesvorstand.“
Und weiter:
„(3) Personen, die Mitglied einer Organisation sind, welche durch deutsche Sicherheitsorgane als extremistisch eingestuft wird oder die Mitglied einer Organisation waren, welche zum Zeitpunkt der Mitgliedschaft durch deutsche Sicherheitsorgane als extremistisch eingestuft wurde, ohne dass diese Einschätzung rechtskräftig von den Gerichten aufgehoben ist, können nur Mitglied der Partei werden, wenn sie darüber im Aufnahmeantrag Auskunft geben und der Bundesvorstand sich nach Einzelfallprüfung für die Aufnahme entschieden hat.
(4) Verschweigt ein Mitglied bei seiner Aufnahme in die Partei eine laufende oder ehemalige Mitgliedschaft in einer nach Abs. 3 als extremistisch eingestuften Organisation oder leugnet diese, kann der Bundesvorstand die Mitgliedschaft mit sofortiger Wirkung aufheben.“
Dass die Mitgliedschaft in einer konkurrierenden Partei ausgeschlossen wird, entspricht den Gepflogenheiten aller Parteien. Dass der Bundesvorstand Ausnahmen zulassen kann, ist ein Sonderfall und gibt Anlass zum Nachdenken. Ein „vielleicht doch“ schafft zweierlei Recht. Der Bundesvorstand wird hier ermächtigt, sich über eine grundsätzliche Entscheidung mehrheitlich hinwegzusetzen. Wer Basisdemokratie will, kann diesem Passus der Satzung nicht zustimmen. Eine Änderung ist jedoch nur noch mit Zweidrittel-Mehrheit möglich.
Noch interessanter wird der Punkt Mitgliedschaft in Absatz 3, wo es um die Mitgliedschaft in einer Organisation geht, die von Verfassungsorganen als extremistisch eingestuft wird oder wurde. Danach können Bewerber aus dem rechtsextremen Milieu Mitglied der AfD werden, wenn sie dies im Aufnahmeantrag ausdrücklich angeben. Wenn das Mitglied dies versäumt oder leugnet, kann der Bundesvorstand den Ausschluss beschließen. Er kann, er muss nicht. Die Mitgliedschaft in einer solchen Organisation führt also nicht automatisch zum Ausschluss, ja wird nicht einmal von den Mitgliedern beschlossen, sondern einzig und allein vom Vorstand. Auch dieser Punkt ist nur noch mit einer Zweidrittel-Mehrheit abzuändern. Das sieht weder nach innerparteilicher Demokratie aus, auch wenn in einem späteren Punkt der Satzung die Urabstimmung unter den Mitgliedern ausdrücklich erwähnt wird, noch nach einer gezielten Abgrenzung von rechtsextremem Gedankengut. Damit ist nicht gesagt, dass die AfD rechtslastig oder rechtsextrem ist, die Satzung lässt aber die Tür dafür offen.
Hinzu kommt, dass die „die Demokratie“ immer wieder betonende Satzung autoritäre Vorgaben enthält. So heißt es unter Paragraph 5, Mitgliedspflichten: „Die Mitglieder müssen sicherstellen, dass elektronische Nachrichten der Partei von ihnen in angemessener Frist zur Kenntnis genommen werden.“
Noch interessanter klingt das Parteiprogramm. Da steht als erster Satz, dass die Alternative für Deutschland sich für „Respekt vor dem Recht und dem gegebenen Wort“ einsetzt. Dieser Passus hat die Programmgestalter jedoch nicht gehindert, im Absatz Europapolitik festzuschreiben: „Wir fordern Gesetzgebungskompetenzen zurück zu den nationalen Parlamenten zu verlagern. Über Glühbirnen und Gurkenkrümmungen kann der Bundestag alleine entscheiden.“
Verträge und Vereinbarungen sind gegebenes Wort. Die AfD fordert gegebenes Wort zurück. Überrascht hat mich auch nachstehender Satz: „Wir fordern, dass die Politik sich dem Einfluss von Lobby-Gruppen entzieht, und einen bürgernahen Vorschlag – bspw. den Kirchhof’schen Steuerreformvorschlag – umsetzt.“
Das ist nun sehr delikat. Denn eines Ihrer Förder- oder Gründungsmitglieder ist ein geradezu glühender Verfechter des Lobbyismus. Hans-Olaf Henkel schrieb zum „Handbuch für Lobbyisten“ das Vorwort. Das ganze Buch strotzt nur so von Vorschlägen, wie man Abgeordnete, Ministerialbeamte, ja ganze Regierungen unter Druck setzen und gegeneinander ausspielen kann, um die Interessen eines Verbandes, einer Organisation oder eines Unternehmens durchzusetzen. Verlegt wurde das Buch vom „Institut für Management, Markt und Medieninformation“, einem Kind der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die – nun wohl nicht so überraschend – in der Gründungsgruppe der AfD mit Thomas Adam, einem langjährigen Mitarbeiter, als vorläufigem Parteivorsitzenden entscheidenden Einfluss auf die Ausrichtung der AfD nehmen kann.
