13. Jahrgang | Nummer 15 | 2. August 2010

Kurze Wanderung durch die Mark (III)

von Erhard Weinholz

Der dritte und letzte Tag meiner Wanderung begann mit dem typischen Hotel-Frühstücksbuffet, seinen pappigen Schrippen und knallhart gekochten Eiern. Angeblich müssen sie aus lebensmittelhygienischen Gründen so hart sein, in Wahrheit sind sie es, weil man so die übriggebliebenen zu Eiersalat verarbeiten kann. Auch das Wetter mißfiel mir: Zu schön. Wandern muß Risiko und Abenteuer sein.
Gut 20 Kilometer war ich noch vom Ziel entfernt, Brandenburg/Havel, der interessantesten Stadt der Mark, was die Menge der mittelalterlichen Baudenkmäler betrifft – so mein Reiseführer aus dem Jahre 1908. Von Wachow aus ging es den größten Teil der Strecke Richtung Süden am Beetzsee entlang, erstes Etappenziel war Päwesin mit seiner – für die Mark untypischen – barocken Kirche. Wie für evangelische Kirchen üblich, war sie geschlossen. Zu Fontanes Zeiten wäre man zum Küster gegangen, um sich den Schlüssel zu erbitten. Heute hat man es leichter: Eine Tafel neben dem Portal informiert, daß es im Inneren kaum Sehenswertes gibt. Hinter Päwesin fiel mir ein Schild am Straßenrand auf: „Storchenwanderweg“. Darüber ein Storch – er wanderte aber nicht, sondern stand auf einem Bein im Nest.
Es folgte Bollmannsruh. Doch von Fritze Bollmann, dem Brandenburger Lokalheiligen, der beim Angeln im Beetzsee ertrunken sein soll, keine Spur. Wahrscheinlich wurde der Name aus Marketinggründen, wie man heute sagen würde, gewählt. Denn der Ort war ein beliebter Endpunkt von Dampferausflügen, einst auch „Dampferpartien“ genannt. Man ahnt es schon: Dieses Wissen ist nicht angelesen, ich stamme selber aus dem alten Brandenburg, das schon Hauptstadt war, als Berlin eben aus dem Sumpf gekrochen kam; bis 1946 trug es auch den Titel „Chur- und Hauptstadt“.
Alte blühende Kirschbäume säumten nun die Chaussee, später folgten Apfelbäume. Mehr als 600 Sorten, die in den Gärten kaum noch zu finden sind, geschweige denn in den Apfelplantagen, haben sich an märkischen Straßen erhalten. Immer marschierst du die Straßen entlang, meldet sich nun meine schärfste Kritikerin, mach’s doch mal wie der Taugenichts: Einfach der Nase nach… Ja, bloß so kommt man nicht voran. Es gibt nur wenige alte Post- oder Heerstraßen, die an den Dörfern vorbei quer übers Land führen.
Linkerhand nahte Ketzür. Vor 120 Jahren wurde dort eine meiner Großmütter geboren. Doch ich wollte schnurstracks nach Radewege, wo Kurths Landgasthof eine vielgerühmte regionale Küche bietet – aber nur bis 14 Uhr. Zwar rückte der Ort schneller heran als gedacht, aber Ortsrand ist nicht gleich Ortsmitte, und als ich den Gasthof endlich erreicht hatte, war es zu spät. Ich schaute auf die Speisekarte am Restaurant gegenüber: Königsberger Klopse für 9,90 Euro… Mein Geiz siegte über meinen Hunger, und wie sich bald zeigte, war das auch gut so.
Links war immer wieder der Beetzsee durch die Bäume zu sehen. Dahinter auf weiter Fläche noch einmal glitzernde Wellen: Ein riesiges, folienbedecktes Spargelfeld, eines von vielen hier. Bald darauf erschien in der Ferne ein Märchenschloß mit vielen Schornsteinen, mit Türmchen und einem Riesendach. Es stammt aus dem Jahre 1894 und beherbergt die Verwaltung des Domstiftsgutes Mötzow. Auf dem Gutshof an allen Ecken und Enden Spargel – er wurde verarbeitet, zum Kauf angeboten, in der großen Gaststätte serviert. Das Spargelgratin für knapp sechs Euro schmeckte lecker und war vollauf sättigend.
Wo das Domgut ist, so dachte ich, müßte bald der Turm des Brandenburger Doms zu sehen sein, vielleicht auch noch der von St. Katharinen. Dann konnte ich mich zu Hause fühlen. Doch sie ließen auf sich warten. Für die letzten drei Kilometer bis zum Markt nahm ich, meinen Fußgelenken zuliebe, den Bus. Die Brandenburger Sehenswürdigkeiten, Roland, Kirchen, Industriemuseum, ließ ich beiseite und wählte den kürzesten Weg zum Bahnhof. Rasch noch zwei Karten geschrieben, der Zug nach Berlin stand schon bereit. Während die beiden Türme ein letztes Mal grüßten – Türme grüßen bekanntlich gern –, resümierte ich: Sollte ich noch einmal ins Umland wandern, dann keinesfalls ab Spandau oder Dahlem oder gar Schöneweide. Und mehr Zeit sollte bleiben für Abschweifungen und Entdeckungen.