von Holger Politt, Warschau
Polens neuer Präsident heißt Bronisław Komorowski. Er galt bisher als treuer Parteisoldat auf der konservativen Ecke der PO-Partei, die seit 2007 mit Donald Tusk den Ministerpräsidenten stellt und stets über Lech Kaczynski klagte, weil der ihr das Regieren im Stile unverblümter Opposition schwermachte. Auch deshalb, so Tusk und die PO immer wieder, gelängen längst fällige Reformen nicht, da nach Präsidenteneinspruch wichtige Gesetzesinitiativen ins Parlament zurückgelangten, wo dann eine Zweidrittelmehrheit gesucht werden mußte. Ein unerträglicher Zustand, so die Regierungspartei, der die einfache Mehrheitsregel in der parlamentarischen Demokratie außer Kraft setze.
In der Tat steht dem Präsidenten bei unseren Nachbarn ein sogenanntes Veto-Recht zu, weshalb das direkt gewählte Amt immer von besonderem politischem Gewicht war. Polens Öffentlichkeit hat sich bereits seit langem an den diffizilen Streit zwischen den beiden obersten Machtzentren gewöhnt. Ein Lied davon darf auch Leszek Miller singen, der als Regierungschef einer SLD-geführten Regierung in den Jahren 2001 bis 2004 so manchen harten Strauß mit Aleksander Kwasniewski ausfechten mußte, obwohl sie beide aus dem gleichen linksdemokratischen Holz waren.
Als Tusk im Januar dieses Jahres die Möglichkeit sah, an das Präsidentenamt zu gelangen ohne selbst starten zu müssen, denn die Umfragewerte gaben dem amtierenden Lech Kaczynski kaum noch Aussichten auf eine Wiederwahl, entschied er, Komorowski ins Rennen zu schicken. Er blieb bei dieser Entscheidung, als durch den plötzlichen Unfalltod des Präsidenten im April die Wahlen vorgezogen werden mußten. Er sprach vor der Katastrophe häufig davon, daß das Amt ohnehin eher Staffage sei und er sich ganz auf die Regierungsarbeit konzentrieren wolle, denn da werde die entscheidende Musik für das Land gespielt. So erklärte er damals dem staunenden Volk seinen Verzicht und seinen Kandidaten.
Als aber nach der Katastrophe Jaroslaw Kaczynski seinem tödlich verunglückten Zwillingsbruder ins Amt folgen wollte, änderte sich die Tonlage. Je mehr die Werte des umstrittenen Jaroslaw nach oben zeigten, desto wichtiger wurde in den Äußerungen des Ministerpräsidenten wiederum das Amt. Polen, so die Warnung Tusks, werde das Schicksal Griechenlands ereilen, wenn ein weiterer Kaczynski Präsident werde. Überhaupt drohe dem Land in einem solchen Falle die Katastrophe.
Tusk riskierte viel und wußte warum. Jetzt arbeitete er mit einem fast nicht zu übersehenen Veto. Ein weiterer Kaczynski komme für die von ihm geführte Regierung nicht in Betracht. Komorowskis Wahlkampf wurde nahezu ausschließlich auf eine latente Anti-Kaczynski-Stimmung aufgebaut, um die der Ministerpräsident wußte. Es drohe, so hieß es, eine Neuauflage der IV. Republik, mit der das Kaczynski-Duo in den Jahren von 2005 bis 2007 das Land umkrempeln wollte. Es wurde vergessen hinzuzufügen, daß die beiden Ideenfinder dieses Schreckgespenstes recht prominent einst in den PO-Reihen zu finden waren – Jan Rokita und Pawel Spiewak. Im Kern ging es vor allem darum, die Verfassung zu ändern und ein Mehrheitswahlrecht nach britischem Vorbild einzuführen, was die größeren Parteien begünstigt und die kleineren benachteiligt.
Zunächst glaubte Tusk noch lange, die Entscheidung werde bereits in der ersten Runde fallen, sein Kandidat die erforderlichen 50 Prozent bekommen. Nachdem die Schlußrunde immer wahrscheinlicher wurde, änderte sich der Ton. Nicht Kaczynski, sondern Komorowski versprach den Menschen landauf, landab beinahe den Himmel auf Erden. Man brauche lediglich 500 Tage, um in Ruhe arbeiten zu können, dann würde man schon sehen. Es sein endlich Zeit für das anstehende Reformwerk, mit dem Gesundheit, Bildung, Rente für die Anforderungen des 21. Jahrhunderts fitt gemacht würden. Was meint, es sei überall noch zuviel 20., gar 19. Jahrhundert drin, was aufhält, bremst und überhaupt viel zu viel kostet. Und von den zu erwartenden finanziellen Entlastungen würden schließlich alle profitieren.
Vor fünf Jahren lag Tusk in der Schlußrunde knapp vor Lech Kaczynski, mußte dann aber dem ein „solidarisches Polen“ verkündenden Nationalkonservativen doch noch den Vortritt lassen. Entscheidend war das Wahlverhalten einer Wählergruppe, die mit 15 Prozent in Andrzej Lepper ihren Repräsentanten sah. Sie war ländlich geprägt und ließ sich auf die „solidarische“ Seite locken. In ähnlicher Höhe schnitt heuer Grzegorz Napieralski ab, der Parteichef der Linksdemokraten der SLD. Er bekam fast 14 Prozent und empfahl, zur Stichwahl zu gehen und einen der beiden konservativen Kandidaten zu wählen. Wen, ließ er offen. Am Wahltag aber entschieden sich zwei Drittel seiner Wähler für Komorowski, so daß Kaczynski keine Aussicht mehr hatte, den Rückstand aus der ersten Runde wettzumachen.
Mit Komorowski im Amt verliert Tusk sein glänzendes Alibi, denn Schuld an allem war immer der Präsident. Der machte tatsächlich überreichlich Gebrauch von seinem Veto-Recht, spielte damit der Opposition klar in die Hand. Jetzt aber rücken Parlament und wohl auch die großen Gewerkschaftszentralen wieder stärker in den Mittelpunkt des Interesses. Denn unter den Parlamentsparteien haben PiS mit „Solidarnosc“ und die SLD mit der OPZZ die weitaus besten Gewerkschaftskontakte. Einen ersten Fingerzeig dürfte es im Herbst geben, auch darüber, ob die im Frühjahr und Frühsommer 2010 sichtbar gewordenen Tendenzen erhalten bleiben. Und spätestens im Herbst 2011 gibt es die nächsten Parlamentswahlen.
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