16. Jahrgang | Nummer 5 | 4. März 2013

„… der Kommunisten Hofdichter“

von Wolfgang Brauer

Der Karlsruher Literaturwissenschaftler Jan Knopf gehört derzeit wohl zu den profundesten Kennern des Lebens und des Werkes des aus Augsburg stammenden, mit einem österreichischen Paß in Ost-Berlin lebenden Dichters, Dramatikers und großen Rauchers Bertolt Brecht. Er ist Herausgeber des fünfbändigen Brecht-Handbuches (2001-2003) und Mitherausgeber der „Großen kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe der Werke Brechts in 30 Bänden“ (1985-1998). Bereits im Jahre 2000 legte Knopf bei Reclam in Stuttgart eine erste Brecht-Biographie vor. Jetzt erschien bei Hanser sein neues voluminöses – wir sagen es ohne jede Ironie: respekterheischendes Werk über die Brecht’sche „Lebenskunst in finsteren Zeiten“. Der Autor benennt am Ende des Bandes sein wichtigstes Arbeitsprinzip: Seine Hauptaufgabe habe darin bestanden wegzulassen.
Das ist ihm nicht ganz gelungen. Dass Brecht im Mai 1929 in St. Cyr sich infolge eines Autounfalles mit seinem „Steyr“ die Kniescheibe lädierte, ist ja eine ganz nette Geschichte, aber denn doch eher etwas für das fünfbändige Handbuch. Und ich meine, nicht jedes Detail seiner Sex-Geschichten muss unbedingt in eine Biographie, die den wahnwitzigen Versuch unternimmt, sowohl einem poetischen Jahrhundertwerk als auch einem Lebenslauf gerecht zu werden, der seinen Protagonisten einmal rund um den Erdball jagte, oftmals im wahrsten Sinne des Wortes bevor die Tür des lebensrettenden „Hinterausganges“ endgültig zuschlug. Wie gesagt, manches Kapitel kommt recht geschwätzig – genau das wirft der Autor ausgerechnet den Monologen der Courage vor – daher. Anderes raubt beim Lesen den Atem.
Die Abschnitte über Margarete Steffin bespielsweise gehören dazu. Gerade die Steffin-Geschichte ist ein schöner, von Knopf sehr sensibel erzählter Beleg für die Unrichtigkeit so mancher Behauptung eines womanizerhaften Umganges Brechts mit seinen Mitarbeiterinnen, die wohl auch immer irgendwie Geliebte waren. Überhaupt gehört die Darstellung der Exiljahre und die Auseinandersetzung mit den Brechtschen Positionen und dem in jener Zeit entstehenden Werk zu den unbedingt lesenswerten Abschnitten des Buches. Das betrifft auch die Schilderung der Entstehung des Frühwerkes und der schwierigen Annäherung Bertolt Brechts an die Kommunisten der Weimarer Republik. „Der Kommunisten Hofdichter“, so zitiert Knopf einen der auf Bertolt Brecht und Helene Weigel angesetzten FBI-Spitzel J. Edgar Hoovers. Das ist zwar hanebüchener Blödsinn – Jan Knopf ist unbedingt zuzustimmen, dass Brecht ein sowjetisches Exil mit großer Wahrscheinlichkeit nicht überlebt hätte. Hoovers Etikett sollte aber an ihm haften bleiben und – auch das wird profund dargestellt – dem Re-Exilanten fast jeden Versuch, in Nachkriegseuropa wieder Fuß zu fassen verunmöglichen.
De facto blieb Brecht nur Ost-Berlin, also die junge DDR, obwohl er den Nach-Hitler-Deutschen mindestens so misstrauisch gegenüberstand wie Thomas Mann. Nur dass dieser in der Schweiz bleiben durfte. Annette Leo hat dieses Misstrauen kürzlich am Beispiel der Beziehung zwischen Brecht und Erwin Strittmatter – der bei Knopf keinerlei Erwähnung findet – dargestellt (siehe Das Blättchen 19/2012). Nun hat dieses Verschweigen nicht nur Strittmatters durchaus Methode. Entgegen manch weitschweifiger Darstellung der Zeit vor 1933 kommen die Nachkriegsjahre