Das „Handbuch für Lobbyisten“ bewegt sich, auch unter Berücksichtigung der Rede- und Pressefreiheit, am Rande der Legalität und überschreitet diese mit unverschleierten Anweisungen zur Erpressung: „Die Kunst besteht darin herauszufinden, wo es Dissenslinien zwischen der Exekutive und den Regierungsfraktionen gibt. Wird der Standpunkt des Lobbyisten von der Regierungsfraktion unterstützt, kann die eigene Regierung über die Fraktion unter Druck gesetzt werden und umgekehrt.“
Henkel, der dieses Buch mit seinem Namen geadelt hat, war ein erfolgreicher Manager, er hat sich um die deutsche Wirtschaft verdient gemacht, dafür sei ihm Anerkennung gezollt. Aber er ist ein Alphatier, eine Bezeichnung die ihm sicher schmeichelt und ihn nicht kränkt, und er ist wahrscheinlich ein ähnlich in der Wolle gefärbter Demokrat wie Wladimir Putin. Die programmatische Forderung, die Politik soll sich dem Einfluss der Lobby-Gruppen entziehen, klingt da wie die Forderung des Schlachthofdirektors, Bürger sollten sich von Metzgereien fernhalten.
Doch zurück zur AfD. Sie fordert unter dem Punkt Bildung, „bundesweit einheitliche Bildungsstandards orientiert an den besten Schulsystemen Deutschlands“. Welches Schulsystem ist denn das Beste? Da ist kein bildungspolitisches Ziel zu erkennen. Weitere Beispiele derartiger programmatischer Unschärfen ließen sich anfügen.
Welches Gedankengut hinter der Alternative für Deutschland steht, wurde in jüngster Zeit anlässlich diverser Talkshowauftritte Henkels – in Wort und Bild auch auf Youtube vorrätig – deutlich, bei denen er darüber sprach, dass der Euro Europa spalte. Bei diesen Gelegenheiten plädierte er gleich dafür, diese Spaltung zielgerichtet zu vertiefen. Auf der einen, der nördlichen Seite, stünden nämlich die wirtschaftlich potenten, die soliden Euro-Staaten – neben Deutschland seien dies Österreich, die Niederlande und Finnland. Auf der südlichen Seite gruppiere sich der krieselnde Rest, der die Euro-Zone auf den Abgrund zutreibe, insbesondere Frankreich, Spanien, Portugal, Italien, Griechenland und Zypern. Und deshalb plädiert Henkel für eine Art ALDIsierung der Euro-Zone: Man sollte sie aufspalten in einen Nord-Euro und einen Süd-Euro, um die Gesunden von den anderen abzukoppeln. Dass Henkel bei diesen konzeptionellen Ausführungen den Europa-Begriff auf die Euro-Zone verkürzte und damit Bulgarien, Estland, Großbritannien, Irland, Kroatien, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und andere zur quantité négliable degradierte, sollte man bei einem wie Henkel im Übrigen nicht als lapsus linguae passieren lassen, sondern dahinter eher Programm befürchten.
Warum diese ganze Auseinandersetzung mit einem möglicherweise unbedeutenden Versuch, vermittels einer zusätzlichen Partei spezifische Interessen zu transportieren? Die Alternative für Deutschland ist nicht rechtsextrem im engen Sinn; sie ist reaktionär, dabei nicht klassisch konservativ. Und darin liegt die eigentliche Gefahr. In der Weimarer Republik waren es reaktionäre Kräfte, die Hitler den Weg bereiteten. Satzung, Programm und Tonfall der AfD und solcher Konfidenten wie Henkel lassen höchst ungute Erinnerungen aufkommen.
Auch wenn die repräsentative parlamentarische Demokratie viele Schwächen aufweist, so ist sie doch tausendmal besser als autoritäre Systeme, die als drohende Gefahr zumeist „links“ verortet werden. Nicht nur die linken Parteien in Deutschland sollten daher den Kampf zur Verteidigung der Demokratie in der Bundesrepublik verstärkt weiterführen, sondern alle demokratischen Kräfte sind dazu gefordert. Wenn das XX. Jahrhundert eines gelehrt hat, dann: Wehret den Anfängen!