und da wiederum die DDR-Zeit relativ komprimiert daher. Und die Souveränität, mit der der Autor gerade auch die politischen Irrungen und Wirrungen einschließlich der vielen Gemeinheiten, die zum Beispiel in den Exil-Auseinandersetzungen eine Rolle spielten, darstellt, verschwindet sukzessive, wenn es um die Nachkriegsverhältnisse vor allem im Osten geht. Friedrich Wolf beispielsweise wird einfacherweise zur „Moskauer Clique“ addiert. Der Literaturhistoriker Knopf müsste eigentlich wissen, dass er Wolf – bei all dessen den Brechtschen Auffassungen teilweise diametral entgegenstehenden Positionen – Unrecht tut. Gleiches gilt für Johannes R. Becher, der zwar braver Parteisoldat aber doch Künstler und kluger Kulturpolitiker genug war, um Bertolt Brecht und seinem Ensemble die nötigen Freiräume zu verschaffen. Knopf zitiert allerdings einen Brief Brechts an Therese Giehse, in dem dieser von „mehreren guten Leuten … unserer Generation“ sprach, die „planmäßig“ verschrottet würden. Becher, Wolf und selbst den von Knopf nur mit der verbalen Kohlenzange angefassten Luis Fürnberg (wegen dessen „Lied der Partei“; den tatsächlichen, sehr mörderischen Hintergrund kennt Knopf offenbar nicht) bezieht Brecht ausdrücklich in seine Aufzählung für die Giehse mit ein. Aber ich nehme an, Jan Knopf wird in einer späteren Auflage auch diese Kapitel etwas differenzierter darstellen. Ja, es stimmt, eine Kulturpolitik wie sie seinerzeit von Walter Ulbricht, Wilhelm Girnus und Fritz Erpenbeck vertreten wurde, hatte durchaus mörderische Potenziale – das war aber nur die halbe Miete. Auch die Kulturgeschichte der jungen Bundesrepublik war mehr als Gelsenkirchener Barock, Kommunistenhatz und „documenta 1“.
Bei der Gelegenheit sollten auch gewisse sprachliche Schludrigkeiten aus dem ansonsten sehr fein mit dem Werkzeug des Deutschen umgehenden Buche getilgt werden. „Das Niveau ist wieder einmal ungeheuer oben“, bewertet Knopf die „Courage“-Uraufführung des Berliner Ensembles, um anschließend Stück und Inszenierung einigermaßen gründlich niederzumachen. Das soll sicher cool wirken, letztlich ist es abwertend, wird weder Stück noch Inszenierung gerecht und ist einfach nur gemein. Überhaupt behandelt der Autor das Spätwerk vergleichsweise stiefmütterlich. Wobei es sicher schwer ist, sich gerade bei diesem durch den Schuttberg der Trümmer des von den Brecht-Epigonen, den Erben, den mehr politisch denn ästhetisch motivierten Interpretatoren der letzten 50 Jahre errichteten Weihetempels zum Kern des Werkes hindurchzuwühlen. Der erweist sich immer wieder bei jeder ernsthaften Annäherung als erstaunlich frisch und wirkungsmächtig. Nichtsdestotrotz erklärt so mancher Ignorant Brechts Dichtung eigentlich nur noch im glücklichen Falle einer Kurt-Weill-Vertonung für lebensfähig. Der europäische Theateralltag weist allerdings nach, dass dem nicht so ist. Und Jan Knopf erklärt dieses Phänomen. Bertolt Brechts große Zeit scheint in seiner Lesart – die wir teilen! – erst noch bevorzustehen.
Ich bin auf die überarbeitete Neuauflage dieser Biographie gespannt und empfehle das Buch aber schon im jetzigen Zustande. Es bietet manch wertvollen Denkanstoß. Es verleitet dazu, wieder einmal Bertolt Brechts Texte in die Hand zu nehmen. Und was kann man von einer Biographie mehr erwarten?

Jan Knopf: Bertolt Brecht. Lebenskunst in finsteren Zeiten. Biografie, Carl Hanser Verlag, München 2012, 560 S., 27,90 Euro